Interview

Inflation: Die Ursachen – die Auswirkungen – die Gegenmaßnahmen

Euro. © Gundula Vogel auf Pixabay
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Die Ära des billigen Geldes ist vorbei – so lautet der Tenor der Analyst:innen, nachdem sich in den USA eine Erhöhung des Leitzinses ab März ankündigt. In der Eurozone hingegen bleibt alles einmal vorerst beim Alten – und der Leitzins nahe Null.

Aber warum? Sollte nicht auch die Europäische Zentralbank wie die Fed reagieren, um die Inflation zu bekämpfen? Wie hoch und wie schnell könnte der Leitzins steigen? Und ist die EZB nicht selber schuld an der hohen Inflation, weil sie massiv Geld in den Corona-geschädigten markt gepumpt hat?

Im großen Interview erklärt Fabio Rumler, Lead Economist in der Abteilung für volkswirtschaftliche Analysen der Österreichischen Nationalbank, die Zusammenhänge – und gibt ein Verständnis, mit was 2022 zu rechnen ist.

Trending Topics: Die Inflation lag in Österreich zuletzt bei 5,1 Prozent und ist so hoch wie seit 1984 nicht mehr. Warum ist das so?

Wir zitieren immer den harmonisierten Verbraucher-Index und der liegt derzeit bei 4,6%. Das ändert aber nichts daran, dass es seit 30 Jahren keine höhere Inflation mehr gab. Grund sind die Verwerfungen der Pandemie. Am Anfang der Pandemie hatten wir das Gegenteil, damals ging die Inflation stark nach unten. Der Ölpreis sackte ab, weil keiner von A nach B gefahren oder geflogen ist.

Dann hat sich die Wirtschaft erholt. Plötzlich gab es wieder hohe Nachfrage. Die OPEC konnte die Fördermengen nicht sofort wieder hochfahren, und der gestiegene Ölpreis wirkt sich dann indirekt auf gestiegene Gas- und Strompreise durch. Der andere Grund sind die Lieferengpässe. Die Just-in-Time-Produktion ist eine Schwachstelle, man konnte nicht auf Knopfdruck wieder in voller Kapazität produzieren. Das führte zu Knappheit bei Rohstoffen und Halbfertigprodukten wie etwa Computer-Chips, und das wirkt sich dann auf Branchen wie die Automobilindustrie durch. Da trifft limitiertes Angebot auf stärkere Nachfrage, und das treibt die Preise nach oben.

Inflation erreicht in Österreich 5,1% – höchster Wert seit 37 Jahren

Es gibt ein neues Schlagwort: “Greenflation”. Wie trägt die Klimapolitik mit CO2-Preisen zur Inflation bei?

Das ETS, also das Europäische Handelssystem für CO2-Zertifikate, zeigt, dass sich die CO2-Preise 2021 stark erhöht haben. Das trägt sicher einen Teil zur Inflation bei, aber nur einen kleinen Teil. Die anderen Effekte, also Lieferengpässe und wieder erstarkte Nachfrage, wiegen aber deutlich stärker. Ohne die wäre die Inflation viel geringer. Das Argument der Greenflation wird also politisch missbraucht.

Einen Grund, den Viele Beobachter:innen nennen, haben, sie nicht genannt: Dass das massive „Gelddrucken“ der Zentralbanken, also der EZB und der Fed, schuld an der hohen Inflation sei. Wie sehen Sie das?

Dieser Zusammenhang ist eher mittelbar und langfristig. Die Korrelation sieht man erst über Zeiträume von zehn Jahren. Die Erhöhung der Geldmenge hatte einen bestimmten Grund. Früher gab es zu wenig Inflation, dann wurden die Zinsen gegen Null gesenkt. Dann wurden Ankaufprogramme gestartet, sprich: Es wurde Geld in die Märkte gepumpt. Das hat man über Jahre gemacht, weil man die zu niedrige Inflation erhöhen wollte.

Dann wurden die Ankaufprogramme ausgeweitet und noch extra das Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) gestartet , und zwar nicht wegen der Inflation, sondern um die Wirtschaft zu stützen. Das ist blöderweise mit den oben genannten Faktoren zusammen gefallen. Drum sieht es jetzt so aus, als würde PEPP seinen Teil zur gestiegenen Inflation beigetragen hat, und man kann nicht komplett beweisen, dass es nicht so ist. Aber es sind schon eindeutig die kurzfristigen Faktoren, also Lieferengpässe.

