Heftiger Herbst: Wir drohen in die 1970er zurück zu fallen – inklusive Rezession
Aktuell fühlt man sich ins vorherige Jahrhundert zurück versetzt. Kohlekraftwerke werden wieder hochgefahren, Atomkraft ist wieder en vogue, die Energiepreise explodieren, man überlegt autofreie Sonntage, die Aktienmärkte crashen, es herrscht Krieg in Europa, der Eiserne Vorhang ist neue gefürchtete Realität. Die Tech-, Innovations- und Krypto-Märkte wurden als risikoreiche Zukunftsinvestitionen bereits ordentlich zurecht gestutzt, aber jetzt geht es ans Fundament der Wirtschaft.
Viele, darunter BASF-Chef Martin Brudermüller, sehen die „größte Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg“ auf uns zukommen. Das hat man zum Beginn der Corona-Krise bei den ersten Lockdowns auch gesagt. Bedeutet im Umkehrschluss: Dieses Mal kann es härter kommen als während der ersten COVID-Wellen.
„Besorgnis erregende Situation“
Christian Lindner, Deutschlands Finanzminister und damit einer der wichtigsten Kapitäne des europäischen Wirtschaftsmotors, hat am Dienstag Abend drastische Worte gewählt: „Es besteht die Gefahr einer sehr ernstzunehmenden Wirtschaftskrise aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise, aufgrund der Lieferketten-Probleme, aufgrund auch der Inflation.“ Er warnt vor einer „besorgniserregenden Situation“, die in einigen Wochen und Monaten eintreten könnte, gefolgt von drei, vier, vielleicht sogar fünf Jahren der Knappheit. Wirtschaftsforscher:innen rechnen mit harten Wirtschaftseinbußen, wenn die Gaslieferungen aus Russland weiter weniger werden oder gar ausbleiben. In Österreich und Deutschland liegen die Notfallpläne für den Gas-Stopp bereits am Tisch. Kohle, Atom, Solar, Wind – es wird gestritten, wie man die Energieengpässe ausgleichen könnte.
Parallel dreht sich die Inflationsspirale mit herben Preissteigerungen für Energie und Lebensmittel weiter. Der Europäischen Zentralbank (EZB) wird längst viel zu zögerliches Handeln vorgehalten, längst hätten die Leitzinsen (wie in den USA bereits passiert) erhöht werden müssen. Im Juli soll das endlich passieren, doch die Effekte werden nicht gleich einsetzen. „Geldpolitische Maßnahmen wie etwa Zinserhöhungen wirken natürlich zeitverzögert. Meistens benötigen sie zwischen einem halben Jahr bis zu zwei Jahre, um überhaupt zu wirken“, sagte Heike Lehner von Agenda Austria bereits zu Trending Topics.
Inflation, Stagflation, Rezession
Auch in den USA warnen immer mehr Expert:innen davor, dass die Wirtschaftsmacht des Westens bereits 2022 und nicht erst in den Folgejahren in einen Wirtschaftsabschwung, eine Rezession kippen könnte. Noch stehen die Prognosen von einem schwachen Wachstum von knapp 2 Prozent, aber das könnte sich drehen. Zuletzt hat man bereits gesehen, dass die Weltbank das weltweite Wirtschaftswachstum von 5,7 % im Jahr 2021 auf 2,9 % in diesem Jahr gesenkt hat – und parallel dazu vor einer so genannten Stagflation warnt. Die Citigroup und die Deutsche Bank sehen die Chancen einer globalen Rezession mittlerweile bei 50%, die japanische Nomura, ein Finanzunternehmen, stuft die Gefahr für die USA sogar noch höher, bei mehr als 50% Wahrscheinlichkeit, ein.
Stagflation – das ist die ungemütliche Paarung einer wirtschaftlichen Stagnation mit einer hohen Inflation. Bedeutet: Sinkende Nachfrage (Menschen können sich Dinge nicht mehr leisten) trifft auf stockendes Angebot (Lieferengpässe, hohe Produktionskosten wegen Energiekrise). Zuletzt gab es das in den 1970ern in Folge der Ölkrise, als sich der Ölpreis innerhalb von zwei Jahren verdoppelte. Heute ist möglich, dass sich Öl- und Gaspreise in viel kürzerer Zeit verdoppeln. Anders als in den 1970ern sind die Arbeitslosenzahlen in den USA, Deutschland oder Österreich aber sehr gering – und zwar deutlich niedriger als in den Vorjahren. Auch hier muss man in den Worten des US-Schriftstellers Mark Twain festhalten: „History doesn’t repeat itself, but it often rhymes.“
Doch das muss nicht zwingend so bleiben. Tesla, Klarna, Netflix und so weiter – 2022 wurden alleine im Tech-Sektor bereits mehr als 40.000 Mitarbeiter:innen gekündigt. Noch bleibt abzuwarten, ob sich dieser Trend auf andere Sektoren ausweiten wird – unmöglich ist es nicht. Aktuell meinen viele, dass die freigesetzten Mitarbeiter:innen in der hochspezialisierten Tech-Branche schnell von den viele Unternehmen, die nach Fachkräften suchen, aufgesaugt werden. Zu beachten ist auch, dass aus der Ukraine geflüchtete Menschen die Zahl der Arbeitskräfte in der EU um satte 1,3 Millionen erhöht – auch das muss erst einmal verdaut werden.
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Was kann noch mobilisiert werden?
Regierungen in Europa und den USA sind nun gefordert, der drohenden Rezession so gut wie möglich Einhalt zu gebieten. Am Donnerstag hält die österreichische Regierung eine Sondersitzung ab, um ein Sondersitzung statt, um ein Maßnahmenpaket von 28 Milliarden Euro gegen die Teuerung zu beschließen. 2020 gab es mitten in der ersten Welle der COVID-Pandemie ein Maßnahmenpaket von 50 Milliarden Euro. Das lässt befürchten: Wenn diese neue Welle der Wirtschaftskrise schlimmer wird als Corona – dann müssten die Hilfspakete noch größer werden als vor zwei Jahren. Oder: Wenn sie nicht größer werden (können) – dann wird es die Menschen härter treffen als 2020.
Der Insolvenz-Tracker, den Trending Topics gemeinsam mit dem KSV1870 wöchentlich mit frischen Daten veröffentlicht, zeigt, dass die Zahl der Insolvenzen Ende des Jahres Vorkrisenniveau erreichen werden. Dass in der Corona-Pandemie die Zahl der Firmenpleiten drastisch zurück ging, ist den oben erwähnten 50 Milliarden Euro zu verdanken.
„Teuerungswelle, Inflation, Lieferengpässe, Fachkräftemangel, Krieg in der Ukraine: Die Liste der Herausforderungen, mit der sich Österreichs Wirtschaft auseinandersetzen muss, ist aktuell besonders lang. Dennoch ist der gravierende Anstieg an Firmenpleiten gegenüber dem ersten Halbjahr des Vorjahres nicht unmittelbar auf die aktuelle Situation zurückzuführen“, heißt es seitens KSV1870-Chef Ricardo-José Vybiral. Bedeutet: Die genannte Liste der Herausforderungen wird erst noch zum Tragen kommen. Auch das lässt erahnen, was in einer neuerlichen „größten Wirtschaftskrise seit dem 2 Weltkrieg“ vonnöten wäre, um die Firmen noch einmal zu retten.