„Grünes“ Bauen: Schweizer Startup Neustark speichert CO2 in Beton
Optimierte CO2-Speicherung ist ein Problem, an dem fieberhaft geforscht wird. Denn um die Klimaziele zu erreichen und die Erderhitzung rechtzeitig bremsen zu können, wird es laut Expert:innen des Weltklimarates nicht reichen, weniger CO2 zu verursachen. Es muss auch aus der Luft abgeschieden und dauerhaft gespeichert werden. Obwohl es einige Technologien gibt, die CO2 aus der Luft abscheiden, stellt sich dann die Frage: „Wohin mit dem ganzen Kohlendioxid?“ Das Schweizer Startup Neustark hat eine mögliche Lösung für dieses Problem gefunden, und zwar in Form von Beton. Beton, der sonst eher als Klimakiller bekannt ist.
CO2-Rekord: Noch nie wurde so viel Kohlendioxid produziert wie 2021
Beton ist bekannt dafür, einen miserablen Klimafußabdruck zu haben, was vor allem am verwendeten Zement liegt. Zement fungiert als Bindemittel, der zum Großteil aus gebranntem Kalk und Ton besteht. Das Brennen benötigt Energie, die zumeist noch aus fossilen Energieträgern gewonnen wird, was CO2 ausstößt. Daneben wird bei der sogenannten Kalzinierung aber auch das im Kalk gebundene CO2 gelöst. Laut einem Report des IPCC von 2018 sind darauf rund 50 Prozent der gesamten CO2-Emissionen der Zementindustrie zurückzuführen. Laut einer Studie der britischen Denkfabrik Chatham House aus dem Jahr 2018 ist die Zementherstellung für rund 8 Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich. Zum Vergleich: Laut der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) lag der Anteil der gesamten kommerziellen Luftfahrt an den weltweiten Kohlendioxid-Emissionen bei 2,4 Prozent.
Neustark setzt auf Carbonatisierung des Betons
Das Startup Neustark nutzt Beton nun, um CO2 wieder zu speichern. Neustark wurde 2019 vom Österreicher Johannes Tiefenthaler und Valentin Gutknecht als Spinoff der ETH Zürich gegründet. Tiefenthaler beschäftigte sich dabei in seiner Doktorarbeit mit der Mineralisierung von CO2, Gutknecht war beim Startup Climeworks tätig, das CO2 aus der Luft abscheidet.
Doch wie lässt sich CO2 nun in Beton speichern? Einfach gesagt: Indem man wartet. Der Zement, aus dem zuvor CO2 abgespalten wurde, nimmt nämlich durch den natürlichen Vorgang der Carbonatisierung das Kohlendioxid wieder auf. Bei verbautem Beton geschieht dies vor allem an den Außenflächen der Betonstrukturen. Bei Neustark setzt man allerdings auf Betongranulat, der aus recyceltem Beton hergestellt wird, wie Sprecherin Lisa Braun in einem Gespräch mit Tech & Nature erklärt. Je kleiner das Betongranulat ist, desto größer ist die Oberfläche, die mit dem CO2 reagieren und es so binden kann.
Startup will mit genetisch modifizierten Bäumen mehr CO2 speichern
Auch setzt Neustark nicht auf CO2, das sich in der Luft befindet, sondern auf reines Kohlendioxid. Das verbessert und verschnellert die Reaktion. „Je nach Zementtyp können wir pro Tonne Betongranulat 5 bis 30 Kilo CO2 speichern. Dabei gilt: Je länger der Beton dem CO2 ausgesetzt ist, desto mehr wird auch gespeichert“, sagt Braune. Ihr reines CO2 erhält Neustark momentan noch von Biogasanlagen, die es ansonsten in die Atmosphäre stoßen würden. Zum effizienteren Transport wird es von Neustark verflüssigt. Das ist natürlich energieaufwändig: 250 kWh sind nötigt, um eine Tonne CO2 zu verflüssigen. Der Strom dafür komme dabei aus Erneuerbaren Energiequellen.
Sieben Anlagen für 2022 geplant
Bisher arbeite man mit einer stationären Anlage in Bern und einer mobilen, die sich momentan in Salzburg befindet. Der Fokus liege allerdings auf Betonrecyclingunternehmen, sechs stationäre Anlagen wurden bereits an die Unternehmen verkauft. Die sollen alle noch bis Ende des Jahres gebaut werden, verrät Braune. Die mobile Anlage von Neustark war außerdem bereits in Holland und Deutschland in Betrieb. Das dort aufbereitete Betongranulat wird zum größten Teil im Straßenbau verwendet, kann aber auch anstelle von Sand und Kies mit Zement zu neuem Beton recycelt werden. „Beton ist weltweit der größte Abfallstrom, das Potential ist also enorm“, so Braune.
Wie grüne Steine zu einem der wichtigsten CO2-Speicher werden können
Jede Anlage soll 500 Tonnen CO2 pro Jahr binden, insgesamt also mehrere Tausend Tonnen. Wer so viel CO2 binden kann, für den ist dann natürlich auch der Handel mit CO2-Zertifikaten interessant. Neustark ist dabei von The Gold Standard zertifiziert, einem der bekanntesten Gütesiegel-Anbieter für CO2-Zertifikate. Ihre Senkenzertifikate, also Zertifikate von aktiv gespeichertem CO2, verkaufen sich momentan bei 400 bis 500 Franken (390-490 Euro) pro Tonne CO2, wie Braune verrät. 10 bis 30 Prozent davon werden direkt mit dem Beton verkauft, der Rest kommt in den freien Handel. Die Nachfrage ist dort groß, bis Mitte nächsten Jahres sei man – trotz des hohen Preises – bereits ausverkauft, so Braune. Zum Vergleich: Laut Weltbank lagen 2021 die CO2-Preise in der Schweiz bei 46 Dollar (43,60 Euro) pro Tonne, in Deutschland bei 29 Dollar (27,50 Euro). Schweden führte die Liste mit 137 Dollar (130 Euro) pro Tonne an.
„Klimaschutz muss ein Geschäftszweig sein“
Auch daher befindet sich das zwölf Mitarbeiter:innen umfassende Unternehmen gerade auf Expansionskurs. Bis 2030 wolle man eine Million Tonnen Kohlendioxid pro Jahr binden und auch die Kosten sollen bis dahin fallen. „Für neue, große Anlagen, die 2030 in Betrieb gehen, halte ich Kosten von 200 Euro pro Tonne für realistisch“, ist Braune überzeugt. „Klimaschutz muss ein Geschäftszweig sein, wo mit generiertem Klimanutzen Geld verdient wird“, sagte auch der Neustark-Geschäftsführer Tiefenthaler gegenüber dem ORF. Bis 2050 will Neustark daher den CO2-Fußabdruck der Bauindustrie um eine Milliarde Tonnen pro Jahr reduzieren.