GoStudent-Tutor:innen erheben Vorwürfe: “Wir wurden zu Steuerhinterzieher:innen gemacht”
Die Anschuldigungen rund um das einstige Wiener Unicorn “GoStudent” reißen nicht ab. Trending Topics hat mit acht deutschen Tutor:innen gesprochen, die anonym bleiben möchten. Fünf von ihnen sind noch auf der Nachhilfe-Plattform als Lehrer:innen aktiv, zweien hat es “gereicht” und sie haben sich mittlerweile vom Unternehmen getrennt und eine Person wäre dabei “sich stückweise” zu trennen. Alle werfen GoStudent vor, das Unternehmen ändere seine AGB ohne zu informieren, schreibe Rechnungen im Nachhinein um und verlange plötzlich von den Nachhilfelehrer:innen Steuern über das sogenannte Reverse Charge System an das Finanzamt abzuführen – und zwar von der Provision, die GoStudent für seine Vermittlungsdienste kassiert. Das Unternehmen weist alle Vorwürfe zurück und äußert sich nicht zu den nachträglich angepassten Rechnungen.
Wer schließt Verträge mit wem ab?
Laut den GoStudent AGB “kommt zwischen Lehrer und Nutzer ein Lehrervertrag zustande, wenn der Lehrer eine Anfrage für Video-Unterricht annimmt“. Das heißt, der Vertrag kommt unmittelbar zwischen den Tutor:innen und den Eltern zustande. Schriftlich wurde ein solches Dokument allerdings nie aufgesetzt, geben die Tutor:innen gegenüber Trending Topics an. Das geht auch schwer, da die beiden Parteien nicht miteinander in Kontakt treten dürfen. An einer anderen Stelle in den AGB ist zu lesen: “Der Abschluss des Lehrervertrags erfolgt individuell am Telefon oder per vergleichbarer elektronischer Kontaktaufnahme.” Damit meint GoStudent sich selbst, da das Unternehmen die Eltern beziehungsweise Kund:innen anruft und ihnen ein Nachhilfe- Abo anbietet und verkaufen möchte. “Der Vertrag kann aber auch online auf der Plattform abgeschlossen werden, indem auf den Button “Jetzt kostenpflichtig bestellen” geklickt wird“, ist den AGB zu lesen. GoStudent schließt also die Lehrerverträge für die Tutor:innen ab.
Die Bezahlung wird ebenso über GoStudent abgewickelt – nicht zwischen dem Nachhilfelehrer und den Eltern. Den Eltern wird keine offizielle Bestätigung über den Vertragsabschluss zugeschickt. Nur im GoStudent-Log-in-Bereich können Eltern ein Dokument finden, dass die “offizielle Vereinbarung” für den Nachhilfeunterricht festhält. Auf der Plattform tätige Tutor:innen dürfen das Schriftstück nicht einsehen, als Begründung wird der Datenschutz genannt. Die Tutor:innen wissen demnach nicht, was den Eltern tatsächlich von GoStudent verrechnet wird.
Trending Topics liegt ein derartiges Vertragsexemplar über eine 12-monatige Nachhilfe-Vereinbarung aus Deutschland vor. Obwohl es also einen mündlichen wie auch schriftlichen Vertrag zwischen den Eltern und GoStudent gibt, steht in den AGB: “GoStudent wird selbst nicht Vertragspartei der zwischen den Nutzern und Lehrern abgeschlossenen Lehrerverträge.”
In den Chatprotokollen zwischen GoStudent-Mitarbeiter:innen, die für Tutor:innen zuständig sind und den Tutor:innen selbst, wird allerdings wiederholt erwähnt, dass es sehr wohl Verträge zwischen den GoStudent und den Eltern gäbe.
Die sich verändernden GoGuidelines
Außerdem gibt es ein Dokument, die “Go Richtlinien – Vertragliche Grundsätze”, das sich GoStudent von den Tutor:innen unterzeichnen ließ. TT liegt eine handschriftliche Fassung vom 13. Juli 2019 vor. Bis Ende 2022 mussten die Tutor:innen den “GoGuidelines” digital zustimmen, wie die vorliegenden Dokumente zeigen. Dabei will GoStudent doch nur Vermittler sein und schreibt in seine AGB “Zwischen den Lehrern und GoStudent entsteht kein Arbeitsverhältnis gleich welcher Art”. Diese Behauptung ärgert die acht “selbstständigen” Tutor:innen, mit denen Trending Topics im Gespräch war, sehr. Denn Arbeitsweisungen gibt es reichlich. Tutor:innen wird “empfohlen”, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten sie unterrichten sollen, sie werden “ermutigt”, mindestens sechs Einheiten pro Woche Nachhilfestunden zu geben und “müssen” vor ihrem Austritt der Plattform sogar die Übergabe an eine:n andere:n Tutor:in sicherstellen. All das ist in den Richtlinien zu lesen, denen Tutorin Amalia* Ende 2022 digital zugestimmt hat. In den AGB stehen andere Regelungen niedergeschrieben, aber diese werden laufend aktualisiert. Laut den acht Tutor:innen, ohne dass sie jemals darüber informiert wurden.
