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„Ich lebe lieber in einem Förderdschungel, als in einer Förderwüste“

© Wirtschaftsagentur Wien (Alexander Chitsazan)
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Sicher, Wien kann sich wunderbar mit Zahlen schmücken: Zum achten Mal in Folge Sieger der Mercer-Studie und damit die lebenswerteste Stadt der Welt. Mit rund 200.000 Studenten die größte deutschsprachige Universitätsstadt und Standort für rund 125.000 Unternehmen. Aber es ist nicht alles eitel Sonnenschein. In der Bildungspolitik blockieren sich die Verantwortlichen seit Jahrzehnten oder fordern die pädagogische Rückkehr in die letzten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts. Die Bürokratie und die hohen Lohnnebenkosten ersticken viele Ideen im Keim. Das Stiftungsrecht und steuerliche Zwänge verhindern, dass vorhandenes, aber dringend benötigtes, Kapital zu den jungen Unternehmern fliesst.

Was Wien von anderen Städten lernen kann, was es auszeichnet und wie sich die Stadt entwickeln kann, wenn denn alle wollen, haben wir mit Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur und Søren Obling, Gründer des Fintechs Finabro, besprochen.

Das ist Søren Obling

Søren Obling, Gründer von Finabro

Letzterer legte eine Musterkarriere hin: Der gebürtige Däne und Finanz-Nerd war Berater bei McKinsey, leitete den Bereich IoT bei der Wiener High-Tech-Firma TTTech und lernte als Finanzanalytiker bei Altius Private Equity London näher kennen, bevor er sich zur Gründung von Finabro entschloss. Das Fintech bietet digitale Finanzberatung und Vermögensverwaltung an. Mittels neuester Technologien und einfacher Handhabe können Kunden aus verschiedenen Anlageklassen und Risikostufen ihr persönliches Portfolio zusammenstellen lassen. Der Versicherer Uniqa und einige Business Angels statteten das Unternehmen 2017 mit über einer halben Million Euro Risikokapital aus. Obling hat in Kopenhagen, Paris, Prag und London gelebt.

… und das sein Gesprächspartner Gerhard Hirczi

Gerhard Hirczi, Wirtschaftsagentur Wien

Sein Gegenüber, Gerhard Hirczi, kam über ähnlich ungewöhnliche Wege zum Gründertum: Der studierte Volkswirt kam nach dem Studium in Graz nach Wien, arbeitete als Unternehmensberater, als Wirtschaftsberater im Kabinett  von Bundeskanzler Vranitzky, als Konzernsprecher bei der Siemens AG und schließlich als Konzernpersonalchef von rund 40.000 Mitarbeitern beim Siemens-Cluster. Seit 2009 leitet Hirczi die Wirtschaftsagentur Wien. Dort verantwortet er mithilfe seiner 150 Mitarbeiter u.a. Fördergelder, Unternehmensgründungen, internationale Ansiedlungen und den Ausbau der internationalen Wirtschaftsbeziehungen der Stadt Wien. Den zweifachen Vater verbindet mit dem SK Sturm Graz eine „unglückliche Liebe“. Prinzipiell wünscht er dem Standort eine große Portion „selbstbewusste Lockerheit.“

Trending Topics: Herr Obling, Sie haben lange in Kopenhagen gelebt. Weshalb zog es Sie nach Wien?

Søren Obling: Ich bin 2008 wegen meiner Frau nach Wien gekommen. Wir haben uns während des Studiums in Paris kennengelernt, sie kam dann zu mir nach Kopenhagen und dann entschlossen wir uns zum Umzug nach Wien, weil ihre Familie hier lebt. Ein großer Gewinn für uns ist das Klima: Hier scheint die Sonne häufiger. Die Wiener sehen sich ja nicht als Bewohner einer südlichen Stadt, aber der Sommer dauert zwei Monate länger als in Kopenhagen.

Das sonnige Klima schlägt sich kaum auf die Stimmung durch. Wien gilt generell als grantig. Das trägt nicht gerade zu einer positiven Gründerstimmung bei, oder?

