Herbert Gartner: Klimakrise überleben durch neue Technologien, Verzicht und Aufforstung
In der Tech- und Investoren-Szene kennt man Herbert Gartner vor allem für große Investments und Exits. Nebenbei setzt sich der Naturliebhaber aber seit vielen Jahren vehement für den Schutz des letzten Urwalds Österreichs, im Grenzgebiet zwischen der Obersteiermark und Niederösterreich, ein – mit Erfolg. 2017 wurde das einzige Wildnisgebiet Österreichs, das Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal, von der UNESCO zum ersten Weltnaturerbe Österreichs erklärt.
Nun tritt der gebürtige Linzer und in Graz lebende Gartner wieder in Erscheinung. Diesmal unterstützt er die NGO AllRise der Österreicher Johannes Wesemann (Ex-Uber-Chef in Österreich) und Wolfram Proksch (Rechtsanwalt in Wien) bei ihrer Anzeige des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes.
Ein Gespräch über Naturschutz, die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes, Atomkraft und Kernfusion und Sustainability als Grundeinstellung für Startups.
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T&N: Du hast dich in den letzten Jahren mit anderen stark darum bemüht, das Lassingtal zum geschützten Wildnisgebiet zu machen. Wie ist das Projekt entstanden, warum das Engagement?
Herbert Gartner: Nach dem Verkauf von SensorDynamics fand ich Zeit, den letzten Urwald Mitteleuropas zu besuchen – ein bis dahin langgehegter Wunsch. Dieser letzte Urwaldrest ist nur 400 Hektar groß und befindet sich im Grenzgebiet Niederösterreich-Steiermark. Mit über 65 Meter hohen und bis zu 600 Jahre alten Bäumen, einer extrem hohen Biodiversität und einer einzigartigen Fauna und Flora ist dieser Tannen-Fichten-Buchen-Urwald Österreichs wertvollstes Naturjuwel. Aufgrund seiner Abgeschiedenheit und seines hohen Schutzstatus ist dieser Urwald aber nur wenigen Österreichern bekannt.
Um die extrem hohe Biodiversität des Urwalds zur Renaturalisierung der benachbarten Gebiete zu nutzen, versucht man seit den 1990er-Jahren die angrenzenden Wälder aus der Nutzung zu nehmen. In den dadurch entstehenden Wildnisgebieten (so bezeichnet man diese höchste Kategorie von Schutzgebieten) nimmt sich der Mensch völlig zurück, die Natur darf sich wieder frei entfalten und alle biologischen Prozesse dürfen wieder natürlich ablaufen.
Das heißt: Jegliche forstwirtschaftliche, jagdliche und sportliche Nutzung des Gebiets wurde eingestellt. Ein Besuch ist nur in geführten Gruppen oder auf ausgewiesenen Wanderwegen möglich. Dieses Gebiet ist heute eines der wenigen Flächen weltweit, das einen starken Anstieg der Biodiversität aufweisen kann – ein kleiner Lichtblick für unseren Planeten. Das Gebiet wurde zwischenzeitlich auch zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt.
Die Gesamtfläche des Wildnisgebiets konnte mit unserer Hilfe nun verdoppelt werden. Heute beträgt die Gesamtfläche 7.000 Hektar und liegt zur Hälfte in Niederösterreich rund um den Dürrenstein und zu anderen Hälfte im steierischen Lassingtal mit einem der letzten weitgehend unregulierten Alpenflüsse.
Wie schwer war es, das Gebiet dieser höchsten Schutzkategorie zu verdoppeln?
Dieses Vorhaben, das ich zusammen mit eQventure und hier im Speziellen mit Bernhard Astner als reines pro bono Projekt verfolge, ist ein Marathon-Projekt. In den letzten zehn Jahren haben wir unzählige Stunden in Einzelgespräche mit lokalen und landesweiten Politiker:innen sowie Entscheidungsträger:innen, in die Überzeugungsarbeit in mittlerweile vier steirische Umweltlandesräte und schließlich in die Begleitung und Unterstützung der oft harten und zähen Verhandlungen zwischen dem Land Steiermark und den Österreichischen Bundesforsten investiert.
Sucht ihr noch Sponsor:innen?