Fakt ist, GoStudent hat Vereinbarungen mit beiden Parteien, lässt sich von den Eltern für seine Services bezahlen, zahlt den Tutor:innen einen Teil davon aus, bezeichnet sich selbst aber trotzdem nur als Vermittler.
Wie Honorarnoten zu Zahlungsbestätigungen wurden
Geht es um die Zahlungen und Rechnungen, wird das Ganze noch ein Stück spannender. Ursprünglich wurden den Tutor:innen für ihre Nachhilfe-Leistungen “Honorarnoten” ausgestellt – automatisch generiert durch das GoStudent System. Darauf zu sehen war der Betrag, den GoStudent an die Lehrer:innen überwiesen hat – Steuern werden nicht erwähnt. Dieselben Honorarnoten wurden später in “Zahlungsbestätigungen” umgetauft, tragen aber dasselbe Datum, der Satz “Für meine freiberufliche Tätigkeit als Lehrer auf der Nachhilfe-Vermittlungsplattform GoStudent erlaube ich mir, folgenden Betrag in Rechnung zu stellen.” wurde rausgestrichen. Auch davon liegen Trending Topics einige Belegexemplare vor, die eindeutig zeigen, dass Rechnungen nachträglich verändert wurden. Die Tutor:innen wollen das nur zufällig über eine Section in ihrem jeweiligen Tutoren-Profil auf der GoStudent-Plattform mitbekommen haben.
Der dritte Beleg hat es in sich
Das ist aber noch nicht alles: Seit zumindest Dezember 2022 wurde noch eine dritte Art von Rechnung rückwirkend ausgestellt, worauf jetzt von Steuern und einer GoStudent-Provision die Sprache ist. Wieder hat eine Umbenennung stattgefunden: “Zahlungsbestätigungen” wurden nachträglich in “Information über Tutor Auszahlung und Rechnung für Vermittlungsleistungen” geändert – wieder tragen sie dasselbe Datum. Laut den befragten Tutor:innen wurden zu zahlreichen Monaten überhaupt keine Rechnungen seitens GoStudent ausgestellt – bis heute warten sie vergeblich auf Rechnungen. Laut einem deutschen Insider müssen Rechnungen von vor Juni 2023 manuell erstellt werden”, wie er von einer GoStudent-Mitarbeiterin weiß. Deshalb dauere der Ausstellungsprozess so lange. Trending Topics liegt ein Screenshot vor. “Die Rechnungen ändern sich praktisch ständig, genauso wie die AGB”, weiß Tutor *Ibrahim.
Das Spiel mit der Provision und den Steuern
Wer bezahlt hier eigentlich Steuern? Eine gute Frage. Unsere Aufmerksamkeit liegt bei der dritten Belegart, der “bunten Rechnung”, da sie mit einem bunten Muster versehen ist, im Gegensatz zu ihren beiden Vorgängern. Sie ist die ausführlichste aller ausgestellten Dokumente. Dort werden zwei Punkte angeführt, die neu sind. Und zwar die Nettoprovision für Vermittlungsdienstleistungen und das Reverse Charge System. Jetzt wird es steuerlastig, denn diese Klausel, die Tutor:innen 2023 auf ihren Rechnungen “zufällig” entdeckt haben, besagt, dass sie auf die Provision, die GoStudent kassiert, Steuern zahlen müssen. Im Fall von Matthias L.* waren das für Juni letzten Jahres mehr als 1.000 Euro, für die er an das deutsche Finanzamt Umsatzsteuer abführen müsste. Die Tutor:innen fühlen sich “auf einmal wie „Kund:innen” behandelt – sie sind davon ausgegangen, dass ihre Nachhilfe-Leistungen steuerbefreit sind, wie es im Umsatzsteuergesetz (UStG) in § 4 Nr. 21 UStG geregelt ist. GoStudent sieht das anders. Das Unternehmen verpflichtet Tutor:innen durch das Reverse Charge Verfahren Umsatzsteuer für “Kundenakquise, Schüler-Matching, Kunden- & Tutoren- Support, Hosting sowie Bereitstellung, laufender Betrieb und kontinuierliche Weiterentwicklung der technischen Infrastruktur” abzuführen – für ihre Vermittlungsdienste eben. Für die Dienstleistung Nachhilfe an sich müssen die Tutor:innen also keine Steuern begleichen, für alles andere schon.
