Interview

Gregor Demblin über sein neues Buch: „Ich will nicht die 08/15-Antworten geben“

myAbility-Gründer Gregor Demblin. © myAbility
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Dass ein Leben sich nach einer Krise verändert, aber nicht unbedingt schlechter wird – das will der Wiener Unternehmer Gregor Demblin mit seinem neuen, ersten Buch „Wie ich lernte, Plan B zu lieben“ zeigen. Demblin ist Gründer der auf Inklusionsthemen spezialisierten Sozialberatung myAbility und des auf Exoskelette fokussierten Startups Tech2People und zeigt der Welt wieder einmal, was auch mitten im Krisenjahr 2020 so alles möglich ist. Nachdem seine Firma myAbility vor kurzem erst eine größere Finanzierungsrunde bekannt gegeben hat (Trending Topics berichtete), gehört ihr Gründer nun zu den Buchautoren.

Als Verlag hat sich Demblin passenderweise story.one, das Salzburger Buchverlags-Startup von Hannes Steiner und Martin Blank, ausgesucht, bei dem auch Ex-Politiker Matthias Strolz beteiligt ist.

Im Interview mit Trending Topics spricht Demblin über die Inhalte seines Buchs, wie er vor vielen Jahren zuerst Politiker werden wollte, bevor er Unternehmer wurde, und warum Exoskelette einmal Rollstühle ablösen werden.

Trending Topics: Du veröffentlichst heute dein erstes Buch „Wie ich lernte, Plan B zu lieben„. Worum geht es in dem Buch?

Gregor Demblin: Die Idee, ein Buch zu machen, gab es schon länger. Ich will mit dem Buch Menschen an der Erfahrung teilhaben lassen, wie man sich durch die Annahme einer Situation völlig neue Möglichkeiten eröffnen kann. Sobald ich eine Situation akzeptiere und mich öffne, kommen plötzlich ganz neue Möglichkeiten daher. Das habe ich am aller stärksten nach meinem Unfall bemerkt, als die Ärzte nach einem Jahr intensivem Training gesagt haben: Face it, du kannst nicht mal mit der kleinen Zehe wackeln, das wird nichts mehr.

Das war wie eine doppelte Ohrfeige für mich. Da habe ich mir gesagt: Gut, dann wird mein altes Leben nicht mehr zurück kommen, aber dann will ich in meinem neuen Leben das erleben, was noch möglich ist. Mit der Zeit bin ich drauf gekommen: Es ist eh noch alles möglich. Vielleicht anders, aber sicher nicht schlechter. Und gerade jetzt in der Corona-Krise, in der sehr viele Menschen Veränderungen durchmachen, wo viele ihren Job verlieren, sind viele in der Situation, das der bisher gelebte Plan A nicht mehr funktioniert. Da will ich die Botschaft mitgeben: Akzeptieren, wie die Situation ist, ausprobieren, was geht, mit dem Ziel ein glückliches Leben zu führen.

Du musstest tief in deiner eigenen Geschichte für dieses Buch wühlen. Wie intensiv war das?

Es war sehr intensiv. Ich dachte, der Unfall ist eh schon 25 Jahre her und du hast das längst hinter dir. Ich wollte nicht die 08/15-Antworten geben, die ich oft in Interviews gegeben habe, und das war sehr intensiv, spannend schön. Aber es sind diese ganzen Stimmungen wieder hochgekommen, und im Nachhinein ist es sehr wertvoll, dass ich mich damit auseinander gesetzt habe.

Das Wesentliche ist aber, nicht über mich und mein Leben zu schreiben, sondern zu zeigen, was alles möglich ist und den Menschen den Mut zu geben, mit Veränderungen umzugehen und sich vor Veränderungen nicht fürchten zu müssen.

Du hast gerade gesagt, dass du keine 08/15-Sprüche bringen willst. Was wäre denn eine Nicht-08/15-Lehre, die du uns mitgeben kannst?

Das Wesentliche ist, sich zu öffnen. Ich wollte keinen Ratgeber schreiben, in dem dann 5 Regeln drinstehen, die man befolgen muss, und ich wollte auch keine Autobiografie schreiben, sondern über Situationen, die Leben pur sind und die jeder auch schon mal ähnlich erlebt hat.

