Game of AI: Wer regiert 2025?
Florian Hasibar hat das Startup mytalents.ai mitgegründet. In diesem Gastbeitrag beschäftigt er sich mit dem Wettkampf der wichtigsten AI-Unternehmen um Marktanteile und ihren Strategien in 2025.
In der Welt der Künstlichen Intelligenz gleicht das Jahr 2025 dem Kampf um den Eisernen Thron. Wie in der TV-Serie „Game of Thrones“ kämpfen mächtige Häuser – oder in diesem Fall Unternehmen – um die Vorherrschaft. Intrigen, Allianzen und unvorhersehbare Wendungen prägen das Spielfeld.
Doch während in der Fantasy-Welt Drachen und Schwerter die Schlacht bestimmen, sind es hier Rechenleistung, Daten und neue Produkte, die über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Als ich Ende 2023 den dramatischen Machtkampf bei OpenAI verfolgte, ahnte noch niemand, wie fundamental sich die KI-Landschaft in den nächsten zwölf Monaten verändern würde. Heute, ein Jahr später, sieht die Welt völlig anders aus. OpenAI hat nicht nur massiv Marktanteile verloren – von 50% auf 34% – sondern auch seine Position als unangefochtener Innovationsführer eingebüßt.
Jährlich analysiert nämlich Menlo Ventures den Marktanteil der LLMs bei Enterprise-Unternehmen – das heißt, wir sprechen hier nicht von Endanwendern, sondern von Unternehmensnutzern.
Der große Verlierer? OpenAI. Der große Gewinner? Anthropic! Die haben ihren Marktanteil mal eben von 12% auf 24% verdoppelt. Die Hauptgründe für den Wechsel waren dabei eindeutig: Sicherheit und Datenschutz (46%), gefolgt von Preis (44%), Leistung (42%) und erweiterten Funktionen (41%, mehr dazu hier).
Doch was wird 2025 passieren? Ich wage einen Ausblick – wobei Prognosen im KI-Bereich für ein Jahr eher Science Fiction und True Crime ähneln als kurzfristigen Wettervorhersagen.
OpenAI
Die Geschichte von OpenAIs Jahr 2024 ist die eines Unternehmens zwischen Genie und Größenwahn.
Zu Beginn des Jahres präsentierte OpenAI GPT-4o („o“ für „omni“), ein multimodales Modell, das in der Lage ist, Text, Bilder und Audio zu verarbeiten und zu generieren. Dann folgte lange nichts und ein großer Exodus an Mitgründern (Ilia, Mira Murati etc.). Dann wurde es lange ruhig und im Dezember kam die große „Bombe“.
Im September brachte OpenAI schließlich o1 auf den Markt, gefolgt von o3 im Dezember. o3 beeindruckte mit seiner Fähigkeit, komplexe Probleme effizient zu lösen. Das Besondere daran: Es simuliert und bewertet zahlreiche Lösungswege und zeigt seinen Denkprozess transparent auf. Diese Innovation setzte neue Maßstäbe im Bereich des „Reasoning“.
Das Besondere: o3 denkt quasi laut nach. Es entwickelt nicht eine, sondern Hunderte möglicher Lösungswege. Doch dann kam der Schock: bis zu Tausende von Dollar pro komplexer Aufgabe. Für OpenAI und Co. mag das akzeptabel sein, doch das breite Fußvolk blieb vorerst ausgeschlossen.
Für 2025 hat OpenAI bereits weitere Überraschungen angekündigt: o4 soll im zweiten Quartal erscheinen, gefolgt von o5 im dritten Quartal. Die Gerüchteküche brodelt auch über ein mögliches „o3 Light“ – eine kostengünstigere Version für den Massenmarkt. Heißt das, OpenAI holt sich die Führung zurück?
Googles Offensive zum Jahresende hat die Branche überrascht. Mit Gemini 2.0 Flash Thinking haben sie nicht nur ein Konkurrenzprodukt zu o3 geschaffen, sondern auch einen völlig neuen Ansatz für transparente KI-Entscheidungen präsentiert. OpenAI zeigt nämlich den Gedankengang bei o1 nicht her – Google macht es schon.