Erst kostenlos, dann doch nicht
Interessant ist, dass die “GoGuidelines” die Amalia* Ende 2022 akzeptiert hat, als sie als Tutorin bei GoStudent einstieg, folgendes sagen: “GoStudent stellt die Infrastruktur sowie die Vermittlung von Schüler:innen kostenlos zur Verfügung”. Das hat sie akzeptiert, damit war sie einverstanden. Dem Reverse Charge System, der Umkehr der Steuerlast, wobei “selbstständige” Tutor:innen rückwirkend bis die Steuern auf die Provision von GoStudent abführen sollen, hat sie nach eigenen Angaben weder zugestimmt, noch wurde sie darüber informiert. Wir erinnern uns: Die bunten Rechnungen sind laut den Tutor:innen erst seit Mitte letzten Jahres aufgetaucht – teilweise rückwirkend ausgestellt bis zumindest Dezember 2022. Zuvor wurden Honorarnoten beziehungsweise Verdienstnachweise ausgestellt und die Einnahmen waren netto angeführt ohne Angabe von Steuern. GoStudent äußerte sich auf Anfrage von Trending Topics nicht dazu, ob oder wofür das Unternehmen Steuern bezahlt.
Angst vor dem Finanzamt
Die aktuelle Situation sieht so aus, dass sich Tutor:innen vor Steuernachzahlungen und Problemen mit dem deutschen Finanzamt fürchten. “Auf Anfrage hieß es, dass dieses Verfahren seit 2022 angewendet wurde und die Tutoren nach Rechnungen hätten fragen sollen. Dazu sei gesagt, dass ich am Anfang gesagt bekommen habe, ich würde freiberuflich auf Provision arbeiten. Durch dieses Vorgehen hat GoStudent uns alle zu Steuerhinterziehern gemacht”, teilte uns Tutor Max* mit.
Wurde das Verfahren tatsächlich seit 2022 angewandt, bleibt die Frage, warum den Tutor:innen die “bunten Rechnungen” nicht direkt ausgestellt wurden? Warum hat man ihnen zuerst Honorarnoten und Zahlungsnachweise geschickt und teilweise erst eineinhalb Jahre rückwirkend die bunte Rechnung, also die “Information über Tutor Auszahlung und Rechnung für Vermittlungsleistungen” ausgestellt? Eine Antwort von GoStudent auf die Frage, weshalb die Rechnungen nachträglich zumindest bis Dezember 2022 adaptiert wurden, blieb aus.
Amalia* fasst die Situation so zusammen: “Das Ganze belastet mich sehr und ich bin nicht die Einzige. Die meisten hier, mich eingeschlossen, sind junge Menschen, teilweise noch Student:innen, die sich keinen Steuerberater oder Anwalt leisten können. GoStudent hat uns gelockt mit ´schnell und easy´, jetzt kriegen wir plötzlich heraus, dass wir möglicherweise mehr als zwei Monatsverdienste Steuern schulden? Das ruft Existenzsorgen hervor. Ich liebe meine Arbeit als Tutorin, aber die jetzige Situation lässt mich zweifeln, ob ich 2022, als ich bei GoStudent angefangen habe, vielleicht einen gravierenden Fehler begangen habe.”
GoStudent bestreitet Vorwürfe
Trending Topics hat GoStudent mit den Vorwürfen konfrontiert und dem Unternehmen eine Woche Zeit gegeben, darauf zu reagieren. GoStudent streitet ab, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen vorgeht. “Jede Andeutung, dass wir Steuern auf Nachhilfelehrer:innen abwälzen, ist falsch”, antwortet eine Unternehmenssprecherin per E-Mail. Weiter teilt sie mit: “Als Plattform, die Nachhilfelehrer:innen mit Schüler:innen verbindet, trägt GoStudent nicht die Verantwortung für die Steuern der einzelnen Nachhilfelehrer:innen, die die Plattform nutzen und kann diese auch nicht übernehmen. Alle Nachhilfelehrer:innen auf der Plattform sind selbstständig tätig und damit für die Erklärung und Abführung der fälligen Steuern in Übereinstimmung mit ihren individuellen Umständen verantwortlich.” Abschließend fügt sie hinzu, dass GoStudent seine “Leitfäden für Nachhilfelehrer:innen überprüfen wird, um ihnen dabei zu helfen, potenzielle steuerliche Aspekte ihrer Tätigkeit besser zu verstehen.”
Nur die Gerichte können entscheiden
Im Vorjahr wurde GoStudent sowohl vom Oberlandesgericht Wien als auch vom Kölner Landgericht für zahlreicher unzulässige Klauseln verurteilt. Dabei ging es auch um Klauseln zur einseitigen AGB- und Leistungsänderung, um nur ein Beispiel zu nennen. Aktuell steht in den AGB geschrieben: “Allfällige mit der Auszahlung des Guthabens verbundene Steuern und Abgaben sind ausschließlich durch den Lehrer selbst zu erklären und abzuführen. Der Lehrer verpflichtet sich, GoStudent diesbezüglich vollständig schad- und klaglos zu halten.” Tutor Jan* teilt abschließend mit: “Viele Tutoren hinterziehen jetzt aus Unwissenheit einfach die Steuer und hoffen auf das Beste.”
* Sämtliche Namen der Tutor:innen wurden aufgrund des Quellenschutzes geändert.
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