Interview

Hansi Hansmann: „Zwei Drittel meiner Startups hatten existenzielle Krisen.“

Hansmann: "Dieser Hype und die Vorstellung, dass als Startup alles rosarot ist, nervt mich extrem."
Hansmann: "Dieser Hype und die Vorstellung, dass als Startup alles rosarot ist, nervt mich extrem."
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Mittlerweile hält Johann „Hansi“ Hansmann bei fast 45 Beteiligungen, wöchentlich segeln 25 Pitches auf seinen Schreibtisch. Manche sogar per Brief. Auch 2016 hat er kräftig investiert. Rund zehn Deals hat der Business Angel des Jahres 2011 abgeschlossen. In seiner hansmengroup versammeln sich mit runtastic, whatchado, mysugrshpock, durchblicker und vielen anderen die wichtigsten und erfolgreichsten Startups des Landes, 800 Arbeitsplätze wurden durch diese Unternehmen geschaffen, bald sind es 1.000. Ein Gespräch mit einem der Gründervater der österreichischen Startup-Szene über die Trends der kommenden Jahre, den Konflikt zwischen privatem und staatlichen Geld, den Standort Österreich und weshalb der Hype um junge Unternehmer zu nerven beginnt.

Trending Topics: Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, standen Sie bei 20 Investments und sagten jetzt ist Schluss. Wann ist es denn genug?  

Hansi Hansmann: Ich habe heuer sicher wieder zehn Investments gemacht. In der ersten Jännerwoche unterschreibe ich drei Deals. Vergangenes Jahr war ich brav, aber heuer habe ich wieder zugelangt. Jetzt sind es zwischen 40 und 45. Ich zähle eigentlich nur die Lead-Investments, bei denen ich eng mit den Startups zusammenarbeite. Das sind so an die 25. Das reicht jetzt wirklich.

TT: Reden wir über die Digitalisierung und beginnen in unserer Branche. Wie beurteilen Sie den Innovationswillen der Medienunternehmen in Österreich?

Hansmann: Wie lange kämpfen die Medien schon gegen die Digitalisierung an? Seit mehr als zehn Jahren? Sie waren ja die ersten, die angeschossen worden. Sie denken, dass sie mit Kostenreduktion nach Kostenreduktion irgendwie dagegen arbeiten können. Aber das verlängert nur den Todeskampf. Sie müssten ihr Geschäftsmodell neu überdenken. Aber das passiert leider nicht. Der Schibsted-Verlag hat 1999 beschlossen komplett aus Print rauszugehen. Ich glaube 2004 haben sie das letzte Printprodukt eingestellt. Sie haben viele Digital-Beteiligungen. So sollten Medienunternehmen denken lernen.

TT: Warum diese Schlafmützigkeit? 

Hansmann: Die Umstellung ist ein europäisches Problem und umfasst viele Branchen. Die Manager, die heute Unternehmen steuern, haben den Großteil ihrer Karriere im vergangenen Jahrhundert verbracht. Damals hat es in Europa völlig ausgereicht, das Geschäftsmodell immer nur hier und da ein bisschen anzupassen. Hier ein wenig sparen, dort ein neues Produkt mit ähnlicher Seele auf den Markt werfen. Wenn man nie mit der radikalen Digitalisierung konfrontiert war, dann richtet sich das kaufmännische Denken in diesen Kategorien ein. Das war viele Jahre lang gut und richtig. Aber diese Manager haben nie gelernt, etwas völlig Neues zu konzipieren. Etwas von Null an zu entwerfen. Wenn diese Fähigkeit in einem Unternehmen fehlt, dann gibt es keine Zukunft. Es wird kein Unternehmen mehr geben, das mit einem Geschäftsmodell erfolgreich ist und das über mehrere Jahrzehnte bleibt. Die Disruption ist dauerhaft. Die Digitalisierung wird alles ändern. Vor allem Artifical Intelligence wird das noch enorm beschleunigen. Wenn wir alle das nicht akzeptieren, dann hat unser Standort keine Chance.

