Ikea`s Nachhaltigkeitsbericht 2020 – Brett vorm Kopf, aber das Brett ist zertifiziert
Die nächste Analyse also, diesmal: Ikea. Grundsätzlich: Respekt. So sollte ein Report über weite Strecken aussehen: Gute Implementation von Zahlen und Bezugnahme auf Corona, offenes Zugeben von Fehlern, und mehrere wirklich durchdachte Ansätze, vom Produktdesign bis beispielsweise zur klaren Ansage, man habe durch Corona gelernt und wird definitiv nicht mehr so viel beruflich fliegen. Ja, es ist ein bissl no, na, aber ich habe es in anderen Reports so noch nicht gelesen. Auch im Sozialbereich scheinen sie gut aufgestellt, Umfeldrecherchen haben aber auch viele kritische Berichte hervorgebracht, ihre „Fairness“ ist anscheinend mit großer Vorsicht zu betrachten. Mein Fokus für diese Kolumne liegt auf der Ökologie. Wie gesagt, spannend, dennoch merkt man: Umsatz ist Umsatz und der darf nicht durch Nachhaltigkeit verringert werden.
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Greenwashingfalle: Schwache Gütezeichen
Trotz des Lobes kann man noch nicht davon sprechen, dass Ikea auf dem richtigen Weg ist, leider, weil sie den Kardinalfehler in Sachen Greenwashing machen: Sie setzen so richtig mit Anlauf auf lauter viel zu schwache und nicht vertrauenswürdige Gütezeichen. Es ist schon fast beeindruckend, sie lassen echt nichts aus, von RSPO für Palmöl über BCI für Baumwolle und Rainforest Alliance und UTZ bei Kakao und anderen Lebensmitteln bis hin zu FSC für Holz. Das sind durch die Bank industriegesteuerte Siegel, deren Effektivität sehr zweifelhaft ist. Und da beginnt die Krux: Ikea ist leider ein Musterbeispiel dafür, dass man sich nicht auf Gütezeichen, die einem das Grüne vom Himmel versprechen, aber in Wahrheit sehr intransparent und schwach sind, verlassen sollte.
Vor einigen Monaten ist ihnen dabei ziemlich viel Holz auf die Füße gefallen, muss wohl wehgetan haben: Nicht nur, dass das Gütezeichen FSC per se schon sehr kritisch zu betrachten ist, wurde ihnen auch nachgewiesen, dass sie in ukrainischen Wäldern während der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeit Holz ernteten und es als FSC-Holz aus Rumänien ausgaben. Da war Ikea halt so richtig auf dem Holzweg (tut mir leid, ich kann keinem Wortspiel ausweichen, und wenn ich mich noch so sehr bemühe).
Solange immer wieder solche Skandale auftauchen und Ikea voll auf FSC setzt, dessen Standards in jedem Land unterschiedlich ausgelegt sind und das den Schutz der Wälder eben genau nicht garantieren kann, kann man ihrer Holzstrategie („forest positive“) leider nur recht bedingt Glauben schenken, oder, wie es zwei Studentinnen von mir so treffend ausdrückten: „Die Schweden nennen es Halbwahrheit“.
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Zauberwort Recycling
Ein weiterer schwieriger Punkt: Ikea verwendet das Wort Recycling inflationär. Alles muss recycelbar sein. Was sie NICHT kommunizieren: Dass jedes dieser Teile dem richtigen Abfallwirtschaftssystem zugeführt werde muss, um wirklich recycelt zu werden, und wo man es am besten entsorgt (außer, es steht jeweils am Produkt oben, was ich zu bezweifeln wage). Und da wird das kommunikative Eis in Sachen Greenwashing schon etwas dünn. Was hängen bleibt, ist nämlich „Yay, kann ich mit gutem Gewissen kaufen, wird eh recycelt!“. Nein, wird es nicht, wenn man es dann am Ende, wenn es kaputt ist, in den Restmüll wirft.
In Sachen Kommunikation gibt es noch einen zweiten Punkt, der bei Ikea höchst unangenehm aufstößt: Sie übertreiben es mit dem „Hey, du!“ sehr gewaltig. Nicht, dass ich ein Problem damit hätte, auf Augenhöhe per Du angesprochen zu werden, aber wieso fordert mich ein Konzern im Imperativ zum Mülltrennen und Stromsparen auf und verkauft mir das als Tipps, wie ich mich umweltschonend verhalte? Ich find es ja schon fast witzig: Ikea ist bekannt dafür: Wenn man hinfährt und sich ein Teil kauft, kommt man mit fünf Teilen wieder raus, und einem Sackerl Teelichter obendrein. Das ist quasi Gesetz. Und das kommt nicht von irgendwoher, Ikea hat unglaublich gefinkelte Verkaufsstrategien. Man wird an jedem einzelnen Produkt vorbeigelotst, passiert in der Markthalle Unmengen an Schütten, die „Sonderangebote“ beinhalten, und vor der Kasse kriegt man schnell noch die Dinge, die man „schnell mal mitnehmen kann“ ausführlich vor die Nase gehalten.
Ikea hat aber auch „unnachhaltigen Konsum“ als eine seiner Schlüsselherausforderungen identifiziert. No shit, Sherlock!
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Mehr Nachhaltigkeit oder doch mehr Umsatz?
Die Lösung, die sie dazu entwickelt haben: Sie wollen KonsumentInnen „inspirieren“, sich nachhaltig zu verhalten, und es ihnen „ermöglichen“. Sie wollen Kreislaufwirtschaft fördern und eine „Bewegung für besseres Alltagsleben“ schaffen. Aha. Das ist ja alles gut und schön und nimmt Bezug darauf, dass Ikea weiß, wie groß der weltweite Impact des Konzerns ist. Aber wie wäre es mit Kehren vor der eigenen Türe? Mehr Abkürzungen durch die Läden anbieten, weniger Sonderangebote, keine Bleistifte überall im Laden (weil: Was man sich aufschreibt, kauft man sich dann auch wahrscheinlicher, als wenn man es nicht aufschreibt), nur so als Mini-Ideen? Zahlt halt direkt nicht ins Unternehmensziel der Umsatzsteigerung ein und müsste entweder anders abgefangen oder in Kauf genommen werden.
Bei aller Kritik muss man aber auch sagen: Sie machen auch vieles richtig, schauen intensiv auf ihre eigene Lieferkette und denken die Produkte von Anfang bis Ende durch. Das ist gut – wäre da nicht diese Creme de la Creme an schlechten Gütezeichen. Eine Bekannte, die beruflich am Rande mal mit IKEA zu tun hatte, meinte, die seien wirklich sehr bemüht in Sachen Nachhaltigkeit, es ist ihnen wirklich wichtig. OK, glaub ich schon, aber ich wage jetzt mal zu behaupten: Nur bis zu einem gewissen Grat.
Und genau an diesem Grat entlang bewegt sich das Gretchen mit der Frage: Was ist wichtiger, Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die in die allgemeinen Unternehmensziele einzahlen, oder Unternehmensziele, die in die allem übergeordnete Nachhaltigkeit einzahlen? Es ist wohl nicht schwer zu erraten, auf welcher Seite der Frage ich stehe. Wir haben nämlich jetzt nicht mehr rasend viel Zeit, bis uns der Planet unterm Hintern wegbrennt…