Fusionsenergie: „Es gibt die Sonne schon, wir müssen sie nicht neu erfinden“
Es ist ein Traum, der bereits seit Jahrzehnten geträumt wird: Saubere Energie aus Kernfusion, quasi der kleinen und weniger problematischen Schwester von Kernenergie. Dabei wird nicht ein schwerer, radioaktiver Atomkern in ebenfalls radioaktive Teile gespaltet, sondern zwei leichte zu ungefährlichem Helium fusioniert. Die Basis dafür sind die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium, von denen ein Gramm in einem künftigen Fusionsreaktor so viel Energie liefern könnte, wie bei der Verbrennung von elf Tonnen Kohle entsteht.
Der Vorteil: Das Klima wird dabei nicht durch den Ausstoß von Kohlendioxid belastet und im Vergleich zu Kernkraftwerken kommt Fusionsenergie auch ohne den extrem langlebigen radioaktiven Abfall und ohne dem Potenzial für gefährliche Waffen aus. Leider gibt es aber zwei gewichtige Probleme: Die Forschung und Entwicklung der Technologie wird länger dauern, als uns die Klimakrise Zeit gibt. Und wenn der Prozess läuft, ist er aus heutiger Perspektive möglicherweise wirtschaftlich überhaupt nicht konkurrenzfähig.
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Nur für Sekunden in Gang gebracht
„Es ist ziemliches Neuland“, sagt Andreas Indinger, Leiter des Centers Forschung und Innovation bei der Österreichischen Energieagentur, im Gespräch mit Tech & Nature. Es gibt zwar bereits mehrere Versuchsanlagen, aber die haben den Fusionsprozess bisher nur für Sekunden in Gang gebracht und dabei mehr Energie verbraucht als gewonnen. Die jüngste Hoffnung der Versuchsanlagen entsteht gerade in Frankreich.
Der Kernfusionsreaktor ITER ist ein internationales Forschungsprojekt beim südfranzösischen Kernforschungszentrum Cadarache. Erst kürzlich wurde nach zwölf Jahren die Fertigstellung gemeldet, in Betrieb gehen kann die Anlage aber frühestens in fünf bis sechs Jahren. Deuterium und Tritium soll gar erst ab 2035 fusioniert werden. ITER soll allerdings nur die Machbarkeit zeigen und noch keinen Strom erzeugen. Das wird erst in einem Nachfolgeprojekt DEMO passieren. „Man weiß noch nicht, was Strom aus Fusionsenergie kosten wird und man weiß erst um 2050, ob es überhaupt so im Kraftwerksbetrieb funktioniert“, fasst Indinger zusammen.
Das zentrale Problem von Fusionsanlagen sind die hohen Temperaturen. Genau genommen erfordert der Prozess soviel Hitze wie in der Sonne, wo der Prozess natürlich geschieht. Diese hundert Millionen Grad Celsius und mehr erfordern einen enormen Energieaufwand und spezielle Materialien, die diesen Temperaturen standhalten.
Startups springen auf den Zug auf
Wenn traditionelle Player anstehen und das Potenzial groß ist, ruft das innovative Jungunternehmen auf den Plan und so ist es auch bei der Fusionsenergie. Erst kürzlich hat eines davon, das kanadische Startup General Fusion, mit einer massiven Kapitalspritze namhafter Investoren auf sich aufmerksam gemacht.
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Insgesamt 100 Millionen Dollar hat sich das Jungunternehmen von der Temasek Holdings Pte aus Singapur und vom kanadischen Strategic Innovation Fund geholt – in früheren Runden hatte unter anderem Amazon-Gründer Jeff Bezos investiert und insgesamt sind bereits 200 Millionen Dollar in General Fusion geflossen. Das Startup meint, mit „Magentized Target Fusion“ eine Lösung gefunden zu haben. Bei dem Prozess wird magnetisiertes Deuterium-Tritium-Plasma durch Druck auf bis zu 150 Millionen Grad Celsius erhitzt und die gewonnene Energie in einem flüssigen Metall gespeichert.
Diese privatwirtschaftlichen Projekte, General Fusion ist nur eines davon, seien laut Indinger schwer zu bewerten, weil meist nur wenige Informationen öffentlich werden. Aber natürlich sei es denkbar, dass es gelingt, den Prozess mit effizienteren Komponenten zu optimieren. Die teilweise auch völlig neuen Konzepte werden sich in Pilotanlagen – so sie überhaupt so weit kommen – beweisen müssen.
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Lohnt sich der Aufwand überhaupt?
Dann bleibt allerdings die Frage, ob sich der Aufwand lohnt. Denn die Produktion von Strom aus Wind und Sonne ist schon bisher massiv günstiger geworden, auch in Zukunft sind Innovationen und weitere Preisreduktionen zu erwarten. Wenn nun auch noch bei der Frage des Speicherns und des Transportes – denn es gibt Regionen mit sehr viel Sonne und sehr viel Wind – weitere Fortschritte gemacht werden, ist es wahrscheinlicher, dass der Umbau des Energiesystems mit Technologien gelingt, die Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse nutzen.
„Es gibt die Sonne schon, wir müssen sie nicht neu erfinden“, sagt Indinger in Hinblick auf den Prozess der Kernfusion, der auch in der Sonne stattfindet. Und bereits heute haben wir ihm zu Folge die Technologie, aus der Kraft der Sonne Strom zu erzeugen. Der Zeitfaktor sei wesentlich, denn um die Klimakrise zu bewältigen, brauche es sehr rasch saubere und auch marktfähige Technologien.
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