Es wird viele Dramen geben, aber auch viele Chancen. Die komplette Gesellschaft wird sich ändern. Vermögen, Stellung in der Gesellschaft und unsere Definition von Arbeit.

TT: Wer spürt diese Veränderungen zuerst?

Hansmann: In den USA zum Beispiel gibt es 80 Millionen Menschen, die einen IQ unter 90 haben. Menschen, die nur für manuelle Tätigkeiten geeignet sind. Deren Jobs wird es in zehn Jahren nicht mehr geben. Das ist eine politische, wirtschaftliche und soziale Bombe. Es ist beunruhigend, dass die Politik darüber hierzulande nicht einmal nachdenkt.

TT: Deshalb auch die zarten Diskussionen über das bedingungslose Grundeinkommen.

Hansmann: Ja, anders wird es wohl nicht gehen. Den Wettbewerbsgedanken, den wir alle in uns haben, den werden wir brauchen. Aber das ist sehr wohl mit einem Grundeinkommen vereinbar. Ich weiß auch nicht, wie die Digitalisierung soziologisch wirken wird. Aber ich bin sicher, dass sich alle Lebensbereiche verändern werden. Dieser Umstand ist in Österreich vielleicht ein paar hundert Menschen wirklich bewusst. Nur ein Beispiel: Ich habe kürzlich eine einstündige Demo bekommen, was Virtual Reality heute schon kann. Ich bin durch Manhattan spaziert, war einkaufen und in einer Spielhalle ohne den Raum zu verlassen.

Diese Technologie wird für Retail und Tourismus radikale Einschnitte bedeuten. Und dass nicht in einer fernen Zukunft, sondern beim Markteintritt real existierender Produkte, also in zwei Jahren.

TT: Wir sprechen immer von einzelnen Branchen, die disruptiv verändert werden. Greift das zu kurz?

Hansmann: Es ist eine allumfassende Revolution. Sogar in Bereichen, bei denen Körperkontakt und menschliche Interaktion wichtig ist. Als die ersten Ideen aufkamen, dass man einen Arzt über den Computer kontaktiert, sagten alle: „So ein Blödsinn!“ Es ist kein Blödsinn. Schauen wir uns heute um: Man kann das Erstgespräch via Chat erledigen, man kann Fotos und Filme von Muttermalen übermitteln und eine Datenbank kann die Male mit zwei Millionen anderen abgleichen. Das ist hundertmal genauer als der Blick des Dermatologen, selbst wenn er 50 Jahre Berufserfahrung hat. Es sollte gesetzliche Vorschriften geben, dass Ärzte diese Datenbanken nutzen.

Beispiel Wechselwirkungen bei Medikamenten: Jedes Medikament hat Nebenwirkungen, die brav auf dem Beipackzettel erfasst sind. Wenn man jedoch zwei verschiedene Medikamente gleichzeitig nimmt, dann ändert sich der chemische Prozess und es gibt Wechselwirkungen zwischen den Medikamenten, die nicht auf dem Beipackzettel stehen. Mein Startup Diagnosia hat 13.000 solcher Wechselwirkungen gelistet. Es ist grob fahrlässig solche Informationen nicht zu nutzen. Im Verlagswesen war es so, dass die Menschen Anfang des Jahrtausends dachten, dass Menschen immer Zeitungen kaufen werden. Ich selbst greife schon ewig keine mehr an. Die Trendumkehr dauerte auch sehr lange, bis plötzlich die Onlinewerbeumsätze an die Printumsätze heranreichten und sich das tägliche Business mit einem Ruck änderte. Die Prozesse dauern etwas, aber sie kommen. Das ist sicher.

TT: Auch die Versicherungsbranche denkt, dass sie in einem Geschäft zuhause ist, welches den menschlichen Kontakt durch Makler braucht.

Hansmann: Laut Studien verschwinden in den nächsten zehn Jahren die Versicherungsberater komplett. Die großen österreichische Versicherung haben aber heute noch tausende Angestellte, die genau das machen. Sie bieten auch ganz bewusst Produkte an, die nicht onlinefähig sind. In UK werden über 70 Prozent der Versicherungen online abgeschlossen. In Deutschland sind es 25 – 30 Prozent. In Österreich sind es zwei bis drei Prozent. Der Markt wird auch hier ganz anders strukturiert sein, wenn wir fünf Jahre nach vorne blicken. Das lässt sich nicht aufhalten.

