Gastbeitrag

Holacracy im Coworking Space: Zwischen Tactical-Meetings und Krisen-Management

© Impact Hub
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Lukas Kruppa ist Sozialunternehmer in Österreich und hat sich intensiv mit dem Thema Holacracy, unter anderem während seiner Zeit in Uganda, auseinandergesetzt. Auf Trending Topics gibt er Einblicke, wie der Unternehmensstil durch die Corona-Krise neuen Zuspruch erfährt.

„Lasst keine Krise ungenutzt!“, lautet das Gebot der Stunde. Mehr Unternehmen als je zuvor stehen vor oder in einem radikalem Wandel. Holacracy (deutsch: Holokratie) ist eine neue Art Unternehmen zu organisieren, die mit vielen klassischen Strukturen und Prozessen bricht und neue Wege vorschlägt. Man kann es als neues Betriebssystem für Organisationen verstehen. Kann Holocracy Unternehmen zum Beispiel auch krisenresistenter machen?

Das Impact Hub Vienna organisiert sich seit 6 Jahren holokratisch und hat als Co-Working-Space eine große Community mit viel Einfluss auf andere Organisationen. Die Corona-Krise traf die Organisation intensiv. Ich durfte Steliana Kokonova befragen, wie Holacracy in Krisenzeiten funktioniert. Sie hat unter anderem die Rolle des Facilitators (Moderatorin und Organisatorin der Meetings) im zentralen Arbeitskreis, also dem General Circle, inne. Damit ist sie in einer Kernrolle des Impact Hubs, denn da holokratische Meetings sehr strengen Regeln folgen, muss man sie gut verstehen, um sie leiten zu können.

Co-Working Space und Community

Das Impact Hub Vienna ist ein Co-Working-Space und Veranstaltungsraum im 7. Bezirk in Wien, der sich inzwischen über mehrere Stockwerke erstreckt. Das Impact Hub definiert sich selbst – mit circa 600 Mitgliedern – vorrangig als Community von Gründer*innen, Kreativen, Investor*innen, etablierten Unternehmen und NGOs, die daran glauben, dass mutige unternehmerische Ideen die Gesellschaft positiv verändern können. Es gibt weltweit über 100 Impact Hubs mit über 16.000 Mitgliedern, die alle miteinander bis zu einem gewissen Grad vernetzt sind.

Der Purpose gibt in Holacracy den Sinn und die Grundmotivation der ganzen Organisation wieder. Auf diesen ist dann die ganze Organisation ausgerichtet und den jede*r Mitarbeiter*in versucht mit allen seinen oder ihren Handlungen immer dem Purpose ein Stück näher zu kommen. Der Purpose vom Impact Hub Vienna lautet: „People taking collaborative action for a better world.“

Im Impact Hub Vienna arbeiten knapp zwanzig Mitarbeiter*innen und sie organisieren sich seit 2014 holokratisch. Das Vorbild war damals ein Impact Hub in Amsterdam. Dort lernten die Gründer*innen des Impact Hubs Vienna Holacracy kennen. Sie versprachen sich von der Implementierung klarere Zuständigkeiten und Entscheidungsstrukturen. Denn zu diesem Zeitpunkt wurden die Gründer zu fast allen Entscheidungen befragt und während sie selbst enorm viel zu arbeiten und entscheiden hatten, mussten andere Mitarbeiter*innen oft abwarten, bevor sie weiterarbeiten konnten.

Inzwischen ist die verteilte Autorität, die Transparenz und die Klarheit der Rollen eine Selbstverständlichkeit für alle geworden. Nicht alle holokratischen Regeln werden mit voller Strenge durchgeführt und in manchen Bereichen eigene Wege gegangen – frei nach dem Motto: „Learn the rules to brake them.“ Beispielsweise haben in den Team-Synchronisations-Meetings (Tacticals) regelmäßige Anerkennungen einen zusätzlichen Platz gefunden, wo sie aus Effizienzgründen in der Theorie nicht gedacht wären. Trotzdem werden die großen holokratischen Grundgedanken, wie etwa Selbstorganisation oder Eigenverantwortung, in die Arbeit integriert und unterstützen laut regelmäßigen teaminternen Umfragen die Arbeit vor Ort enorm.

