Umweltministerin: Vorerst keine Alarmstufe im Gasnotfallplan
Die österreichische Bundesregierung sieht derzeit noch keinen Anlass dafür, die Alarmstufe, die zweite von drei Stufen des Gasnotfallplans, auszurufen. Umweltministerin Leonore Gewessler hat am Dienstag erklärt, dass es zwar kürzlich eine Delle bei der Speicherung gab, bei der binnen weniger Tage weniger als 100 GWh pro Tag eingespeichert wurden. Doch nun habe sich die Entwicklung wieder stabilisiert. Heute liege der Speicherstand bei knapp der Hälfte des gesamten österreichischen Jahresverbrauchs. Doch auch wenn es vorerst keine Alarmstufe gibt, seien Maßnahmen als Vorbereitung auf den Winter angesichts des anhaltenden Ukraine-Kriegs von großer Bedeutung. Vor allem soll die Industrie von Gas auf Öl umsteigen.
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Bund kauft selbst Gas zu
„Wir befinden uns derzeit in einer sehr unsicheren Situation. Ich kann weder versichern, dass die Einspeicherung so weitergeht wie jetzt, noch voraussagen, wie sich Wladimir Putin und die Gazprom künftig verhalten werden. Russland setzt die Gaslieferungen als Waffe ein und ist kein verlässliches Gegenüber“, erläuterte Leonore Gewessler. Auch die für 11. Juli geplante, zehntägige Wartung der Pipeline Nord Stream 1 sei ein Unsicherheitsfaktor. Die Einsparung habe darum höchste Priorität.
Es seien massive Maßnahmen gesetzt worden, erstmals kaufe der Bund selbst Gas zu. Der Plan der Regierung sieht auch vor, Kraftwerke und Industriebetriebe anzuweisen, ihre Anlangen für den „bivalenten“ Betrieb tüchtig zu machen. Das bedeutet, dass neben Gas auch andere Energieträger nutzen sollen, vor allem Erdöl. Das betreffe große Player, die Regierung übernehme die Kosten. Was Haushalte angeht, ist derzeit noch keine Rede von Einsparmaßnahmen. Gewessler empfiehlt unter anderem, die eigene Gastherme warten zu lassen, sie zu entlüften und Fenster und Türen abzudichten. Das soll bereits zu Gaseinsparungen von bis zu 15 Prozent im kommenden Winter führen.
Speicherziel bis Anfang der Heizsaison erreichbar
E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch pflichtete Gewessler bei. Mit dem Gas, das derzeit ins Land kommt, könne das Land versorgt und gleichzeitig noch etwas eingespeichert werden. Das europäische Ziel, 35 Prozent des Inlandsverbrauchs einzuspeichern, sei bereits erreicht. Österreich sei aber ambitionierter, es sei davon auszugehen, dass das Speicherziel bis zum Beginn der Heizsaison erreicht werden könne.
Es gebe zwei Ziele bei der Einsparung: Die Auswirkung einer Unterbrechung in der Gasversorgung abzufedern und aus der Abhängigkeit von Erdgas, im Speziellen aus Russland, loszukommen. Alternativen dazu könne Öl sein, aber auch erneuerbare Energien. In den Haushalten stecke Potenzial, gerade wenn das Heizsystem bereits jetzt im Sommer gut und effizient gewartet werde.
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Deutschland knapp vor Notfallstufe
In Deutschland wurde vor etwa zwei Wochen bereits die zweite Stufe des Gas-Notfallplans, also die Alarmstufe, ausgerufen. Das war die Reaktion auf die Drosselung der Lieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 um 60 Prozent. Die Alarmstufe bedeutet, dass Industrie und Verbraucher:innen alles tun müssen, um den Verbrauch zu senken. Gasversorger dürfen Preiserhöhungen in laufenden Verträgen vornehmen, um die Nachfrage zu drosseln. Auch wird in Deutschland bereits breit diskutiert, wie man Gas sparen kann – Stichwort Duschen. Ziel ist, möglichst viel Gas für den Winter zu sparen.
Nach der Alarmstufe kommt die Notfallstufe, wo Gas rationiert wird. Zuerst werden Privathaushalte, Krankenhäuser, Feuerwehr und Polizei beliefert, erst danach die Industrie. Wirtschaftsminister Habeck plant ein Gasauktionsmodell. Industriekunden sollen gegen Entgelt auf Gas verzichten können. Die deutsche Industrie, allen voran der Chemiekonzern BASF oder Stahlhersteller wie ThyssenKrupp und Salzgitter fürchten dramatische Einbußen, wenn sie nicht mehr Gas wie im bisherigen Umfang bekommen. Derweil läuft fieberhaft der Ausbau von LNG-Terminals. Dabei ist aber kurzfristig nicht abzusehen, dass Flüssiggas in entsprechenden Mengen rechtzeitig aus den USA oder Qatar geliefert werden kann.
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Kompletter Gasstop immer wahrscheinlicher
In Deutschland gehen mittlerweile immer mehr Politiker:innen von einem kompletten Gasstop aus. Ab dem 21. Juli gibt es eine zehntägige, planmäßige Wartung von Nord Stream 1, ob danach wieder Gas von Russland durchgeschickt wird, ist fraglich. Österreich macht derzeit noch weniger Druck als Deutschland, was die Gasspeicherung angeht. Doch das könnte sich in Zukunft ändern, abhängig davon, wie gefüllt die Speicher bis zum Winter wirklich sind.