Hannes Androsch: „In ökonomisch törichter Weise schieben wir brutal und ruchlos Lehrlinge ab“
Hannes Androsch war in den 1970ern Finanzminister und Vizekanzler (SPÖ) und startete dann eine steile Karriere als Industrieller. Heute ist Androsch unter anderem Aufsichtsrats-Chef des AIT Austrian Institute of Technology und des Leiterplatten-Herstellers AT&S.
Androsch ist hat seine Karriere als Politiker zwar lange hinter sich, gilt aber noch heute als gerne interviewter Kommentator aktueller Politik und Wirtschaftspolitik. 2011 initiierte er ein Bildungsvolksbegehren, das unter anderem mehr Budget für Unis und eine Aufwertung des Lehrerberufs forderte. Als Teil des Rats für Forschung und Technologieentwicklung berät Androsch die Bundesregierung in Innovationsfragen.
Im Interview mit Trending Topics spricht Androsch über Standortpolitik, Fachkräftemangel, Kryptowährungen und den Innovationsvorsprung Chinas.
Trending Topics: Sind Sie in Startups investiert?
Hannes Androsch: Ich habe das schon getan und bin im Begriff das wieder zu tun und in Zukunft verstärkt zu tun.
Was macht Österreich aus Ihrer Sicht zu einem guten Unternehmensstandort und wo gibt es Verbesserungsbedarf?
Wien ist seit neun Jahren in Folge von mehreren Gremien als lebenswerteste Großstadt bezeichnet. Wir haben fleissige Leute, wir haben kreative Leute, sonst hätten wir nicht die Exporterfolge und hätten nicht touristisch eines der größten Länder weltweit. Das sind die positiven Seiten. Verbesserungsnotwendigkeit haben wir im Bildungsbereich und Wissenschaftsbereich, in der Umsetzung der Digitalisierung. Außerdem sind wir unnötig überreguliert und damit überbürokratisiert. Wir sind sicher nicht im Spitzenfeld, was ökonomische Freiheit angeht und das führt dazu, dass wir unsere Wettbewerbsposition in den letzten zehn bis 20 Jahren um einiges verschlechtert haben. Das gilt auch für das Ausmaß der Innovationsdynamik.
Wie schlägt sich die aktuelle Regierung bei diesen Themen?
Die Regierung ist erst ein Jahr im Amt und es ist ein wenig zu früh, das zu beurteilen. Aber bisher gibt es zwar viele, aber sehr hohle Ankündigungen und wenige Umsetzungen. Teilweise machen wir sogar Rückschritte, etwa im Bildungsbereich oder im Gesundheitsbereich beim Rauchverbot oder der Unfallversicherung. Auch der machtpolitische Zirkus rund um Krankenkassen ist ein Rückschritt. Bei den Universitäten und der Grundlagenforschung haben wir keine Fortschritte im Vergleich zu München, Heidelberg oder ETA Zürich – ich rede ja gar nicht von Oxford oder Cambridge.
Unternehmer beklagen einen großen Fachkräftemangel. Welche Maßnahmen könnte man setzen, um dem entgegenzuwirken?
Es ist ja nicht nur ein Fachkräftemangel, es ist ein Arbeitskräftemangel. Die Gesellschaft wird immer älter, es kommen weniger Junge nach und wir tun so, als ob uns das nicht berührt. Das betrifft ja auch das private Pflegepersonal, das touristische Personal, Mitarbeiter im Baubereich, Köche und Reinigungspersonal. Wir haben einen großen Mangel und in ökonomisch törichter Weise schieben wir brutal und ruchlos Lehrlinge ab, weil wir populistisch glauben, dass das Unterstützung findet. Man hat ja jüngst in Vorarlberg die Empörung gesehen, die Bundeskanzler Kurz entgegengeschlagen ist. Die Politik, die er mit seinen rechtsradikalen Partnern eingeschlagen hat, ist der falsche Weg.
Die Leiterplatten-Firma AT&S betreibt in China bereits zwei Werke – was kann Europa von China in Innovationsfragen lernen?
In den letzten 40 Jahren, als China diesen gewaltigen Aufschwung genommen hat, ist die Innovation nicht aus dem Inneren gekommen, sondern als Imitation. Ein Großteil ist den ausländischen Direktinvestitionen und den diese begleitenden Technologie-Transfers geschuldet. Es war ein Niedriglohnland mit geringer Innovationsdichte in Verbindung mit Auslandskapital und ausländischem Knowhow. Das hat diesen Export-getriebenen Aufstieg möglich gemacht.