Wir haben hier die höchsten Preise und intransparente Produkte. Ein gefundenes Fressen für disruptive Geschäftsmodelle.

TT: Mit welchem Investment sind sie derzeit besonders zufrieden?

Hansmann: Tractive marschiert ganz still und leise nach vorne. Das Hardwareprodukt ist immer besser geworden. Die Laufzeit des Akkus wurde entscheidend verlängert. Die Tracker sind immer kleiner geworden. Man kann sie mittlerweile Katzen umhängen. Es gibt viele Leute, die wissen wollen, wo ihre Katze nachts ist. Wir haben von Anfang an gewusst, dass diese Tracker für alles einsetzbar sind. Fahrräder, Autos, Handtaschen. Wir haben uns aber auf die Haustiernische fokussiert, sind dort wirklich in die Tiefe gegangen und haben das Produkt bei jeder Messe weltweit vorgestellt. Wenn Fachhändler ein Produkt vorschlagen, dann ist es das von Tractive. Das war ein entscheidendes Learning. Heute sind wir zumindest in Europa Marktführer in diesem Markt. Dass unsere Tracker auch für andere Zwecke gekauft werden (gebrauchte Luxuswagen, Koffer, Fahrräder, etc.) ist ein netter Zusatznutzen.

TT: Welche Ratschläge holen sich die Gründer bei Ihnen ein? 

Hansmann: Ich beneide meine Founder. Ich hatte nicht die Chance mich mit 25 so einfach selbständig zu machen. Der Innovationsgrad zur Zeit lässt so unglaublich viele Möglichkeiten zu. Mit jedem einzelnen Team fechte ich zusammen schwere Kämpfe aus. Runtastic war da eine Ausnahme, aber mit fast allen anderen ringe ich buchstäblich um den richtigen Weg. Die meisten fallen oft auf die Nase. Zwei Drittel meiner Startups hatten existenzielle Krisen, in denen die Gründer überlegt haben, ob das Ganze noch Sinn macht. Das dringt aber nicht nach außen.

Dieser Hype und die Vorstellung, dass als Startup alles rosarot ist, nervt mich extrem.

TT: Startups sollten also als ein ganz normaler Teil der Businesswelt wahrgenommen werden?

Hansmann: Im Startup arbeitet man an einer möglichst großen Innovation. Das ist halt viel schwerer, als irgendetwas zu kopieren. Da rennt man zehnmal an die Wand und schlägt sich die Stirn blutig. Das halten viele nicht aus und das Gründer-Gen haben leider die wenigsten. In Österreich laufen diese Menschen nicht zu Tausenden herum. Diese Neugier müsste man fördern. Kinder sollten mit digitalen Medien umgehen lernen. Im Idealfall lernen Kinder früh das Coden. Aktuell bereiten wir die Kinder und Jugendlichen in den Schulen nicht auf das tatsächliche Leben vor. Flexibilität, Unternehmertum und Selbstständigkeit wären gefragte Assets nach der Matura. Man kann Kinder spielerisch dazu bringen, andere von einer Idee zu überzeugen.

TT: Sie kämpfen in Österreich noch immer weitestgehend alleine auf weiter Flur. Was besprechen Sie mit anderen, die in Startups investieren wollen? 

Hansmann: Österreich hat einen Vorteil, weil wir guten Zugang zur Erstfinanzierung über Förderungen haben. Auch die Business Angel Szene hat sich über die aaia deutlich verbessert und Speedinvest hat unendlich viel positives bewirkt. Wir leiden allerdings an einem grossen Kapitalmangel in späteren Runden – Anschlussfinanzierungen ab 1 Million Euro sind sehr schwer. Privates Geld, das in Venture Capital fliessen soll, sollte steuerlich stark incentiviert werden. Dann könnten wir viel besser agieren und hätten sicher einen grösseren wirtschaftlichen output. In UK kann man die Hälfte der Investitionen sofort absetzen, bei Verlusten das komplette Investment. Deshalb wird dort pro Jahr 1,2 Milliarden (!) an Angel-Kapital investiert, mehr als von den VCs. Zwar leidet die durchschnittliche Qualität der Startups ein wenig, aber alleine in Shoreditch in London sitzen halt 22.000 davon. Unglaublich, was da an Wertschöpfung und Arbeitsplätzen geschaffen wird.