Die Integration in Google AI Studio macht die Technologie zudem kostenlos für alle zugänglich – ein direkter Angriff auf OpenAIs Premium-Strategie.
Googles breites Innovationsspektrum reichte aber noch weiter:
- Notebook LLM: Ein leistungsfähiges Tool zur Texterstellung und Analyse, das besonders bei datenintensiven Aufgaben punktet.
- Deep Reasoning: Ein Ansatz, der logisch und nachvollziehbar komplexe Probleme löst.
- GenCast: Eine KI für Wettervorhersagen, die zwar auf den ersten Blick unscheinbar erscheint, aber das Potenzial hat, ganze Branchen zu transformieren. Mit einer Genauigkeit, die doppelt so hoch ist wie bei traditionellen Methoden, liefert GenCast 15-Tage-Prognosen in nur acht Minuten.
Also ein starkes Jahr von Google: Von bescheidenen 7% Marktanteil 2023 hat sich Google auf beachtliche 12% gesteigert – Tendenz stark steigend.
Anthropic
Was Anthropic in diesem Jahr geschafft hat, verdient höchsten Respekt. Die Verdoppelung des Marktanteils auf 24% ist beeindruckend, aber noch beeindruckender ist, wie sie es geschafft haben: mit einem konsequent ethischen Ansatz.
„I just don’t want it to turn into corporate propaganda„, betont Anthropic-CEO Dario Amodei. Heißt, KI soll auch künftig sicher sein – gerade in Zeiten, wo KI viel zur Wahlbeeinflussung beitragen kann. Hier gibt es auch Unternehmen, die es nicht so gut gemacht haben.
Abschließend: Das neue Model Context Protocol (MCP) von Anthropic ist für mich der unterschätzte Star des Jahres. Es ist wie ein USB für KI – ein einheitlicher Standard, der die Integration von KI in bestehende Systeme verbessert.
Meta
Mark Zuckerbergs Meta hat 2024 mit einer mutigen Open-Source-Strategie überrascht. Mit Llama 3.1 und seinen Nachfolgern demokratisierte das Unternehmen den Zugang zu KI-Technologie. Das Besondere: Die Modelle laufen auf normalen Computern – ein 70-Milliarden-Parameter-Modell auf einem Laptop war bis dato undenkbar, wie Simon Willison betont.
Der wahre Gamechanger kam aber mit der Veröffentlichung eines 92-seitigen wissenschaftlichen Papers. Darin legt Meta offen, wie Llama 3 trainiert wurde – ein beispielloser Schritt, der Milliarden Euro an Forschung und Entwicklung der gesamten KI-Community zur Verfügung stellt.
Deepseek, Qwen und Co: Die chinesische Offensive
Der 25. Dezember 2024 wird mir in Erinnerung bleiben. Während andere Weihnachten feierten, droppte DeepSeek v3 auf Hugging Face – ohne README, ohne Ankündigung. 685 Milliarden Parameter, trainiert für weniger als 6 Millionen Dollar.
Das ist, als würde jemand einen Ferrari zum Preis eines VW Golfs bauen.
Ähnliche „Probleme“ gibt es aber mit den Daten –wie bei VW. Deepseek hat zwar kein Datenleck – enthält aber Zensur von China. Also Achtung bei der Verwendung.
Fast zeitgleich präsentierte Alibabas Qwen-Team QwQ und QvQ, zwei Reasoning-Modelle unter Apache 2.0 Lizenz. In diversen Benchmark-Tests erreichten sie Ergebnisse auf Augenhöhe mit Claude 3.5 Sonnet.
Die Message ist klar: China ist nicht länger Follower, sondern Leader.
Mistral AI
Das französische Startup Mistral könnte sich 2025 als Europas Antwort auf die globale KI-Konkurrenz erweisen. Während der EU AI Act die Verfügbarkeit vieler KI-Dienste in Europa einschränkt – besonders schmerzlich im Bereich der Video-KI, wo weder Googles Veo 2, OpenAIs Sora noch andere führende Modelle verfügbar sind – hat Mistral einen entscheidenden Vorteil: Sie entwickeln ihre Modelle von Grund auf konform mit europäischen Regulierungen.