Das wird auf dem erreichten Niveau nicht weitergehen, das weiß man auch. Ein Versuch gegenzusteuern ist die Initiative „Made in China 2025“, mit der man in 10 Industriebereichen eine Weltstellung erreichen will. Das wird auch seine Ergebnisse zeigen – Batterien und Solarzellen sind Beispiele dafür. Auch bei Drohnen – DJI hat einen Weltmarktsanteil von 70 Prozent. Aber in vielen Bereichen, bei hochwertigen Semiconductors oder Microchips gibt es noch immer einen Importbedarf von über 95 Prozent.
Halten Sie es für übertrieben, zu sagen, China hat einen Innovationsvorsprung, den Europa nicht mehr aufholen kann?
Das ist immer eine Frage der Annahmen. Man sieht das ja an den wertvollsten Firmen wie Alphabet, Microsoft oder Amazon, dass die Amerikaner mit Abstand führend sind, und dass die Chinesen massiv aufholen. Auch Japan und Südkorea darf da nicht unterschätzt werden. Europa ist ein Nachzügler. Es ist höchste Zeit, dass Europa aufwacht und es ist klar, dass Europa das nur gemeinsam kann.
Künstliche Intelligenz und Industrie 4.0 werden viele Arbeitsplätze kosten und nicht alle Menschen werden auf IT-Experte umschulen. Welche Lösungsansätze für dieses Problem gefallen Ihnen am besten?
Die Annahme ist falsch. Die letzten 300 Jahre haben neue Technologien nicht die benötigten Arbeitskräfte verringert, sondern eher umgekehrt. Wir haben ja bereits vom Arbeitskräfte-Mangel gesprochen – die Frage stellt sich also in der Form nicht. Jetzt braucht man Spezialisten, die das digitale Zeitalter beherrschen. Wir brauchen aber auch mehr Pflegepersonal und mehr Bildungspersonal. Wir leiden nicht an einem Überangebot an Arbeitskräften, sondern an einem Defizit. Hier wird eine Angst geschürt, die ganz konträr zu den tatsächlichen Gegebenheiten steht.
Was halten Sie von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens?
Gar nichts. Der Mensch arbeitet ja nicht nur, damit er sein tägliches Brot verdient. Der Mensch als soziales Wesen sucht ja auch eine erfüllende Aufgabe.
Bundespräsident Alexander van der Bellen hat Sie in Hinblick auf die Individualbesteuerung einmal als „Vorkämpfer der Frauenemanzipation“ bezeichnet. Seit der Steuermaßnahme sind mehr als 40 Jahre vergangen und Frauen spielen im Wirtschaftsleben noch immer nicht eine vergleichbare Rolle wie Männer. Glauben Sie, dass sich das noch ändern wird?
Das hat sich ja schon massiv geändert. Das hat mit der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren begonnen. Das war ein Meilenstein in der Emanzipation der Frauen. Natürlich ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Die Individualbesteuerung, die wir 1973 verwirklicht haben – jeder Partner in einer Ehe ist für seine Steuern alleine verantwortlich – war sicher wirksamer in dem Prozess der Emanzipierung als manches verbale Getue, das es immer wieder gibt.
Welche Maßnahmen könnten wieder einen größeren Schritt setzen? Was halten Sie etwa von Quotenregelungen?
Das halte ich eher für eine diskriminierende Maßnahme. Tatsache ist, dass die Erwerbsquote der Frauen gestiegen ist und weiter steigen wird. Um das zu beschleunigen, sind vorschulische Ganztagsbetreuung und Ganztagsschulen entscheidende Maßnahmen. Wenn 70 Prozent der Mütter alleinerziehend, berufstätig oder beides sind, ist es ganz klar, dass man solche Einrichtungen braucht. Heute lässt sich das nicht mehr in der Großfamile oder der Nachbarschaft bewältigen – wir haben ganz andere Strukturen. Ich verstehe deshalb nicht, warum man sich für diese Einrichtungen nicht mehr engagiert. Auch aus pädagogischer und neurowissenschaftlicher Sicht ist das der eizig richtige Weg. In Österreich sind wir da ein geradezu hoffnungsloser Nachzügler.
Wie stehen Sie als ehemaliger Finanzminister eigentlich zum Thema Kryptowährungen?
Im digitalen Zeitalter wird es auch das digitale Geld geben. Erst vor wenigen Tagen hat der Währungsfonds den Notenbanken empfohlen, das selbst in die Hand zu nehmen. Bei ungefähr 1.600 Kryptowährungen brauchen wir unbedingt einen regulatorischen Rahmen. So wie die Münzen die Goldbarren und das Papiergeld die Münzen abgelöst haben, so wird auch das digitale Geld das Papiergeld ersetzen. In Schweden wird überwiegend nur mehr bargeldlos bezahlt.
Brauchen wir Bargeld noch?
Wie die Beispiele zeigen, praktisch nein.