Die Umlaufgeschwindigkeit, also wie schnell das Geld ausgegeben wird, ist sehr variabel. Die verhindert den direkten Zusammenhang zwischen der Geldmenge und der Inflationsentwicklung. Wenn man das über viele Jahre lang betrachtet, dann sieht man den Zusammenhang zwischen Inflation und Geldmenge schon. Deswegen ist es auch notwendig, dass man aus den Ankaufprogrammen auch wieder aussteigt. Das wird auch passieren. PEPP wird im März auslaufen, und APP, also das noch aus der Prä-Corona-Zeit stammende Asset Purchase Programme, wird im Laufe von 2022 reduziert.

Trotz Rekord-Inflation erhöht EZB die Leitzinsen nicht, entgegen dem Kurs der USA

Und dann kommt die Zinswende?

Bevor man die Zinsen erhöht, müssen die Ankaufprogramme auslaufen. Ansonsten gebe es eine Inversion der Zinsstrukturkurve, das wäre für die Banken ganz schlecht. Die Banken machen ihr Geschäft mit der Fristentransformation: Sie nehmen kurzfristig Geld von Einlagen und vergeben es langfristig als Kredite. Wenn sie kurzfristig einen hohen Zins zahlen müssen und langfristig einen niedrigen Zins bekommen würden, dann wäre ihr Geschäftsmodell tot.

Deswegen muss das so genannte Sequencing eingehalten werden: Zuerst die Ankaufprogramme schließen und dann die Zinserhöhung machen. Deswegen kann man mit einer Zinserhöhung im Euroraum 2022 kaum mehr rechnen – zumindest unter den gegebenen Umständen.

Wie müssten sich die Umstände ändern, damit die EZB die Zinsen doch erhöht?

Derzeit geht man immer noch davon aus, dass die Inflation einen Buckel macht, also bald wieder geringer wird. Wenn sich das ändert, dann könnte das Sequencing schneller gehen.

Man hat aber gerade in den letzten Monaten gesehen, dass der Inflations-Buckel immer höher wird. Wo ist denn die Grenze – 7 Prozent wie in den USA?

Absolut. Auch unsere eigenen Inflationsprognosen, die für dieses Jahr 3,2 Prozent vorhergesagt haben, werden nicht halten, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen, die werden raufgehen. Die Frage ist nur, wie viel. Auch wenn wir immer wieder nach oben überrascht wurden, die Einschätzung, dass die Inflation einen Buckel macht und wieder zurück geht, hat sich nicht geändert. Man ging davon aus, dass der Peak im ersten Quartal erreicht ist.

Meiner Meinung nach sind die Lieferengpässe unterschätzt worden. Man dachte, dass es eine Übergangsphase von zwei, drei Monaten sein wird, nach denen sich die Lage wieder normalisiert. Aber jetzt sind wir voll im Aufschwung, und die Lieferengpässe sind immer noch da. Beim Ölpreis ist noch dazu gekommen, dass es einen Konflikt mit Russland gibt. Gäbe es wirklich einen Krieg und Sanktionen, dann würden die Energiepreise noch weiter nach oben gehen. Die Angst vor einem Krieg ist bereits teilweise eingepreist, aber wenn er wirklich kommt, dann würden die Energiepreise noch weiter steigen.

Wenn der Peak also nicht im Jänner war, wann kann die Inflation denn wieder abnehmen?

Die Einschätzung, dass die Inflation bald wieder nach unten geht, ist nach wie vor in unseren Prognosen. Sinken wird sie aber wohl erst in der zweiten Jahreshälfte.

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Sollten die Leitzinsen erhöht werden – wie hoch kann das gehen?

Das Maximum bei Zinsänderungen, die in einem Schritt gemacht werden, war bisher 0,5 Prozent. Meistens sind es 0,25%. Interessant ist auch die Häufigkeit. Es gibt ja sechswöchige geldpolitische Meetings. Da kann man in drei Monaten schon einen Prozentpunkt hinaufgehen.

Was sagt die Geschichte, wie hoch kann das Zinsniveau gehen?

Es gibt den so genannten gleichgewichtigen Realzins. Der ist über die Jahrzehnte gesunken, unter anderem durch geringere Wachstumsraten der letzten Jahrzehnte. Wenn die Geldpolitik expansiv sein soll, soll der Leitzins unter dem Realzins liegen, ansonsten drüber. Dieser Realzins verhindert also, dass wir Zins-Niveaus von 5, 6 Prozent wie vor 30 Jahren sehen.

Der Leitzins wird so lange steigen, bis man den Effekt sieht, dass die Inflation auf zwei Prozent zurück geht. Ein extrem hoher Leitzins, von 5, 6 Prozent ist angesichts des gesunkenen gleichgewichtigen Realzinssatzes nicht mehr realistisch und würde die Wirtschaft kaputt machen.

Also sollte man eher von 2, 3 Prozent ausgehen?

Es ist schwer zu sagen, aber solche Werte sind wahrscheinlicher als Werte von mehr als 4 Prozent.

Warum haben die US-Notenbank Fed und die Bank of England bereits mit Zinserhöhungen reagiert?