Hirczi: Andere Länder sind stolzer auf ihre Erfolge. Hier bei uns ist der Misserfolg viel mehr wert als der Erfolg. Da wäre eine neue Relation vonnöten. Die Berliner sind da komplett anders. Sie feiern ihre Erfolge, laut und selbstbewusst. Diese Stimmung spürt man in der Stadt. Bei uns ist das Glas nie halb voll. Wenn ich dauernd höre, wie alles den Bach runter geht, interessiere ich mich nie für das Risiko, sondern suche meinen sicheren Hafen. Wir sollten lernen uns zu freuen, wenn andere erfolgreich sind. Sonst laufen wir Gefahr, dass wir uns unter Wert schlagen. Diese Stimmungslage hat auch international Wirkung: Menschen nehmen das ganz genau wahr, wie Menschen über ihre Heimat sprechen. Ob sie es mit Stolz oder zuckenden Schultern tun, beeinflusst die Meinungsbildung sehr.

Wie bringt man Wienern Gründertum näher?

Obling: Der Wiener sieht sich selbst negativer als ich ihn wahrnehme. Ich erlebe es nicht so schlimm. Paris, Berlin und London sollten uns auch nicht als Vergleich dienen. Aber Schweden ist ähnlich groß und hat eine ähnlich hohe Lebensqualität. Aus Stockholm kamen Skype, Klarna und Spotify, drei milliardenschwere Startups. Die Großindustriellen trauen sich dort schon seit Jahrzehnten viel zu investieren. Die Familien wollen keinen schnellen Exit, sondern dem Standort etwas zurückgeben. Diese innere Einstellung haben wir nicht. In Österreich lebt das zum Beispiel Hans-Peter Haselsteiner vor, aber es könnte viel mehr dieser Unternehmer geben. Diese innere Einstellung – dem Land und seinen jungen Unternehmern etwas vom eigenen Erfolg zurückzugeben – die würde uns sehr helfen.

Die skandinavischen Länder dienen oft als Blaupause für sinnvolle und nachhaltige Wirtschaftspolitik. Was zeichnet ihre Heimatstadt Kopenhagen aus?

Obling: Dänemark war in den letzten dreißig Jahren extrem erfolgreich. Viele europäische Länder können sich von der Strategie eine Scheibe abschneiden. In den 80er Jahren wurde Windenergie stark gefördert, in den 90er Jahren BioTech. Es wurde ein unternehmerfreundliches Klima für Investoren geschaffen. Dänemark profitiert heute sehr von den Investitionen. Weltmarktführer Siemens Wind hat in Dänemark sein Hauptquartier und auch viele globale Firmen von General Electric über den chinesischen Energieriesen haben Büros im Kompetenzzentrum Aarhus. Für Dänemark bedeutet das über 100.000 Akademiker-Jobs. Bei den Startups lief es anders. Da haben wir den Zug verpasst. Es gibt kaum Unterstützung für junge Unternehmen. Man kann zwar um 15 Cent eine Firma online gründen, aber vor allem die wichtige Förderungen für den Anfang sind sehr dünn gestreut.

Herr Hirczi, Sie sind im ständigen internationalen Wettbewerb. Bei welchen Entwicklungen schauen Sie neidisch auf andere Metropolen?

Hirczi:Vor allem, wenn es um das Thema Venture Capital geht, hat Österreich nach wie vor Nachholbedarf. Mitteleuropa befindet sich in einer historisch bedingten Schieflage. Investitionen in Unternehmen hinein haben bei uns keine Tradition. Wir fühlen uns wohl mit unseren Sparkonten, anstatt unseren Erfolg mit den Unternehmern der nächsten Generation zu teilen. In den USA gibt es diese mentale Haltung seit hunderten Jahren. Wir verfügen nicht über dieses typische Gründer-Gen. Andererseits entwickeln die Dinge sich. In unserem Stil und in unserem Tempo. In den letzten fünf Jahren hat sich die Business Angel-Szene organisch etabliert. Wir Österreicher waren nie Vorreiter im Startup-Thema, aber wir holen jetzt auf. Wien entwickelt ein innovatives Klima. Auch Dank der Universitäten.

