Freihandelsabkommen Mercosur: Wer profitiert, wer verliert?
Nach 25 Jahren politischer Positionskämpfe rückt das Mercosur-Abkommen einen großen Schritt näher. Vergangenen Freitag wurde ein Vertragstext aufgesetzt. Jetzt müssten diesem „nur noch“ alle EU-Mitgliedsstaaten zustimmen. Wir zeigen die Vor- und Nachteile des stark diskutierten Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und den lateinamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay auf – auch bekannt als Mercado Común del Sur.
Österreich war stets skeptisch
Letzten Donnerstag reiste EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nach Uruguay, um nach einem Vierteljahrhundert Verhandlungen eine Einigung zum Mercosur-Abkommen zu erzielen. Laut Insider:innen wollte sie nicht „zurückkehren, ohne Erfolge vorweisen zu können“. Zu den EU-Staaten, die dem Freihandelsabkommen besonders skeptisch gegenüberstanden, zählen Frankreich, Polen und Italien – aber auch Österreich, das durch einen Beschluss des Nationalrats von 2019 zur Ablehnung verpflichtet war.
„Größte Handels- und Investitionspartnerschaft, die die Welt je gesehen hat“
Für die EU ist Mercosur ein großer Deal. Umgekehrt gilt das genauso. Von der Leyen betonte: Beide Regionen, die EU und der Mercosur, sollen profitieren. Werden die Zölle und andere Handelshemmnisse abgebaut, verspricht man sich ein enormes Wirtschaftswachstum. Die EU brauche das Abkommen, um ihren Einfluss nicht völlig zu verlieren, so die Befürworter:innen.
Denn: China und die USA erhalten immer mehr wirtschaftliche Macht. In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Handelsvolumen zwischen den Mercosur-Staaten und China verdoppelt. China gilt bereits als wichtigster Handelspartner der Mercosur-Länder. Nun befürchtet die EU, dass sich die Mercosur-Staaten noch stärker an China wenden könnten, sollte der Deal scheitern – sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Außerdem plant der künftige US-Präsident Trump großflächig Zölle auszurollen, was den Deal-Abschluss ebenfalls beeinflussen könnte.
Wer und was für Mercosur spricht
Vonseiten der Industrie gibt es große Zustimmung für das Freihandelsabkommen, denn der europäischen Industrie geht es nicht gut – sie kann neue Absatzmärkte und Zolleinsparungen dringend gebrauchen. Vor allem die Automobil-, Maschinenbau- und Chemieindustrie in Europa soll einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Mercosur-Staaten haben, die gleichzeitig attraktive Exportmärkte darstellen.
Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay verzeichnen gemeinsam 216 Millionen Verbraucher:innen. In der Europäischen Union sind es 450 Millionen. Aus Konsumentensicht würde ein riesiger gemeinsamer Markt entstehen, der den Menschen mehr Auswahl an Produkten beschert. Auch könnte das Abkommen zur Inflationsbekämpfung beitragen.
Darüber hinaus würde das Bruttoinlandsprodukt der EU bis 2032 um 0,1 Prozent steigen, so eine Studie der London School of Economics im Auftrag der EU-Kommission. Das BIP der Mercosur-Staaten soll sogar um 0,3 Prozent wachsen.
Gegen Mercosur: Klimaschützer:innen, Landwirt:innen und Arbeitnehmervertreter:innen
Trotz der zahlreichen Vorteile, die das Freihandelsabkommen mit sich bringt, gibt es auch Schattenseiten.
Zum einen sieht sich die europäische Landwirtschaft durch Mercosur und die damit einhergehenden Agrarimporte stark benachteiligt. Denn der Mercado Común del Sur produziert viele landwirtschaftliche Güter wie etwa Rindfleisch, Geflügel und Honig zu niedrigeren Kosten. Obwohl sich viele europäische Konsument:innen freuen würden, wenn sie diverse Güter zu niedrigeren Preisen einkaufen können, fühlen sich die Landwirt:innen von der Konkurrenz bedroht. Sie fürchten einen knallharten Preiskampf. In weiterer Folge geht es der Landwirtschaft auch um Job- und Qualitätsverluste.
Umweltschutzorganisationen warnen zudem vor Anreizen für klimaschädliches Verhalten: Landwirtschaftliche Produkte könnten mit dem Freihandelsabkommen in Südamerika unter Pestizideinsatz billig produziert werden. Damit ginge auch die Rodung von Waldflächen einher. Viele Klimaschützer:innen machen sich also Sorgen um die fortschreitende Abholzung des Regenwalds.
Die importierten Produkte sollen Kritiker:innen zufolge nicht denselben Sozial- und Umweltstandards entsprechen, wie sie in der EU gelten – zum Beispiel, wenn es um den Einsatz von Chemikalien geht. In Südamerika sind nach wie vor Pflanzenschutzmittel erlaubt, die in Europa seit Jahren verboten sind. Dies könnte sich unter anderem bei der Soja- oder der Fleischproduktion bemerkbar machen. Fazit: Demnach würden nicht die gleichen Wettbewerbsbedingungen eingehalten werden.
Genauer Vertragstext noch nicht bekannt
Ohne das Abkommen könnte China mehr Marktmacht gewinnen. Mit dem Freihandelsabkommen hätte die EU jedoch mehr Einfluss auf Klima- und Umweltschutzbelange. Mercosur-Staaten wären an das Pariser Klimaschutzabkommen gebunden.
Der genaue Vertragstext, im Volksmund „Autos gegen Rindfleisch“ genannt, ist noch nicht bekannt. Vorgesehen sind Zollkontingente für zollfreie Rindfleischimporte sowie mögliche Entschädigungen für geschädigte Landwirt:innen. Zudem soll die EU-Entwaldungsverordnung verhindern, dass Soja aus gerodeten Flächen in die EU importiert wird.
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