Starke Veränderungen durch COVID-19

Die Corona-Krise hat die Arbeit im Impact Hub enorm verändert, speziell während des Lock-Downs. Die Kernbereiche „Veranstaltungen organisieren“ und „Veranstaltungsräume vermieten“ fielen beinahe komplett weg. Immerhin konnten Community-Events und Inkubationsprogramme online stattfinden. Mit fehlenden Events fiel auch eine große Einnahmequelle weg. Auch das Co-Working war betroffen. Einerseits wurde im Co-Working-Space während des Lock-Downs kaum gearbeitet. Andererseits waren viele Mitglieder selber sehr stark von der Situation betroffen,  da die meisten Freelancer und Sozialunternehmer sind. Sie mussten ihre Kosten reduzieren, darunter auch die Mitgliedschaft bei Impact Hub Vienna. 

Es wurden daher teamintern beispielsweise Mitarbeiter*innen, die im Event- und Co-Working-Management arbeiten, mit neuen Aufgaben betraut, beziehungsweise für manche von ihnen das Kurzarbeit-Modell genutzt.

Holacracy als Unterstützung

Steliana Kokonova hörte sich extra für das Interview intern noch einmal zu diesem Thema um. Holacracy wurde auch in dieser Zeit als sehr unterstützend wahrgenommen. Was mehrmals genannt wurde war, dass die Rollenklarheit half, genau zu sehen, worauf man sich fokussieren musste. Auch hilfreich war, dass niemand erwartete, dass ein Chef allen sagt, was genau sie zu tun haben.

Natürlich gab es Personen mit Rollen, die sich überlegten, welche großen Strategieänderungen es durch COVID-19 bedurfte. In den spezifischen Bereichen und im Detail wussten die Mitarbeiter*innen jedoch, dass es an ihnen war, viele Entscheidungen zu treffen, die dem Purpose der Organisation am besten dienen. Damit schnell gehandelt werden konnte, verzichtete das Impact Hub jedoch beispielsweise darauf, einige dieser Änderungen formell holokratisch in den dafür vorgesehenen Governance-Meetings darzustellen.

Ein weiterer Aspekt, der im Impact Hub sehr positiv wahrgenommen wird, ist die Struktur der Tactical-Meetings (wöchentliches Team-Synchronisation-Meeting): Am Anfang und am Ende sagt jede*r im Kreis, wie es ihm oder ihr geht, dann gibt es Projekt-Updates und danach werden zu besprechende Themen abgearbeitet. Alles wird recht streng moderiert, es gibt keine langen Diskussionen und jede*r weiß, wann er oder sie drankommt. Das ganze Meeting dauert eine bis maximal eineinhalb Stunden, und ist dabei sehr effizient und für alle vertraut.

Steliana Kokonova ist sehr gespannt, wie die zukünftigen internen Umfragen zum Thema „Holacracy“ nach der Corona-Krise ausfallen werden. Alles, was während der Krise wahrgenommen wurde, spricht dafür, dass die Bewertung dem ähneln wird, was schon die letzten Jahre gezeigt haben: Einzelne Praktiken in Holacracy können verbessert werden, hier und da hätte mehr Transparenz oder strengere Einhaltung der holokratischen Grundideen nicht geschadet. Aber insgesamt antwortete doch bisher jede*r auf die Frage: „Unterstützt Holacracy uns beim Arbeiten und wenn ja wie sehr?“ mit „Ja!“ und einem sehr hohen Wert.

In dieser Artikel-Serie werden verschiedene Unternehmen vorgestellt, die holokratisch (oder ähnlich) organisiert sind. Dabei wird analysiert, wie Holacracy während der Corona-Krise funktioniert hat. Holokratie ist ein Betriebssystem für Unternehmen, das auf Selbstorganisation, Rollen und verteilte Entscheidungsstrukturen setzt. (Wer mehr über Holacracy erfahren will: https://www.holacracy.org/).

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