Grazer Projekt: Wasserstoff aus Schweinegülle nun kommerziell einsetzbar
Er gilt als „Champagner unter den Energieträgern“, soll CO2-intensive Branchen künftig klimaneutral machen und irgendwann sogar in großem Maßstab Schiffe oder Flugzeuge antreiben. Die Rede ist von Wasserstoff. Grün ist dieser jedoch nur, wenn er mit Hilfe von Erneuerbaren Energien, also aus Wasser-, Wind- oder Solarenergie hergestellt wird. Doch derzeit fehlen noch die Kapazitäten an Erneuerbaren, weshalb die grüne Variante des Kraftstoffs bisher noch nicht massentauglich ist.
Das wollen Forschende der Technischen Universität Graz und des Grazer Startup Rouge H2 Engineering ändern. Diese haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Wasserstoff regional erzeugen lässt: „Chemical-Looping Hydrogen-Methode“ nennen sie das Verfahren, mit dem auf Basis von Biogas und Biomasse Wasserstoff erzeugt werden kann. Im Rahmen des Projekts „Biogas2H2“ wurde das Verfahren erstmals an einer Demonstrationsanlage 2020 im südsteirischen Mureck getestet. Nun hat die TU Granz angekündigt, dass die Technologie reif für den kommerziellen Einsatz ist.
Österreichische E-Wirtschaft bemängelt geringe Nutzung von Wasserstoff-Potenzial
Wasserstoff aus Gülle und Getreideresten
Die Demonstrationsanlage des Projekts steht am Firmengelände des Stromanbieters Ökostrom Mureck GmbH, direkt bei dessen Biogasanlage. Das hier gewonnene Biogas ist Methangas, das aus Schweinegülle, Glycerinphase, Silomais und Getreideresten besteht. Von diesem Biogas zweigt sich die Demonstrationsanlage etwa ein Prozent ab und vermischt es mit Wasserdampf. Das Gemisch strömt dann in den Reaktor der Anlage. Dort wird das Biogas reformiert und Synthesegas hergestellt. Dieses Gas reduziert in weiterer Folge Eisenoxid zu Eisen. Dann kommt Wasserdampf in den Reaktor, der das Eisen wieder zu Eisenoxid re-oxidiert. Dabei entsteht Wasserstoff.
„Wir zeigen damit, dass ein Chemical-Looping System in eine bestehende Biogasanlage eingebunden werden kann. Es entsteht hochreiner Wasserstoff für Brennstoffzellen aus realem Biogas, und zwar nicht nur im Labor, sondern tatsächlich im industriellen Maßstab“, sagt Viktor Hacker vom Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der TU Graz.
Zebras & Unicorns: Chancen einer grünen Wasserstoff-Revolution
Kommerzieller Einsatz möglich
Bis Ende Oktober ist die Demonstrationsanlage noch zu Testzwecken in Betrieb, die Technologie als solche ist nun jedoch für den kommerziellen Einsatz bereit, so die Ankündigung der Projektbeteiligten. „Würden wir anstelle des einen Prozents den gesamten Biogasstrom der Murecker Biogasanlage (etwa 480 Kubikmeter pro Stunde) durch eine entsprechend hochskalierte Chemical-Looping-Anlage leiten, kämen wir sogar auf eine 3 Megawatt Wasserstoffproduktionsanlage“, so Gernot Voitic, Projektleiter bei Rouge H2. „Das bedeutet, die Technologie ist nun reif für den kommerziellen Einsatz. Wir können auch im großen Maßstab dezentralen Wasserstoff aus realem Biogas herstellen. Alles, was es braucht, ist ein wenig Platz für unsere Anlage. Wir sind daher ab sofort offen für Aufträge aus der Biogasindustrie.“
Bei Stromanbietern wie die Ökostrom Mureck GmbH weckt die Technologie natürlich Interesse, da sie dadurch die Möglichkeit bekommen, neben Strom zusätzlich auch grünen Wasserstoff zu erzeugen. Doch auch wenn sich die Technologie nun mit bestehenden Biogasanlagen integrieren lässt, bleiben dennoch zentrale Fragen offen, wenn es um die flächendeckende Verfügbarkeit des Wasserstoffs geht. Dazu gehört etwa die Frage, was mit dem Wasserstoff nach der Herstellung geschehen soll.
In Oberösterreich soll in ehemaligen Erdgaslagern grüner Wasserstoff gespeichert werden
Tanken und Transport des Wasserstoffs unklar
Laut den Projektverantwortlichen sei es naheliegend, neben Anlagen, die Biogas für die Wasserstoffherstellung nutzen, auch eine Wasserstofftankstelle zu errichten. Das Problem ist jedoch, dass wasserstoffbetriebene Fahrzeuge laut Vorgaben mit derzeit 700 bar Druck betankt werden müssen. Das sei nötig, um möglichst viel Wasserstoff in einen möglichst kleinen Tank reinzubekommen und so eine attraktive Reichweite zu erlangen“, so Hacker. Die von ihnen entwickelte Anlage erzeugt Wasserstoff jedoch nur mit einem Druck von bis zu 100 bar, was für die Betankung folglich nicht reicht. Den Wasserstoff auf die benötigten 700 bar zu komprimieren, ist laut dem Forscher sowohl herausfordernd als auch teuer. Eine andere Möglichkeit wäre, den Wasserstoff nach der Herstellung in Gasflaschen zum weiteren Transport abzufüllen oder ihn über Leitungen direkt zu mit Brennstoffzellen ausgestatteten Wohnhäusern oder Industriebauten zu befördern.
Bis der „Champagner unter den Energieträgern“ somit aber überall erhältlich ist, sind also noch einige Fragen zu klären. Denn selbst wenn der Wasserstoff erfolgreich regional hergestellt werden kann, muss ihn auch jemand abnehmen. Dem sind sich auch Stromanbieter bewusst. „Wir könnten uns sehr gut vorstellen, unser Biogas auch zur Herstellung von Wasserstoff zu verwenden und unser Gelände um eine entsprechende Anlage zu ergänzen“, sagt Karl Totter von der Ökostrom Mureck GmbH. „Aber abkaufen muss uns den Wasserstoff auch jemand. Nachfrageseitig muss sich noch etwas bewegen, damit wir diesen Investitionsschritt setzen können.“