Lassen Sie uns über das Gründer-Gen sprechen. Viele Studenten können sich zu Beginn des Studiums vorstellen zu gründen und verlieren im Laufe der Zeit das Interesse daran. Wie kann man diesem Trend entgegenwirken?

Hirczi: Es gibt keine andere deutschsprachige Stadt, die mehr Studierende hat. Wir versuchen auf den Universitäten zu vermitteln, dass man nicht nur als Beschäftigter arbeiten kann, sondern auch selbst Jobs schaffen kann. Wir treten auch an die Volksschulen heran, mit einem Format namens Ideen-Attacke. Da laden wir Kinder ein und reden mit ihnen über Innovation und Forschung. Die Kinder erfinden drei Stunden eigene Produkte. Damit zeigen wir ihnen, dass eine Karriere nicht nur in den ausgetretenen Pfaden möglich ist. Wir holen  die Forschung aus dem Elfenbeinturm auf die Straße und beziehen alle mit ein.  Das ist nicht unsere Kernkompetenz, aber es gibt nicht so rasend viele, die sich dieser Sache annehmen.

Herr Obling, Sie sind selbst Vater. Versuchen Sie ihrer Tochter die Selbstständigkeit vorzuleben und sie für das Thema zu sensibilisieren?

Obling: Meine Tochter ist vier Jahre alt und damit noch etwas zu jung, aber wir legen großen Wert darauf, dass sie weiß, dass sie alles erreichen kann, was sie will. Aktuell kämpfen wir gegen pink. Es ist ein erster Stereotyp, der Mädchen ausgrenzt. Kinder lernen im Silicon Valley schon mit zehn Jahren mit Lego programmieren. Es gibt so viele spannende Wege, Kindern das neue Arbeiten und Wirtschaften beizubringen.

Wie sind Sie als Familienvater mit dem finanziellen Risiko umgegangen, das eine Gründung mit sich bringt?

Obling: Ich habe bei McKinsey und TTTech gut verdient, bevor ich gegründet habe. Dass ich dann in Österreich trotzdem fast ein Jahr 1.700 Euro Gründerbeihilfe vom AMS bekommen habe, war eine großzügige Unterstützung. Es hat mir bei der Entscheidung geholfen, ein Unternehmen zu gründen. Fintech-Gründer sind alle keine 20 mehr, sondern Mitte dreißig und älter. Für mich war entscheidend, dass ich meinen Lebensstandard halten kann, obwohl ich mir keine großen Bezüge auszahlen konnte. Mit 35 hatte ich mit einem Kind und einem Wohnungskredit andere Verantwortungen als ein Gründer, der frisch aus der Uni kommt und noch in seiner Studentenbude lebt. Ich hatte genug Selbstvertrauen, dass wir diesen Weg vom Proof-of-concept bis zum fertigen Produkt schaffen. Wenn wir keine Investoren gefunden hätten, dann wäre es eine Totgeburt gewesen.

Was würde passieren, wenn ihr Unternehmen scheitert?

Obling: Mit 25 wäre das weniger ein Thema. Aber Gründer sind üblicherweise viel älter. Meine Frau und ich sind voll ins Risiko gegangen. Mein Horror-Szenario war: Die Puffer sind weg und ich bekomme keinen Job bei einem Unternehmen. Diese Vorstellung war bei der Gründung absolut realistisch für uns. Schon beim Gedanken an diese Zeit, habe ich Angst vor dem Burnout. Diese Stimmung will man seinem Kind nicht zumuten. Solche Themen muss man als Familienvater durchdenken -und das habe ich getan. Ich habe einen klaren Backup-Plan erstellt, wenn irgendetwas dazwischen kommen sollte. Ich hätte das nicht gemacht, wenn ich für das übelste aller Szenarios keine Strategie gehabt hätte.