Mit nur 5% Marktanteil mag Mistral aktuell noch klein erscheinen, aber ihre spezialisierten Modelle und der regulierungskonforme Ansatz könnten sie zum idealen Player für den europäischen Markt machen. Auch hat Mistral ihre LeChat-Plattform Ende November in eine vollwertige ChatGPT-Alternative gewandelt. Es gibt Canvas, es gibt Websuche, es gibt Dokumentanalyse. Und was es noch gibt: Es gibt Flux – das deutsche KI-Modell, eines der besten Bildmodelle gerade.
Amazon
Während sich die Branche auf die großen Kämpfe zwischen OpenAI und Google konzentriert, hat Amazon leise, aber mit viel Oho mit seiner Nova-Modellfamilie nachgelegt. Nova bietet eine breite Palette spezialisierter KI-Lösungen, von Einstiegsmodellen wie Nova Micro bis hin zu leistungsstarken Systemen wie Nova Pro. Auch mit Nova Reel gibt es eine Video-KI.
Doch es gibt einen Haken: Die tiefe Integration in AWS macht Nova zwar leistungsstark für Großkunden, ist aber für kleinere Nutzergruppen eine Einstiegshürde. Es gibt noch keinen einfachen Zugang via API.
xAI
2024 hat Elon Musk mit xAI eine klare Ansage gemacht: ein direkter Angriff auf OpenAI. Ende des Jahres hat er nochmal 6 Milliarden eingesammelt.
Mit Grok, einem KI-Chatbot, und der beeindruckenden Infrastruktur des Colossus-Supercomputers in Memphis zeigt xAI enormes Potenzial. Dieser Supercluster wurde in kürzester Zeit mit über 100.000 H100 NVIDIA GPUs aufgebaut – eine Leistung, die in der Branche als „unheard of“ gilt. Er plant auch noch, auf bis zu 1 Million zu erhöhen.
Der große Vorteil von Grok auf X (ehemals Twitter): Er bietet Nutzern der Plattform X direkte Nachrichtenaktualisierungen und ermöglicht eine nahtlose Integration aktueller Informationen. Seit November gibt es auch eine API, und Entwickler können bauen.
Ausblick 2025
Mark Twain – oder jemand anders – hat schon vor langer Zeit gesagt: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Ich versuche trotzdem und lehne mich aus dem Fenster – wie wird das Jahr 2025?
- Google wird der große Gewinner 2025 sein. Nicht nur die Integration von Gemini in Chrome Android, sondern auch die Adaption des AI Studios bei Unternehmen wird ihnen 15-20% Marktanteil bescheren.
- Anthropic wird stagnieren oder etwas verlieren – hat aber schon dieses Jahr gut aufgeholt und war ja der Gewinner. 24% – guter Anteil.
- Bestehende und neue chinesische Anbieter werden uns weiter überraschen. Gemeinsam könnten sie auf 5-10% kommen.
- Mistral und Meta werden gleich bleiben. Mistral könnte auch schrumpfen – kommt ganz darauf an, wie es sich in Europa entwickelt.
- OpenAI wird auf jeden Fall unter 30% fallen – möglicherweise auch unter 25%.
- Amazon und xAI werden erste Marktanteile einfangen, bleiben aber zusammen einstellig.
- Apple AI bleibt weiter “unsichtbar”.
Ich möchte nicht so weit gehen wie John Gruber, der sagte:
„There is no technical moat in this field, and so OpenAI is the epicenter of an investment bubble.„
Aber eines ist klar: Wenn jemand wie DeepSeek ein GPT4o-ähnliches Modell mit weniger als 6 Mio. Kosten trainieren kann anstatt von Hunderten von Millionen – wer hat hier eine Moat bzw. einen Burggraben?
Das spannendste Thema 2025 werden für mich die Reasoning-Modelle sein. OpenAI ging hier voraus – aber auch die anderen folgen. Mich würde wundern, wenn nicht auch Meta oder Anthropic hier nicht schon etwas in der Schublade hätten.
Eines ist klar: Der KI-Markt 2025 wird spannend und demokratischer. Es wird viele Gewinner geben, aber auch wenige Verlierer. Wer hoch oben sitzt, kann tief fallen.