Das Spannende ist zu sehen, dass man in jeder Situation viele Möglichkeiten hat, und dann fängt das Ganze ja erst an. Dann kann man sich fragen: Wie sieht mein ideales Leben überhaupt aus? Manche Dinge sind leicht, manche unendlich schwer, aber das Wichtige ist das Hinterfragen und das Offen sein.

Für ein Porträt als „Gründer der Woche“ bei Trending Topics habe ich mich kürzlich etwas näher mit deiner Lebensgeschichte auseinandergesetzt. Besonders faszinierend habe ich empfunden, dass du dich sehr bald nach deinem Unfall ins Unternehmertum gestürzt hast. Was hat dich dazu gebracht, Unternehmer zu werden?

© story.one
© story.one

Ich bin da hinein gerutscht, fast hinein gezwungen worden. Man wird ja immer in Schachteln gesteckt. ich habe mich zuerst in meiner Schachtel sehr bequem gefühlt – Absolvent einer Eliteschule, gutes Netzwerk, alle Möglichkeiten. Und dann plötzlich der radikale Bruch, und ich war in einer Schachtel, in der ich gar nicht sein wollte. Man hat mir nichts mehr zugetraut, hat mir auf die Schulter geklopft. Das erste Mal in meinem Leben habe ich Mitleid entgegen gebracht bekommen, da konnte ich überhaupt nicht damit umgehen, weil das ja auch eine Frage von Hierarchien ist. Das war ganz ganz schwer für mich.

Dann habe ich mir gedacht: In der Schachtel, in die mich die da hinein stecken, will ich sicher nicht mein restliches Leben verbringen. Und dann ist der große Wunsch entstanden, in der Gesellschaft etwas zu verändern. Das Unternehmertum ist dann ganz en passant gekommen. Zuerst wollte ich in die Politik schauen, aber dann habe ich gemerkt, dass in der Politik eigentlich niemand wirklich Dinge verändern will. Und dann bin ich eben den Weg übers Unternehmertum gegangen. ich habe die Job-Plattform für Menschen mit Behinderung gestartet und habe dann immer mehr bemerkt, was für ein Potenzial Unternehmen haben, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.

Ich muss auch zugeben: ich habe schon immer unternehmerisch gedacht, mein Lieblingsspiel als Kind war DKT.

Die Frage an den Unternehmer: ist es das Ziel, Geld mit dem Buch zu verdienen? Oder dient es eher dem Personal Branding?

Also ich denke, Geld verdienen mit so einem Buch ist fast unmöglich. Das war nie die Intention. Eigentlich auch nicht Marketing. Ich wollte mal was ganz anderes ausprobieren. Es war spannend, mal zu sehen, wie Verlage funktionieren, wie PR im Buchwesen funktioniert. Es geht nicht drum, die Unternehmen, die eh gut laufen, zu promoten, sondern es war schon lange mein Bedürfnis, über die Themen Veränderung und Krisenbewältigung nachzudenken. Und als die Krise kam, dachte ich wann, wenn nicht jetzt? Das Thema passt toll in die Zeit.

Du hast deine Unternehmen angesprochen. Wie sind denn die durch die Krise gekommen? Die ist zwar nicht vorbei, aber kannst du eine Zwischenbilanz ziehen?

Die Unternehmensberatung myAbility hat am Anfang sehr schwierig ausgeschaut, weil alle unsere Kunden in Schockstarre waren. Aber die sind sehr schnell wieder zurück zu kommen. Aber bei den vielen neuen digitalen Diensten, die jetzt aus dem Boden gestampft werden, ist Barrierefreiheit ein Riesen-Thema. Da ist viel Potenzial und Licht am Horizont da.

Auf der anderen Seite kann natürlich niemand abschätzen, ob diese Wirtschaftskrise jetzt noch deutlich schlimmer wird. Wir werden auf jeden Fall diese Krise überleben, aber wenn noch ein zweiter Lockdown kommt etc., dann werden wir das deutlich zu spüren bekommen. Da werden dann Budgets eingefroren, und natürlich auch für Themen wie Inklusion. Ich schaue optimistisch in die Zukunft, aber wir werden Einbußen haben wie jeder.

