Interview

Kommt nach der Insolvenzwelle eine neue Gründerwelle, Monika Köppl-Turyna?

Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria. © M. Köppl-Turyna
Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria. © M. Köppl-Turyna
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Lockdown II ist angebrochen, und wieder fragen wir uns: Wie wird es mit der Wirtschaft nach diesem zweiten Rückschlag weitergehen? Eine, die sich sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigt, ist Monika Köppl-Turyna. Sie ist seit 1. November 2020 die neue Direktorin von Eco Austria, einem Institut für Wirtschaftsforschung. Die 35-jährige Ökonomin promovierte 2011 an der Universität Wien, bei Agenda Austria als Senior Economist tätig, habilitierte im Sommer 2020 an der Johannes Kepler Universität Linz und belegt im aktuellen Ökonomen-Ranking von Presse/FAZ/NZZ belegt Rang 12 der einflussreichsten ÖkonomInnen in Österreich.

Eco Austria ist als gemeinnütziger Verein organisiert und wird durch Mitgliedsbeiträge und Auftragsforschung finanziert. Im Interview spricht Köppl-Turyna über die Folgen von Lockdown II, über eine neue Gründerwelle, eine temporäre Senkung der Lohnnebenkosten und wie neue Home-Office-Regeln gestaltet werden sollten.

Trending Topics: Sie sind seit 1. November neue Direktorin von EcoAustria. Welche Ziele wollen sie in dieser neuen Position erreichen?

Monika Köppl-Turyna: Wir setzen uns für evidenzbasierte Vorschläge ein, mit welchen man Österreich wieder auf den Wachstumspfad bringt und international kompetitiv bleibt. Gerade jetzt ist es wichtig, dass nach der Corona-Krise Österreichs Budget wieder konsolidiert wird und der Standort attraktiver für Unternehmen und Arbeitskräfte gemacht wird.

Es wird aber ohne strukturelle Reformen nur schwer möglich sein. Meine KollegInnen und ich liefern Expertise, wie man die notwendigen Änderungen und künftige Herausforderungen –etwa in den Bereichen Effizienz, – Klimapolitk oder Steuerstruktur – am besten durchführt.

Diese Woche beginnt Lockdown II in Österreich. Welche Folgen wird das für die Wirtschaft haben?

Das ist alles noch sehr unsicher. Wenn der Lockdown wirklich nur bis Anfang Dezember dauert, wird es ein blaues Auge sein. Falls es länger dauert, wird die Situation dramatischer, wenn der Handel auf die hohen Dezemberumsätze womöglich verzichten muss. Und schlimmer noch: Budgetär kann man es sich nicht leisten, diesen Entfall zu kompensieren. Es gilt also: Ein längerer Lockdown muss mit jeder Kraft verhindert werden, indem man die Infektionszahlen wieder in den Griff bekommt.

Müssen BIP-Wachstum und Co nun neuerlich nach unten revidiert werden? Wird sich das Budgetdefizit auch ausweiten?

Noch am Anfang November sind wir von einem BIP-Rückgang von weniger als 9 Prozent ausgegangen. Inzwischen müssen wir diese Prognose wohl nach unten anpassen. Auch das nächste Jahr wird betroffen sein, da von einer späteren Erholung auszugehen ist. Das hat natürlich Konsequenzen für das Budget: Einerseits weniger Einnahmen durch den Einbruch, anderseits Notwendigkeit weiterer Hilfen, die die Ausgaben noch oben treiben.

Etwa 25 der 50 Milliarden Euro, die für Corona-Hilfen bereitgestellt wurden, sind bereits weg. Wird sich das ausgehen, oder muss die Regierung nun mit Lockdown II neue Mittel zur Verfügung stellen?

Glücklicherweise wurden die ersten Hilfen recht hoch budgetiert. Ein Teil entfällt auch auf Steuerstundungen, die irgendwann ja doch bezahlt werden, sowie Haftungen, die – hoffentlich – nicht alle schlagend werden. Dementsprechend haben wir noch etwas Spielraum. Dennoch: Sollte die Pandemie länger dauern, wäre es gut nicht, das gesamte Pulver jetzt schon zu verschießen. Wir haben ja doch bereits für heuer und nächstes Jahr einen zweistelligen Milliarden Defizit eingeplant.

Es stellt sich die Frage, ob wir mit dem Gieskannen-Prinzip unterstützen sollen, wo wir doch gerade einen massiven strukturellen Wandel beobachten und viele Geschäftsmodelle veraltet sind. Es würde absolut Sinn machen, jetzt überproportional in Wachstumsbereiche zu investieren.

Werden neue Maßnahmen notwendig, auch in Hinblick auf ein sehr schwieriges Jahr 2021? Gibt es taugliche Maßnahmen, die noch nicht diskutiert werden?

Ich glaube, dass sich die bisherigen Maßnahmen gut bewährt haben. Für mich stellt sich eher die Frage, wie man diese Maßnahmen langsam so zurückdreht, dass die Wirtschaft nicht kollabiert, der strukturelle Wandel aber nicht beeinträchtigt wird. Was bisher fehlte, war mehr Fokus auf Entstehung neuer Arbeitsplätze. Kurzarbeit verfestig die aktuelle Beschäftigung, macht es aber schwieriger, neue produktivere Arbeitsbeziehungen zu schaffen. Denkbar wäre gezielte Unterstützung neuer Arbeitsplätzen etwa durch temporäre Senkung der Lohnnebenkosten. Diese Maßnahme hat sich in anderen Ländern in den früheren Krisen sehr gut bewährt.