Zurück zum Unternehmertum. Was waren die größten Hürden beim Gründungsprozess, die Sie sich aus dem Weg gewünscht hätte?

Obling: Wenn man die Idee hat eine digitale Vermögensverwaltung zu gründen, dann sind die Hürden eher aufsichtsrechtlicher Natur. Wir mussten uns so aufstellen, dass wir innerhalb der Regularien der Finanzmarktaufsicht (FMA) funktionieren. Ich habe zwar Finanzen studiert, aber habe nicht die Kompetenzen, um eine Firma in diesem Umfeld alleine zu gründen. Ich habe einen Co-Founder gesucht, der unter anderem die regulatorische Fähigkeiten mitbrachte. Die Regulierungen sind für jedes Fintech die größte Hürde.

Gibt es Fantasie, dass andere öffentliche Stellen diese Phase zwischen der Gründung und dem Proof-of-concept unterstützen?

Hirczi: Wir versuchen den Aufwand für Förderungen ständig zu verkürzen und  haben  alle Programme überprüft und sinnlose Standardisierungen getilgt. So sparen Gründerinnen und Gründer heute schon 25 Prozent Zeit. Zum Vorwurf wir wären ein Förderdschungel: Ich als Unternehmer lebe ich lieber in einem Förderdschungel als in einer Förderwüste.“

Haben Sie schon für Förderungen angesucht? Was waren ihre Erfahrungen? 

Obling: Wir reichen aktuell gemeinsam mit einem Förderberater bei der FFG und AWS ein. Meine Frau (Tina Deutsch von Klaiton) ist auch Gründerin. Sie hat diese Anträge alleine umgesetzt und das hat sehr viel Zeit gekostet. Deshalb habe ich mich für einen anderen Weg entschieden. Der Berater übernimmt der großteil des Prozesses und ich habe Zeit, um mein Produkt weiterzuentwickeln. Allerdings kostet das uns viel Geld.  Prinzipiell würde ich mir einen Weg wünschen, der ähnlich vonstatten geht, wie ein Investment-Prozess. Mit einem Investoren-Pitchdeck, um Förderungen zu pitchen wäre eine sehr sinnvolle Weiterentwicklung.

Debatte über Zeitaufwand bei Förderungen

Hirczi: Wenn ein Antragsteller uns schon nicht die relevanten Fragen  beantworten kann, wie soll dann der Markt überzeugt werden?  Ja, wir fordern die Gründerinnen und Gründer  heraus und bieten damit eigentlich einen ersten Proof-of-concept an. Es hilft ihnen,  wenn sie auf Herz und Nieren geprüft werden. Wir haben den Anspruch die besten Projekte zu fördern. Am Ende des Tages ist es für beide Seiten ein Gewinn. Aber wir müssen auch ständig optimieren und uns hinterfragen, ob wir effektiv arbeiten. Deshalb haben wir ja auch  die komplette Förderlandschaft evaluiert und Komplexität abgebaut.

Warum sind Förderanträge so unglaublich komplex?

Hirczi: Wir arbeiten  mit öffentlichem Geld und haben eine hohe Verantwortung mit dem Steuergeld transparent und verantwortungsvoll umzugehen. Wir passen auch auf Ihr Geld auf und setzen es so ein, dass am Ende im Idealfall mehr herauskommt, als eingesetzt wurde. Und zwar, indem mehr Geld investiert wird und neue Arbeitsplätze entstehen.


Event-Tipp: Am 23. März 2018 findet mit Gründen in Wien ein ganztägiger Event statt, bei dem du alles über die Startup-Welt der österreichischen Hauptstadt erfährst. Coworking Spaces, Jungunternehmen, Hubs, Förderstellen und Initiativen öffnen ihre Türen und zeigen allen Interessierten, wie Geschäftsideen erfolgreich realisiert werden.

Dieser Artikel entstand mit finanzieller Unterstützung der Wirtschaftsagentur Wien.  Alle Bilder wurden von Alexander Chitsazan festgehalten. Das Copyright für die Fotos liegt bei der Wirtschaftsagentur Wien.  

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