Grazer Forscherinnen lassen Fleisch im Reagenzglas wachsen
In der jüngeren Zeit haben Startups, welche den Fokus auf In-vitro-Verfahren legen, immer wieder global für Aufmerksamkeit gesorgt. Viele fokussieren sich dabei auf Fleischprodukte, aber auch Fisch, Milch und sogar Kaffee aus dem Reagenzglas befinden sich unter anderem in der Forschungs-Pipeline. Aber die In-vitro-Thematik ist keine, welche nur auf der Weltbühne eine Rolle spielt. Auch hierzulande ist das Thema längst angekommen. So auch in Graz. In der steirischen Hauptstadt forschen zwei Forscherinnen an dem Fleisch aus dem Reagenzglas.
Die Grazer Forscherinnen Aleksandra Fuchs und Viktorija Vidimce-Risteski des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und des Institutes für Molekulare Biotechnologie an der Technischen Universität Graz (TU Graz) forschen an einer Fleischalternative aus der Reagenzglas. Dabei fokussieren sie sich neben der Herstellung alternativer Fleischprodukte, auch auf die Produktion tierischer Proteine, wie Myoglobin und Hämoglobin, welche ebenso für alternative Fleischprodukte benötigt werden.
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Nährmedium als größte Herausforderung
Zunächst zu dem eigentlichen Fleisch aus der Petrischale: „Aus einer wenige Millimeter großen Probe können optimalerweise so bis zu 2 Tonnen Fleisch gewonnen werden“ berichtet die acib-Forscherin Aleksandra Fuchs der APA. Unter Lokalanästhesie wird den Tieren standardmäßig eine 0,5 cm3-große Gewebeprobe entnommen, aus welcher im Anschluss die Stammzellen isoliert werden. Diese werden auf ein Trägergerüst aufgetragen und in einem Bioreaktor mit einem Nährmedium versorgt, sodass sie sich vermehren und sich zu Muskel- und Fettzellen weiter entwickeln.
„Die bisher größte Herausforderung beim Herstellungsprozess von natürlichen Fleischalternativen ist das Medium, in dem die Fasern gezüchtet werden. Im Bioprozess übernimmt dieses quasi die Funktion des Blutes: Es versorgt alle Zellen mit den lebenswichtigen Molekülen, darunter Aminosäuren, Mineralien, und andere Nährstoffe – und ermöglicht somit ihr Wachstum“, so die Forscherin Vidimce-Risteski. Anfangs griff man dabei auf – aus Kälbern gewonnenes – Rinderserum zurück. Das geht somit aber auf die Kosten der Tiere, aber auch auf die der Produzierenden. Denn die hohen Kosten für das Fleisch aus dem Labor wurden bisher auf vor allem durch die Kosten für das Rinderserum getrieben.
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Hefe statt fötales Kälberserum
Die Grazer Forschenden setzen daher auf eine pflanzliche Alternative. Aus verschiedenen Bio-Produzenten, wie die Hefe, werden nun weitaus günstigere Nährmedien hergestellt. Das senke entsprechend die Produktionskosten, so die Forscherinnen. „Indem wir diese Hefestämme so „erziehen“, dass sie verschiedene Komponenten für unser Wachstumsmedium herstellen, senken wir die Produktionskosten erheblich“, erklärt Fuchs.
Fleisch im Labor wachsen zu lassen, ist dabei die eine Frage, die andere ist es, auch Geschmack, Farbe und Geruch möglichst genau zu treffen. Dafür sind zwei Proteine hauptverantwortlich: Myoglobin im Muskelgewebe und Hämoglobin im Blut. Beide Proteine konnten bisher nur aus Tieren gewonnen werden, so Vidimce-Risteski und Fuchs. Die Forscherinnen haben nun jedoch diese ebenfalls in Hefe herstellen können, geben diese an. Ziel sei es, „zukünftig große Mengen davon zu produzieren“, so Vidimce-Risteski.
Weitere Forschung zu In-Vitro-Fleisch notwendig
Bis es tatsächlich In-vitro-Fleischprodukte made in Graz im Supermarkt zu kaufen geben könnte, wird es aber voraussichtlich noch dauern. Bisher hätten sie erst eine sehr kleine Menge an Fleisch produziert, so die Auskunft des acib auf Nachfrage von Tech & Nature. Auch einige Eigenschaften eines konventionellen Fleischstückes, wie die Bissfeste beispielsweise, brauchen noch die Forschung. Vielmehr geht es aktuell um die Erforschung einer bestmöglichen Machbarkeit des Prozesses auf Basis der genannten Inhaltsstoffe, so die Angaben dazu. In weiterer Folge sollen die Erkenntnisse aus der Forschung dann auch der Praxis zur Verfügung gestellt werden.
Zudem sind in Europa bisher auch darüber hinaus noch keine In-vitro-Produkte zugelassen. Diese würden unter die Novel-Foods-Anmeldung fallen. Bis zur Marktreife des Prozesses in Graz und der anschließend erfolgreichen Novel-Foods-Anmeldung, wird es noch einige Jahre Entwicklung benötigen. Vorsichtig geschätzt, könne davon ausgegangen werden, dass es noch ein Jahrzehnt dauern wird, bis das alternative Fleisch in den Supermarktregalen stehen wird, so die acib.
Von Singapur in die Welt? Laborfleisch erhält erstmals Verkaufserlaubnis
Zusammenarbeit für Marktreife
Auch auf globaler Ebene ist das In-vitro-Fleisch zumeist noch in der Entwicklung. Im Dezember 2020 haben die im Labor produzierten Chicken Nuggets des amerikanischen Lebensmittelherstellers Eat Just in Singapur die Verkaufserlaubnis erhalten. Diese wurden kurz vor Weihnachten 2020 in dem Privat Member Club 1880 in Singapur erstmals den Gästen serviert. Das war eine weltweite Premiere für das Laborfleisch.
Bisher ist die Technologie aber zumeist noch nicht ausskaliert, insbesondere der hohe Preis ist eine Hürde. Für die Bewältigung dieser Hürden haben sich inzwischen auch einige der marktführenden Unternehmen zusammengeschlossen. 14 Unternehmen gehören aktuell dem Verband Cellular Agriculture Europe an, welcher erst Ende 2021 gegründet wurde. Ziel ist es, so schneller die In-vitro-Produkte zur Marktreife und schlussendlich in den Verkauf zu bringen.