Glorifizierung von Gründer:innen: Holt sie runter vom Podest!
Schön langsam reicht es. Gestern ist dann sogar großen Teilen der deutschsprachigen Startup-Szene der Kragen geplatzt. Denn der (sowieso strittige) Groß-VC Andreessen Horowitz kündigte an, satte 350 Millionen Dollar in ein Business des ehemaligen WeWork-Gründers Adam Neumann zu pumpen.
Genau, jener Neumann, der mit zwielichtigen Sales-Praktiken, Pseudo-Guru-Getue („The Cult of We“) und fragwürdiger Kommunikation ein einstmals 47 Milliarden Dollar schweres Unternehmen fast an die Wand fuhr, der eigenen Firma die Markenrechte verkaufte und dann auch noch im Zuge seines unrühmlichen Abgangs mit mehr als einer Milliarde in der Tasche davonkam. Sicher einer der ganz Großen der Fadenscheinigkeit.
Nun aber meint Marc Andreessen, Neumann sei weiter ein „visionären Leader“, der mit seiner neuen Company, die dann erst 2023 wirklich zeigen wird, was sie überhaupt macht, die Immobilienbranche disruptieren soll. Ziemlich teure Vorschusslorbeeren für einen, der immer in die eigene Tasche arbeitete und sehr viel verbrannte Erde hinterließ. Als wäre das WeWork-Debakel nie passiert, wird Neumann nun mit 350 Millionen Dollar überschüttet.
„Am Fließband Menschen verarscht“
„Gründer wie Neumann sind […] ein Grund dafür warum Unternehmerinnen und Unternehmer gesellschaftlich skeptisch beäugt werden – sein Vorgehen kreiert Chaos und Schaden. […] Neumann hat am Fließband Menschen verarscht, Kleinanleger geprellt, Mitarbeiter und Investoren hinters Licht geführt. Dass diese Charaktereigenschaften jetzt mit so einer Monsterrunde quittiert werden, stimmt mich mehr als nachdenklich“, machte sich gestern Christian Miele, General Manager beim VC Headline sowie Vorstandsvorsitzender des deutschen Startup-Verbands, seinem Ärger Luft.
Damit trifft Miele einen Nerv. Es geht nicht nur um Neumann, der ist nur das neueste Symptom eines grundlegenden Problems der Tech- und Startup-Branche. Die Huldigung der genialen Gründer:innen, die die Welt verbessern, hat überhand genommen. Egal ob Elon Musk, Adam Neumann, Peter Thiel (emsig dabei, die Rückkehr Trumps vorzubereiten), Mark Zuckerberg, Sebastian Siemiatkowski (Klarna), Travis Kalanick (Uber), Alex Mashinsky (Celsius Network), Trevor Milton (Nikola) oder Michael Saylor (MicroStrategy) – sie alle wurden vor allem von Investor:innen und anderen CEOs auf ein Podest gehoben, für ihre angebliche Genialität gepriesen, mit Geld und Macht überhäuft.
Geschäftsmodelle durchleuchten anstatt Foundern huldigen
Leider muss man nun 2022 festhalten, das die meisten dieser Gründer und CEO sich entweder bereits für Fehleinschätzungen entschuldigen mussten oder es bald machen sollten. Und der Rest der Welt sollte sich die Frage stellen, ob man beim nächsten Mal mehr die Geschäftsmodelle, die diese Menschen aufbauen, durchleuchten sollte, anstatt blind die großen Sprüche der „Stars“ nachzubeten.
Oder mal konkret gefragt: Wie geil ist die Schuldenfalle „Buy Now Pay Later“ wirklich? Würde man noch jemals auch nur 1 Cent in Krypto-Lending investieren? Wie toll sind personalisierte Ads wirklich? Wie lange zieht sich die Musk’sche Twitter-Farce noch dahin? Und: Würdest du in eine Mietwohnung von Landlord Adam Neumann einziehen?
Das ist die eine Seite unserer Kommentar-Serie „Double Trouble“. Oliver Janko ist hinsichtlich der Glorifizierung von Gründer:innen anderer Meinung. Seinen Kommentar liest du hier:
Glorifizierung von Gründer:innen: Nicht jede:r ist ein Peter Thiel