InsurTech & Versicherungen: Kooperation geht vor Disruption
Der Begriff „Challenger-Bank“ hat das Startup-Jahr 2019 im Zuge großer Finanzierungsrunden für N26, Revolut, Monzo oder Starling Bank deutlich geprägt. Banken-Startups rittern mittlerweile mit etablierten Banken um die Kundschaft. In der Versicherungsbranche, die gerne dem Fintech-Sektor zugerechnet wird, sieht die Sache aber anders aus. Dort geht es in erster Linie um eines: Kooperation vor Disruption.
„Startups haben schon jetzt keine unwesentliche Bedeutung und werden weiter an Bedeutung gewinnen“, sagt Roland Gröll, Mitglied des Vorstands Wiener Städtische Versicherungs AG. „Für uns ist es gang ganz wichtig, das junge, kreative, moderne Ideen zu uns kommen. Je früher man sich mit den Themen der Szene beschäftigt, desto besser ist es für die Startups, aber natürlich auch für uns.“ Um sich mit diesen frischen Startup-Geschäftsmodellen auseinander zu setzen, hat die Innovationstochter der Wiener Städtischen, viesure, kürzlich zum Event „InsurTech Rising“ geladen.
Denn zahlreiche Startups, darunter auch deutsche und österreichische, arbeiten bereits emsig an neue Geschäftsmodellen, und Technologien. „Der Megatrend zur Digitalisierung erfasst jetzt auch die Versicherungsbranche voll. Da gibt es viele Möglichkeiten für neue Player“, sagt etwa Ralf Widtmann, CEO dies Wiener Startups Riskine. Die große Frage: Wie werden InsurTechs die Versicherungsbranche verändern?
Kostendruck und Digitalisierung
„Die Versicherungsbranche spürt den Kostendruck. Digitale Player gehen in den Markt, und für die gesamte Branche ist es jetzt an der Zeit, Innovation in ihre Prozesse zu bringen“, sagt etwa Karl Philip Prinzhorn, der 2017 in Wien die Jungfirma Digital Claim mitgegründet hat (Trending Topics berichtete). Das Startup, das bereits US-Investoren an Bord hat, automatisiert die Schadensbearbeitung mit Hilfe von Machine Learning und konnte bereits eine Reihe von B2B-Kunden gewinnen.
Neben dem Kostendruck, der Ideen für die Automatisierung von Back-Office-Prozessen fördert, ist es auch die Erwartungshaltung der Kunden, die heute am liebsten alles per App erledigen wollen – und das in Echtzeit. „Versicherungen stehen einfach unter Druck, eine Experience zu liefern, die dem entspricht, was der Kunde von heute erwartet“, sagt Martin Micko vom Berliner InsurTech omni:us, das von fünf Österreichern gegründet wurde und bereits mehr als 20 Millionen Euro von Investoren erhalten hat (Trending Topics berichtete). „Der Kunde hat heute ganz andere Bedürfnisse als noch vor fünf oder zehn Jahren, und denen kommen die InsurTechs und die Versicherungen jetzt nach“, sagt viesure-Geschäftsführerin Karin Kafesie.
Konkurrenten oder Kooperationspartner?
Banken, Medien, Musik, Reisen, Kommunikation – es gibt heute kaum mehr Branchen, in denen es nicht disruptive Player gibt, die etablierten, über Jahrzehnte gewachsene Unternehmen in wenigen Jahren den Rang ablaufen. Wird das auch bei Versicherungen passieren?
„Ich glaube nicht an Startups, die im InsurTech-Bereich disruptiv agieren. Dementsprechend sehen wir uns als Partner von Versicherungen jedweder Art. Wir haben InsurTechs als auch traditionelle Versicherungen als Kunden“, sagt Martin Mick von omni:us. Das Berliner Startup hat mit seinen Möglichkeiten zur Automatisierung von Schadensprozessen bereits mehrere große Kunden gewonnen.
„Es muss nicht immer disruptiv sein, das ist mittlerweile ein Buzzwort für mich geworden“, sagt Dieter König, Co-Geschäftsführer von viesure. „Es geht eher darum, gute Lösungen für unsere Kunden bauen zu können.“ Roland Gröll von der Wiener Städtischen pflichtet ihm bei: „Ich sehe mittelfristig keine disruptiven Elemente, ich sehe das als Transformation. Das war auch schon in den letzten zehn Jahren zu beobachten, und ich glaube, dass dieser Trend weitergehen wird, allerdings mit einer zunehmenden Bedeutung für Startups und für Kooperationen mit Startups.“
Das Berliner Startup Friendsurance ist als Herausforderer von Versicherungen gestartet. Doch es geht mittlerweile nicht mehr nur um Wettbewerb, sondern ebenfalls um Kooperation. „Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Wir haben ein erfolgreiches B2C-Modell, wo wir bewiesen haben, dass man mit dem Peer-to-Peer-Ansatz disruptiv in einen Markt einsteigen kann“, sagt Sebastian Langrehr, Head of Digital Bancassurance von Friendsurance. „Gleichzeitig partnern wir aber auch.“ (Trending Topics berichtete).
Die Versicherung der Zukunft?
Die Zeichen stehen also voll auf Kooperation. Denn sowohl Coproates als auch Startups haben ohnehin das gleiche Ziel. „In allererster Linie geht es darum, die Komplexität aus der Versicherung herauszunehmen“, sagt Langrehr von Friendsurance. „Das macht man, indem man im richtigen Kontext da ist für den Kunden und ihm hilft anstatt es unnötig kompliziert zu machen.“ User Experience, Schnelligkeit, Personalisierung – all das hält bereits Einzug in neue Services. „Die Versicherung der Zukunft ist kundenzentriert, die Abläufe sind unkompliziert und transparent, und der Versicherer liefert das, was der Kunde braucht – und zwar dann, wann er es braucht, im Schadensfall“, sagt Karin Kafesie von viesure.
Am Ende geht es darum, dass Versicherungen wieder näher an den Menschen rücken – die Digitalisierung kann dabei helfen. „Die Versicherung der Zukunft wird massiv auf den Kunden zugeschnitten sein und sehr emphatisch gegenüber dem Endkunden agieren“, sagt Micko von omni:us. „Versicherung ist wie Bankprodukt ein hundertprozentig virtuelles Produkt. Deswegen ist die Branche besonders interessant für die Digitalisierung“, sagt Ralf Widtmann von Riskine. „Das Produkt ist Code, Einsen und Nullen. Insofern ist die Versicherung der Zukunft ein Insurtech.“