Das andere Unternehmen, Tech2People im MedTech-Bereich, war anfangs natürlich auch schwierig. Es kommt jetzt aber wieder alles zurück und sind bald wieder bei der Auslastung, die wir vorher hatten. Generell hat der Sektor Medizintechnik in Kombination mit Digitalisierung eine Aufwertung bekommen. wir sind da auf einem Trend, der sehr viel Potenzial hat.

Dein erste Unternehmen, myAbility, arbeitet nach dem kürzlich bekannt gegebenen Investment an einem „Inclusion Calculator“. Wie funktioniert es, die wirtschaftlichen Vorteile für Unternehmen, Menschen mit Behinderung anzustellen, in Zahlen zu fassen?

Statistisch gesehen haben 15 Prozent der Menschen eine Behinderung. Da geht es nicht nur um Menschen im Rollstuhl, aber viele hören schlecht, sehen schlecht, und so weiter. Aber es ist immer noch ein Tabuthema, keiner sagt was. Aber 99 Prozent der Fälle können durch einfache Hilfsmittel gelöst werden, etwa durch größere Bildschirme oder flexible Arbeitszeiten. Unterschiedlichste Maßnahmen.

Wichtig ist aber zuerst, das Thema zu enttabuisieren und 15 Prozent der Belegschaft die Möglichkeit zu geben sich zu artikulieren. Wenn man eine Einschränkung oder Arztbesuche nicht mehr verheimlichen muss, hat das einen einen starken Motivationsfaktor. Wenn man es schafft, die Motivation der Belegschaft um fünf Prozent zu heben, dann bekommt das Unternehmen deutlich mehr Leistung für die selben Gehälter. Es ist eine Win-Win-Situation: Das Unternehmen hat motiviertere, leistungsfähigere Mitarbeiter, und die Mitarbeiter arbeiten unter den Umständen, die am besten für sie sind. Das kann man relativ gut hochrechnen.

Der andere Faktor sind die eigenen Kunden. Ganz einfaches Beispiel: wenn ich mit dem Rollstuhl nicht in ein Geschäft hineinkomme, werde ich dort kein Geld ausgeben, wenn ich nicht in ein Hotel reinkomme, dann werde ich mit der Familie keinen Urlaub dort buchen. Das ist ein großer Wirtschaftsfaktor.

Ist das Thema Barrierefreiheit manchmal auch ein Feigenblatt für Unternehmen im Sinne einer positiven Darstellung in der Öffentlichkeit? Und wenn ja, ist das ein Problem?

Es gibt beides. Es gibt Unternehmen, die glauben, sie machen etwas Gutes und dann Marketing-mäßig damit auf die Nase fallen. Und es gibt jede Menge Hidden Champions, für die das selbstverständlich ist, aber damit nicht an die Öffentlichkeit gehen. Ich finde jeden Versuch, an die Öffentlichkeit zu gehen, sehr sehr wertvoll, weil das Thema immer noch völlig unterbelichtet ist.

Das ist die Königsdisziplin unter den Diversity-Themen. Ich finde: Hauptsache, man tut überhaupt etwas. Schade ist es für Unternehmen, die sich überhaupt nicht damit auseinandersetzen, weil Potenzial verschenkt wird und Barrierefreiheit und Teilhabe vor allem über die Wirtschaft funktioniert.

Gregor Demblin, Mitgründer von myAbility. © myAbility
Gregor Demblin, Mitgründer von myAbility. © myAbility

Kommen wir zu deiner zweiten Firma Tech2People. Diese macht Menschen mit Behinderungen Exoskelette zugänglich. kannst du mal beschreibe, wie es sich anfühlt, in so einem Exoskelett zu stecken?

Als ich das das erste Mal ausprobiert habe, war das ein Moment, der mein Leben verändert hat. Lustigerweise haben mir vorher 15 Ärzte gesagt, dass das für mich nicht funktionieren wird, aber ich bin hartnäckig geblieben. In diesem hochkomplexen technischen Gerät mit Sensoren und Motoren bin ich dann das erste Mal nach 23 Jahren wieder gestanden. Das war schon überwältigend, weil ich die Welt wieder von oben gesehen habe.

