Gefährliche Kunststoffe: Wie sich Mikroplastik auf die Evolution auswirkt
Dass Mikroplastik auch evolutionäre Veränderungen auslösen kann, zeigt nun zum ersten Mal ein internationales Team von Wissenschaftler:innen des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG), des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Frankfurt (SBiK-F) und des Estnischen Nationallabors für Chemie und Physik. Ihre genomische Studie wurde im Fachmagazin „Chemosphere“ veröffentlicht. Demnach löst die Aufnahme von Mikroplastikpartikeln bei der Mücke Chironomus riparius eine evolutionäre Anpassung aus.
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Mikroplastik ist mit bloßem Auge als solches oft gar nicht zu erkennen und birgt Gefahren, die sich noch nicht genau einschätzen lassen: Es gelangt jedoch in immer größeren Konzentrationen in die Umwelt und zersetzt sich nur sehr langsam. Unter Mikroplastik versteht man dabei kleine Kunststoffpartikel, die zwischen 0,0001 und 5 Millimetern groß sind. Inzwischen wurde diese oft mikroskopisch kleinen Plastikpartikel bereits in allen Ökosystemen nachgewiesen, von der Tiefsee bis zu hochalpinen Gletschern. Obwohl es immer mehr Hinweise darauf gibt, dass die Aufnahme von Plastik schädlich für Organismen sein könnte, ist der Grad der Gefährlichkeit noch nicht wirklich geklärt.
Mikroplastik führte zu höheren Todesraten
Um die Auswirkungen von Mikroplastik besser zu verstehen, führten die Forscher:innen ein Experiment durch. Einer Mücken-Testgruppe wurde über mehrere Mücken-Generationen einer Plastik-Konzentration ausgesetzt, wie sie auch in der Umwelt zu finden ist. Dabei zeigte sich zunächst ein Fitnessverlust in Form von Todesraten von bis zu 50 Prozent. Darauffolgend setzte jedoch eine interessante Entwicklung ein: Innerhalb von drei Generationen passten sich die Mücken an die Aufnahme des Schadstoffs an.
Hinsichtlich der Überlebensraten konnte danach kein Unterschied zur Kontrollgruppe mehr festgestellt werden, so die Forscher:innen. Gleichzeitig wurden in ihrem gesamten Genom Veränderungen registriert, die sich als Grund für diese ungemein schnelle Anpassung deuten lassen. Insbesondere zeigten diejenigen Gene Zeichen von evolutionärer Anpassung, die bei der Bekämpfung von Entzündungen und oxidativem Stress eine Rolle spielen.
Schnelle Anpassung ist keine Entwarnung
Studien-Autorin Dr. Halina Binde Doria vom LOEWE-Zentrum TBG und dem SBIK-F ordnet die Ergebnisse ein: „Auch wenn sich die Mücken sehr schnell an das Mikroplastik anpassen konnten, ist das nur teilweise eine gute Nachricht. Denn dies spiegelt möglicherweise nicht die Situation in natürlichen Populationen und Ökosystemen wider. Dazu müssen viele verschiedene Faktoren berücksichtigt werden.“ Zum einen zeige die Versuchssituation möglicherweise nicht alle negativen Auswirkungen von Mikroplastik auf das Überleben beziehungsweise die Vermehrungsrate.
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So beeinflusse zum Beispiel die Aufnahme von Mikroplastikpartikeln direkt oder indirekt die Nährstoffaufnahme im Darm und könne in nährstoffarmen Phasen, zum Beispiel im Winter, negative Auswirkungen haben. Auch könne die Anpassung an den Kunststoff wichtige andere Anpassungen, wie etwa die Kontrolle der Mutationsrate, außer Kraft setzen. Zudem sei bekannt, dass sich nicht alle Arten so schnell anpassen könnten wie die Zuckmücken. Auf diese hätte Mikroplastik längerfristig schädliche Auswirkungen.
Mikroplastik als unterschätze Bedrohung
Studienleiter Prof. Markus Pfenninger, ebenfalls am LOEWE-Zentrum TBG und dem SBiK-F tätig sowie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, fasst zusammen: „Unsere Studie zeigt, dass Mikroplastik in der Umwelt das Potenzial hat, die evolutionäre Entwicklung der ihm ausgesetzten Arten für immer zu verändern. Auch wenn unmittelbar schädliche Auswirkungen scheinbar ausbleiben, stellt Mikroplastik eine bisher unterschätzte Bedrohung aller Ökosysteme dar.“