Hawa Dawa: Das deutsche Startup, das für eine bessere Luft kämpft
Karim Tarraf ist in Kairo aufgewachsen – eine Stadt mit besonders schlechter Luftqualität, in der regelmäßig zahlreiche Grenzwerte überschritten werden. Heute ist der gebürtige Ägypter Jungunternehmer in Deutschland – gegründet hat er gemeinsam mit Yvonne Rusche, Birgit Fullerton, Matthew Fullerton und Jannai Flaschberger: Das Startup Hawa Dawa will dafür sorgen, dass Luftverschmutzung schneller und besser gemessen werden kann und hat dazu ein Messgerät und eine Software entwickelt, die Daten mit künstlicher Intelligenz aufarbeitet.
Auf die Idee gekommen ist Tarraf bei einem Studentenwettbewerb an der TU München, bei dem in Teams in zwei Wochen Produkte entwickelt werden sollten. Er entwarf ein tragbares Messgerät, das Asthmatikern Daten zur Luft anzeigt. Dass er sich mit diesem Thema auseinandersetzt, ist kein Wunder: Sein Bruder leidet an Asthma, seine Eltern sind Lungenfachärzte. Im Interview mit Tech & Nature erzählt er, wie Hawa Dawa genau funktioniert und warum das wichtig ist.
Tech & Nature: Während des Coronavirus-Lockdowns gab es weltweit Meldungen über die starke Verbesserung der Luftqualität. Das bedeutet, dass sie gemessen wird. Warum braucht es Startups wie Hawa Dawa, die die Daten zur Luftqualität sammeln?
Karim Tarraf: Bei der Messung der Luftqualität geht es zumeist um die Frage der Auflösung – sowohl räumlich als auch zeitlich: Wo und wann hat sich die Luftqualität in meiner Stadt verbessert – und warum? Neben dem Verkehr, der Industrie oder Landwirtschaft beeinflussen auch Wind und Klima oder chemische Reaktionen die gemessene Luftqualität. Die traditionellen Methoden sind nur begrenzt dafür geeignet, um diese Werte präzise zu darzustellen.
Satelliten liefern zum Beispiel in der Regel einen Datenwert pro Tag. Die öffentlichen Messstationen sind sehr kostenintensiv und werden daher nur in begrenzter Anzahl betrieben – in der Stadt München gibt es beispielsweise nur drei dieser Messeinrichtungen in der Innenstadt. Das bedeutet zunächst, dass konkrete Informationen zur Luftqualität nicht für alle Orte vorliegen. Darüber hinaus fehlt eine genügend feine zeitliche Auflösung, um auf Basis der erhobenen Daten optimal Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität etablieren zu können.
Genau hier setzt Hawa Dawa an: Wir stellen die Informationen zur Luftqualität in einer Weise zur Verfügung, die den Verantwortlichen eine konkrete Entscheidungsbasis bietet. Das bedeutet, wir fassen vorhandene Daten zur Luftqualität zusammen, harmonisieren diese, verdichten die Messnetzwerke gegebenenfalls durch eigene Geräte und berücksichtigen zusätzliche Einflussfaktoren wie Verkehr, Wind und Temperatur. Dadurch ist eine Vielzahl von Informationen verfügbar: Von historische Daten, um zum Beispiel Muster zu analysieren, aktuelle Daten zum aktiven Steuern von Maßnahmen bis hin zu Prognosen, um vorhersehbare Spitzen zu vermeiden, und Simulationen, um Effekte geplanter Maßnahmen besser abschätzen zu können.
Was bedeutet „schlechte Luftqualität“ eigentlich – welche Standards gibt es und welchen Maßstab setzt Hawa Dawa an?
Meist werden zur Beurteilung der Luftqualität die EU-Grenzwerte herangezogen. Wichtig ist dabei zu wissen, dass die gesetzlichen Grenzwerte die durchschnittliche Belastung pro Periode, also in der Regel eines Jahres, zum Maßstab nehmen. Die Richtwerte der WHO sind bei Feinstaub deutlich strenger. In den USA gelten wiederum andere Grenzwerte. Hier wird eines deutlich: Wie hoch ein gesetzlicher Grenzwert angesetzt wird, ist nicht alleine durch das gesundheitliche Risiko bestimmt, sondern natürlich auch durch die politische Durchsetzbarkeit. Zudem bedarf es zum Schutz besonders gefährdeter Risikogruppen deutlich niedrigerer Werte. Anders funktionieren Ergebnisse aus der Wissenschaft, die ein viel klareres Bild über die Risiken schlechter Luft liefern – inklusive der zu erwartenden gesundheitlichen Folgen. Denn auch wenn alle Schadstoffe unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen, kann die Kombination von Schadstoffen insbesondere für Risikogruppen zu negativen Folgen für die Gesundheit führen.