Und dann habe ich schon die ersten Schritte gemacht. Das ist extrem anstrengend, weil man bei jedem Schritt mit dem Oberkörper mitarbeiten muss. Das hat sich so gut und so richtig angefühlt. Es ist schwer zu beschreiben. Aber wenn man sich vorstellt, dass Rollstuhlfahrer jeden Tag 14 bis 15 Stunden sitzen, das ist wie ein Langstreckenflug, bei dem man nicht einfach zwischendurch aufstehen kann.

Es war jedenfalls völlig überwältigend und ich sagte mir: Das musst du regelmäßig machen. Wir sehen jetzt bei unseren Patienten, dass sie gesünder sind, weniger Krämpfe haben, mehr Antrieb. Meine Vision ist es, in zehn Jahren mit einem Exoskelett mit meinen Kindern auf einen Berg zu gehen. Ich bin mir sicher, dass Exoskelette den Rollstuhl in absehbarer Zeit ersetzen werden. Der mensch ist nicht zum sitzen, sondern zum gehen gemacht.

Um deine Frage zu beantworten: Für jemanden, der gehen kann, ist das wohl eher unangenehm. Das Gerät hat so eine gewisse Vorstellung davon, wie ein Schrittmuster ausschauen soll. Jemand, der gehen kann, der fühlt sich da wohl etwas bevormundet und beschränkt.

Banale Frage: Wie steuerst du die Exoskelette? Joypad? Gedankensteuerung?

Es gibt unterschiedliche Ansätze. Unser Gerät funktioniert über Gewichtsverlagerung. Wenn das Gerät merkt, dass man den Oberkörper entsprechend verlagert, wird der Schritt ausgelöst. Es gibt natürlich auch andere Sätze, etwa mit Strom die Muskeln zu unterstützen.

Eine große Vision der Forscher ist es, durch Brain-Machine-Interfaces die Impulse aus dem Gehirn an die Beine weiter zu geben. Da mit der limitierende Faktor die Schädeldecke, die zu dick ist, um sehr feine Signale zu empfangen. Mit entsprechenden Chips, die im Gehirn implantiert werden, würde man diese Barriere überbrücken, und daran wird natürlich intensiv geforscht. Aber es ist nicht jedermanns Sache, sich einen Chip ins Gehirn setzen zu lassen. So oder so: Die Entwicklung ist rasend schnell.

Mit Tech2People verfolgst du das Ziel, diese Exoskelette möglichst vielen Menschen, die sie brauchen zugänglich zu machen. Eine Hürde sind dabei die Kosten. Wie teuer sind sie heute, und wie günstig müssen sie werden?

Für uns sind die Daten sehr interessant, die die Geräte produzieren. Die Daten werden derzeit nur zur Wartung genutzt, etwa um rechtzeitig einen Sensor auszuwechseln. Aber diese Daten haben wesentlich mehr Potenzial. Wir wollen diese Bewegungsdaten mit Vitaldaten wie Puls, Sauerstoffsättigung, Muskelanspannung und so weiter zusammen legen. Mit einer Big-Data-Analyse kann man dann Muster für einen optimalen Therapieverlauf erkennen. Diese Algorithmen können ja auch Muster erkennen, die uns Menschen noch gar nicht aufgefallen sind.

Diese Daten können etwa den Einsatz von Exoskeletten für Versicherungen optimieren und bei der Entwicklung Geräte vergleichbar machen. Mein Ziel wäre, dass in Wien ein MedTech-Cluster entsteht, und wir wollen mit unserem Datenmodell und Therapieansätzen etwas dazu beitragen und etwas anbieten, dass es europaweit sonst nicht gibt.

Es geht also Richtung Daten-Business?

Ja das stimmt. Ein Therapie-Exoskelett kostet 150.000 Euro, aber wenn dann Anwender-Geräte gebaut werden, gehen die Stückzahlen hinauf und die Herstellungskosten nach unten. Dann kann man in den Bereich von 15.000 Euro kommen, also das, was heute etwa ein Elektro-Rollstuhl kostet. Und wir wollen die Entwicklung mit unserem Datenmodell beschleunigen.

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