Mit welchen Arbeitslosenzahlen rechnen Sie im Dezember?

Ich hoffe mit keinen höheren als es ohnehin jedes Jahr saisonalbedingt der Fall  ist. Im Gegensatz zum Frühling haben wir etwas mehr Klarheit darüber, welche Unterstützung zur Verfügung steht. Der Umsatzersatz kann auch viel schneller ausbezahlt werden. Das macht mich hoffnungsvoll, dass die Unternehmen anders als im Frühling reagieren.

Die erwartete Welle der Insolvenz, das sieht man auch in unserem Insolvenz-Ticker, ist noch nicht losgegangen. Ab wann wird es ernst – und wie dramatisch wird es werden?

Zu einem Teil liegt es an gelockerten Insolvenzregelungen und zum anderen an großzügigen Staatshilfen. Wie werden das wahre Bild erst dann sehen, wann die Hilfeprogramme auslaufen. In manchen Branchen wird es insofern nicht dramatisch, in dem das Business-Model noch stimmt. Solange wir im Wintertourismus die Liquidität sichern, werden diese Betriebe weiterfunktionieren – wir hören doch nicht so schnell auf Ski zu fahren.

In anderen Branchen wird es dramatischer – diese werden in einer Welt aufwachen, wo viel nicht mehr so ist wie vorher. Da denke ich zum Beispiel an Berufsreisen, die wohl massiv abnehmen, leider aber viele Dienstleistungen von Flugverkehr, über Messen, Catering-Dienste, Flughafenhotels oder Taxis davon abhängig sind.

Es gibt die Idee, dass nach der Insolvenz-Welle eine neue Gründerwelle kommen könnte. Abwegig oder tatsächlich eine Möglichkeit?

Das wird sicher gewissermaßen von alleine kommen. Besser wäre diesen Prozess zusätzlich zu unterstützen, in dem einige Reformen vorgenommen werden.  Seit Jahren führen wir eine Diskussion über Entbürokratisierung und Lockerung der Gewerbeordnung – das würde Neugründungen unterstützen. Ich finde die Idee der Austria Limited, die auch unlängst in Trending Topics diskutiert wurde, eine großartige.

Diese Maßnahme würde allerdings nicht nur den Startups und Neugründern helfen, sondern auch dem Mittelstand, in dem es einfacher macht, Wachstumskapital im Ausland zu erwerben. Zusätzlich wäre es sinnvoll, einen extra Anreiz für jene zu schaffen, welche in Zeiten wie diesen die unternehmerische Reise beginnen. Nach der Finanzkriese haben einige südeuropäische Ländern vorgemacht, wie so etwas aussehen könnte. Da könnte man sich ein Beispiel daran nehmen.

EcoAustria schreibt in einem Bericht, das Telearbeit die Produktivität steigert. Warum ist das so? Die Meinungen dazu gehen ja zumindest auseinander?

Für Unternehmen bietet Home Office mitunter die Möglichkeit, durch attraktivere Arbeitsbedingungen  gute Arbeitskräfte anzuziehen. Gerade in der Startup-Szene und Gig Economy ist das wichtig, da man viel mit ortsungebundenen Personen arbeitet. Ein gutes Gesetz garantiert, dass Wertschöpfung in Österreich bleibt, auch wenn Arbeitskräfte in Lettland, Indien oder Peru sitzen.

Das ist gut skalierbar und fördert die Unternehmensproduktivität. Empirische Studien stellen tatsächlich positive Effekte auf Produktivität fest. Die Effekte der Produktivität hängen jedoch stark von der Art der Tätigkeit und der Dauer ab. Sie fallen auch positiver aus, je digitalisierter die Branche. Das heißt gerade im Startup-Bereich könnte man hier von dahingehenden Gesetzesänderungen stark profitieren.

Aus meiner Sicht ist Home Office gekommen um zu bleiben. Welche neuen rechtlichen Rahmenbedingungen fordern Sie dafür?

Arbeitsrechtliche Vorschriften, die die Kosten für Unternehmen leicht kalkulierbar machen und eine Klarheit schaffen, welche Pflichten und Rechte nun Arbeitnehmer und -geber haben. Es muss klar geregelt sein, wie Arbeitszeitaufzeichnungen geführt werden und welche Haftungen für Unternehmen im Home Office entstehen. Dabei sollte der Gesetzgeber aber auch auf firmenspezifische Unterschiede kontrollieren, weswegen Lösungen auf Betriebsebene zu bevorzugen wären.

Überall ist die Rede von beschleunigter Digitalisierung. Trotzdem dreht sich die Diskussion mit Beginn Lockdown II um zu wenig installierte Corona-Apps, um einen Handel, der dem E-Commerce nachhinkt, um ein nicht existentes Home-Office-Gesetz, und um Schulen, die mit Distance Learning nicht klarkommen. Wird zu viel geredet und appelliert und zu wenig umgesetzt in Österreich?

Da kann man leider nur verbittert „I told you so“ sagen. Die Corona-Krise hat nun offenbart, wovon Ökonomen und Unternehmer seit Jahren reden: Bitte nehmt die Digitalisierung ernst, davon hängt die Zukunft unserer Kinder und gesamten Wirtschaften ab.

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