Durch die Erweiterung des Gebiets benötigen wir zusätzliche Ranger inklusive Ausrüstung, damit das Gebiet z.B. vor Wilderern geschützt werden kann. Für die Finanzierung dieser Ranger:innen und für den Freikauf weiterer Flächen werden weitere Sponsor:innen gesucht.
Gehst du nun weitere Naturschutzprojekte an?
Wir überlegen derzeit, ob wir uns für den Schutz der Urwälder in Rumänien und den letzten großen Wildfluss in Europa – die Vjosa in Albanien – engagieren. Österreichische Unternehmer:innen haben sowohl bei der Abholzung rumänischer Urwälder und als auch beim Bau völlig ineffizienter Kleinkraftwerke in albanischen Schutzgebieten traurige Berühmtheit erlangt. Wir müssen hier gegenzusteuern.
Du unterstützt auch Johannes Wesemann in seiner Anzeige des brasilianischen Präsidenten und dessen Einfluss auf die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes. Warum, und was versprichst du dir aus dieser Anzeige in Den Haag? Könnte Bolsonaro wirklich verklagt werden?
Eine ganze Reihe von eQventure-Clubinvestor:innen unterstützt dieses Projekt. Verbrechen gegen die Umwelt sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Entscheidungsträger:innen, die unseren Planeten zerstören, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Musterklage wird Vorbild für künftige Strafverfolgungen in ähnlichen Fällen sein.
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Wie beeinflusst dein Engagement für den Naturschutz deine Investments in Startups? Gibt es künftig mehr Investments in nachhaltige Geschäftsmodelle?
Alle Projekte, für die ich mich engagiere, dienen der Effizienzsteigerung und Ressourcen-Reduktion. Innovation ist eine wesentliche Komponente, um die große absehbare globale Klimakatastrophe abzuwenden.
Braucht heute jedes Startup neben einem Businessplan einen Sustainability-Plan? Oder anders gefragt: Wird Sustainability als eigenes Vertical missverstanden neben Fintech, Mobility und Co, ist aber eigentlich Querschnittsmaterie?
Geschäftsmodelle, die nicht nachhaltig sind, sollte man nicht unterstützen. Sustainability muss die Grundeinstellung jedes Gründer-Teams sein.
Es gibt diesen großen Richtungsstreit in der Klimakrise: Die einen rufen zum Verzicht auf, die anderen sehen die Rettung in neuen Technologien. Auf welcher Seite stehst du?
Wir benötigen drei Komponenten, um die Klimakrise zu überleben: Erstens neue Technologien, zweitens Verzicht und drittens weltweite Aufforstung. Wir haben 50 Prozent aller Wälder abgeholzt. Wenn wir davon nicht zumindest die Hälfte rasch wieder aufforsten, wird es schwierig, die anstehenden Kipppunkt-Effekte abzuwehren, die unseren Planeten weitgehend unbewohnbar machen werden.
Der Energiemarkt gilt als größter Hebel in der Klimakrise. Manche wollen verstärkte Investments in Atomkraft sehen. Dein Standpunkt?
Energie aus Kernspaltung ist aufgrund der negativen Folgekosten wenig überzeugend. Energie aus Kernfusion wäre eine tolle Lösung. Es wird aber noch einige Zeit dauern bis uns diese Energiequelle zur Verfügung steht.
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Im Herbst soll endlich das Gründerpaket in Österreich vorgestellt werden. Wie muss die lange erwartete Mitarbeiterbeteiligung angelegt werden, damit sie funktioniert?
Die Beteiligung für Mitarbeiter:innen muss steuerlich der Beteiligung für Investor:innen gleichgestellt sein. Ich verstehe nicht, warum der Staat hier Mitarbeiter:innen doppelt so hoch besteuert wie Investor:innen.
Immer mehr Gründer:innen klagen über Mängel der Rot-Weiß-Rot-Karte – sie schaffen es oft nicht, Talente aus Drittstaaten wie den USA oder Indien nach Österreich zu holen. Wie groß ist das Problem?
Ziemlich groß. Wir müssen hochqualifizierten Hightech-Mitarbeiter:innen aus Drittstaaten den roten Teppich ausrollen, anstatt sie zu behindern. Volkswirtschaftlich ist das sehr unvernünftig, wie wir uns hier aktuell verhalten.
Österreich hat 2021 mit Bitpanda und GoStudent zwei Unicorns bekommen. Welches wird das dritte sein?
Warten wir es ab.