TT: Das Startup-Paket der Regierung ist dafür kein Initial?

Hansmann: Der Freibetrag, der jetzt greifen wird, kommt viel zu spät und das Paket ist auch viel zu klein. Wir sind ein reiches Land. Hunderte Milliarden Euro ’schlummern‘ in den Stiftungen und verrotten vor sich hin. Durch Steueranreize könnte man viel freimachen.

Geld hat keinen Wert, außer man tut etwas damit und gibt dem Geld eine Bedeutung. Das verstehen die Leute nicht.

TT: Der Investitionsfreibetrag soll Risikokapital aktivieren. Reicht das nicht aus?

Hansmann: Keineswegs. Ein Thema, das mich maßlos stört, ist, dass man Verluste nicht mit den Gewinnen abgleichen kann, außer sie werden im selben Jahr erwirtschaftet. Ein Beispiel: Ein Immobilieninvestor kauft um eine Million eine Immobilie und verkauft sie ein paar Jahre später wieder um 1,1 Millionen. Er verdient 100.000 Euro, zahlt darauf Steuern und streicht 60.000 Euro ein. Ein Angel Investor investiert in zehn Startups jeweils 100.000 Euro. Neun davon gehen baden, eines spielt ihm eine Million ein. Die 900.000 Euro sind unwiederbringlich futsch. Die Verluste kann er steuerlich nicht geltend machen. Für die 900.000 Gewinn aus dem einen Startup zahlt er Kapitalertragsteuer. Ihm bleiben etwa 650.000 Euro. Die Herangehensweise ist die gleiche, die Wertschöpfung auch, nur die Behandlung durch den Staat ist völlig diametral.Für Risikokapital ist das tödlich. Aus Steuergründen müsste ich meinen Wohnsitz eigentlich ins Ausland verlegen.

TT: Was sagt die Politik dazu?

Hansmann: Die klugen Leute in der Politik kennen das Problem, aber es ist ein absolutes Nebenthema. Die Volksparteien befinden sich ja auch im Überlebenskampf. Alle entscheidenen Player versuchen sich zu positionieren und kämpfen um ihre Mini-Deals: Kollektivvertrag gegen Investitionserleichterung. Die Wirtschaftsleistung von Startups ist leider noch viel zu klein. Ihr Kommunikationseffekt als Innovationstreiber ist aber enorm. Die Verkäufe von Runtastic und Shpock haben eine derart positive Wirkung auf den ganzen Standort gehabt. Die Titelseiten waren voll. Das Gefühl war doch, dass Österreich in diesem Spiel der Facebooks, Googles und Snapchats mitspielt. Das befeuert junge Leute sich zu engagieren. Deshalb ist dieses Thema unglaublich wichtig.

TT: Wie könnte man jungen Firmen denn am schnellsten helfen?

Hansmann: Wir haben ein riesiges Entwicklerproblem. Wir bräuchten 20 Coding-Fachhochschulen in Österreich. Eine Alternative ist es, Entwickler aus Osteuropa den Zugang zu unserem Markt zu erleichtern. Das ist jetzt noch eine sehr mühsame Geschichte. Die Durchlässigkeit muss erleichtert werden. Österreich hat Potenzial. Aber wir sind viel zu klein. Startups und ihre Mitarbeiter brauchen einen attraktiven Arbeitsplatz. Den bietet Wien. Wir brauchen ein funktionierendes Ecosystem. Das spriesst gerade ein bisschen, aber wir sind noch lange nicht dort, wo wir schon längst sein könnten – es müssten grosse Mengen Geld hineingepumpt werden, solange wir das noch haben. 

Und die Differenz zur Spitze wird leider immer grösser, nicht kleiner.

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