Wir halten uns an die Standards der EU oder der WHO bei der Ausgabe der Daten, wenn dies von den Kunden gewünscht ist. Meistens gehen wir jedoch mit den Kunden auf deren Wunsch analytisch vor, um gezielt Probleme zu identifizieren, Profile für Risikogruppen zu errechnen und die Luftqualität an sensiblen Orten zu errechnen, wie an Schulen oder Kliniken.
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Es will wohl niemand freiwillig dort leben, wo die Luftqualität besonders schlecht ist. Aber welche Auswirkungen auf die Gesundheit sind wissenschaftlich belegt?
Es gibt eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien, die sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen von verschmutzter Luft beschäftigen. Naheliegend ist sicher der Zusammenhang mit allen Arten von Lungen- und Bronchialerkrankungen. Weniger bekannt dürften die nachgewiesenen Zusammenhänge mit Demenz und Diabetes-Erkrankungen sein. Gerade in Betracht von COVID-19 legen Studien nahe, dass verschmutzte Luft das Risiko, an diesem Virus zu erkranken oder daran zu sterben, erhöht, da der Körper bereits durch die Luftschadstoffe geschwächt ist. Letztlich erleidet fast jedes Organ negative Folgen durch schlechte Luftqualität. Dabei gibt es zwei wesentliche Faktoren: Einerseits wirken sich Luftschadstoffe direkt auf die Gesundheit vor allem von Herz und Lunge aus, andererseits verändern Luftschadstoffe auch die Reaktion des Körpers auf die Umgebung – das heißt wir werden anfälliger für bestimmte Krankheitsbilder und erleiden größere Einschnitte in der Lebensqualität.
Gibt es auch andere Effekte durch eine schlechte Luftqualität?
Viele der Luftschadstoffe sind auch schädlich für das Klima. So zum Beispiel troposphärisches Ozon oder Black Carbon, eine Kategorie des Feinstaubs. Sie zählen zu den kurzlebigen Klimaschadstoffen, die neben Methan und CO2 zum Treibhausgaseffekt beitragen. Ozon hat auch einen negativen Effekt auf das Pflanzenwachstum und führt jedes Jahr in Europa zu Ernteverlusten von bis zu 15 Prozent.
Rein wirtschaftlich gesehen, entsteht eine massive volkswirtschaftliche Beeinträchtigung durch direkte Gesundheitskosten, Folgekosten durch eingeschränkte Arbeitskraft, die negativen Auswirkungen auf landwirtschaftliche Erträge sowie den Schäden an Materialien und Gebäuden.
Die Datenbasis ist eine Sache, Maßnahmen eine andere. Was sind deiner Meinung nach die größten Hebel für eine bessere Luft?
Beim Thema Luftqualität treffen die Klima- und Gesundheitsschutz, nachhaltige Mobilität und, wie durch Hawa Dawa, zunehmen auch die Digitalisierung aufeinander. Wir haben also die Chance, mit einem Ansatz sehr viele Themen voranzutreiben und diese Herausforderungen strukturiert anzupacken. Die Analogie zur jetzigen Corona-Situation zeigt, dass Transparenz durch Tests und Daten oder datenbasierten Erkenntnisse, die Herausforderungen greifbarer machen und proaktives Handeln zur Verbesserung der Luftqualität zumeist am effizientesten ist.
Gibt es überhaupt Städte mit guter Luftqualität und wenn ja, was kann man von ihnen lernen?
Selbstverständlich gibt es Städte, die kein Problem mit verschmutzter Luft haben. Sei es, weil wenig Verkehr oder Industrie vorort ist oder weil die Bebauung oder die natürliche Landschaftsform einer Konzentration von Schadstoffen entgegenwirkt.
Andere Städte müssen konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Luftqualität zu verbessern. Dabei erfolgreiche Städte sind vor allem durch drei Merkmale gekennzeichnet:
- Sie denken groß und ganzheitlich: Luftverschmutzung macht nicht am Rand einer Stadt oder einer Stadtteils halt.
- Sie bauen auf gesellschaftliche Akzeptanz, politische und wirtschaftliche Durchsetzbarkeit, indem sie zum Beispiel für genügend Transparenz und Aufklärung sorgen.
- Am wichtigsten ist aber: Städte, die Luftverschmutzung erfolgreich bekämpfen, haben sich bewusst dafür entschieden, konkrete Maßnahmen zu ergreifen.