Die USA ist Europa bei der Konjunktur immer ein Stück voraus, außerdem haben sie bessere Arbeitsmarktdaten. Der Arbeitsmarkt in südeuropäischen Ländern, das sagte auch EZB-Präsidentin Lagarde, hingegen ist noch immer nicht gut. Die Fed hat außerdem traditionell eine viel aktivistischere Rolle, während die EZB den Ruf der ruhigen Hand hat und einen abgeflachten Zins-Zyklus verfolgt.

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Ist das ein Vorteil oder ein Nachteil für Europa, wenn die EZB nicht so aggressiv wie die Fed agiert? Die USA sind immer noch führende Wirtschaftsmacht, von der viel abhängt.

Das sind grundlegend unterschiedliche, auch politische, Überzeugungen. Die Fed ist sehr keynesianisch, also sehr aktivistisch und eingreifend. Die EZB ist sehr regelorientiert, das ist eher eine monetaristische Denkschule. Sie will einen Rahmen vorgeben, aber nicht mit dem Holzhammer agieren. Das kommt auch sehr stark aus Deutschland. In der EZB sieht man die Handschrift der Deutschen Bundesbank sehr deutlich. Aber derzeit würde die Bundesbank die Zinsen wahrscheinlich schneller erhöhen wollen als die EZB.

Die Schulden südeuropäischer Staaten, etwa Griechenlands oder Italiens, sind in Folge der Corona-Krise besonders dramatisch gestiegen. Ein Anstieg des Zinsniveaus wäre für sie fatal. Hat die EZB eigentlich gar keine Wahl und muss den Leitzins nahe Null halten, um Südeuropa zu schützen?

Das ist eine politische Diskussion, zu der ich mich nicht äußern kann. Die EZB argumentiert, dass sie ihre Geldpolitik für den gesamten Euroraum macht und nicht speziell für einzelne Länder, und die EZB wird nie zugeben, dass sie etwas anderes als die Preisstabilität, also das Ziel der Inflation von 2 Prozent, bei ihren Entscheidungen berücksichtigt.

Die US-Notenbank Fed wird voraussichtlich bereits 2022 den Leitzins erhöhen. Deswegen fliehen Anleger:innen derzeit aus risikoreicheren Assets wie Tech-Aktien oder Krypto-Assets. Diesen Zusammenhang will ich besser verstehen.

Ich darf hier nur allgemein antworten. Zinswenden haben das Potenzial für Verwerfungen an den Finanzmärkten. Wenn Zinsen steigen, dann verlieren risikoreichere Assets an Wert, weil sich die „Search for Yield“, also die Suche der Anleger:innen nach Zinserträgen, umkehrt. Dann sinken die Preise, und viele wollen aus diesen Assets raus.

Welche Mittel stehen Österreich selbst, unabhängig vom Euro-Raum, zur Verfügung, um die Inflation zu bekämpfen?

In Österreich gibt es die Tradition, anders als in Ländern wie Ungarn, nicht direkt in den Preis von Waren eingreifen zu wollen. Reiche Leute brauchen ja viel weniger einen Teuerungsausgleich als ärmere Bevölkerungsschichten.

Was der Staat machen könnte und was man immer vergisst: Der Staat bestimmt direkt das Niveau von Steuern und Gebühren, die in dem Konsumentenpreisindex eingehen, sowie indirekt auch die Preisgestaltung der öffentlichen Hand, z.B. von Kulturdienstleistungen, aber auch der Müllabfuhr kostet. Das obliegt oft den Gemeinden, aber grundsätzlich kann die öffentliche Hand sagen, dass sie sich jetzt zurückhält. Der Staat kann durch seine eigene Preissetzung moderierend eingreifen.

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Was ist mit Steuern?

Der Staat erhebt natürlich Steuern. Da gibt es bereits Forderungen einiger Parteien, die Steuern auf Energieprodukte zu senken. Da muss man dann aber auch wieder den Einnahmenausfall berücksichtigen, und der Staatshaushalt ist wegen der COVID-Krise angespannt. Da tendiert man eher nicht dazu, in die Steuern einzugreifen.

Ein dritter Punkt: Löhne werden in Österreich durch die Sozialpartner verhandelt. Um die Preissteigerungen nicht noch weiter anzuheizen, sollten keine hohen Lohnsteigerungen gefordert werden. Die EZB hat große Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale: Wenn man hohe Preissteigerungen mit hohen Lohnsteigerungen kompensiert, dann steigen die Preise wieder weiter. Das würde eine hohe Inflation verfestigen, dann ist es kein Buckel mehr. Da ist die EZB sehr entschieden. Sobald sie so eine Lohn-Preis-Spirale bemerkt, wird sie hart eingreifen.

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