Jan Hurt: „Es ist extrem wichtig, die Menschen über Windenergie aufzuklären“
Des einen „Freud“, des anderen „Leid“: Während die Wissenschaft darauf hofft, dass Politik und Gesellschaft den Umstieg auf Erneuerbare Energien annehmen, gibt es gerade in der Zivilbevölkerung nach wie vor Widerstand gegen einzelne Projeke. Der Gedanke, Windräder in der Nähe des Wohnorts zu haben, stößt bei vielen Menschen erst einmal auf Abneigung. Ein gutes Beispiel ist hier die steirische Gemeinde Gaal, die es im heurigen Sommer in die Medien schaffte: Rund 72 Prozent der Gaaler:innen stimmten damals gegen die Umwidmung eines Areals, um darauf einen Windpark zu errichten. Die Begründung: Die Windräder zerstören das Bergpanorama.
Dieses Interview ist im neuesten Trending Topics-Magazin „A Trip to Tomorrow“ erschienen.
Die Scientists for Future wollen auch deshalb auf Aufklärung und Fakten rund um das Windrad als Stromerzeugungsquelle setzen. Das Ziel ist, den Bürger:innen die Vorteile der Windkraft proaktiv aufzuzeigen, damit einerseits weniger Fake News zum Thema kursieren und andererseits verstanden wird, warum das Windrad zwar vielleicht hässlich, aber notwendig ist.
Vielfältige Energiequellen
Der 28-jährige Jan Hurt ist Physiker und verfügt entsprechend über ein großes Fachwissen rund um das Thema Windkraft. Dass er Ahnung hat, wovon er spricht, merkt man sofort. So gehört er bei den Scientists for Future auch der Fachgruppe „Energiewende” an. Hurt weiß, wenn wir die Energiewende schaffen wollen, müssen wir CO2-neutral werden. Nur so lässt sich die Klimakrise bekämpfen. So weit, so gut. Aber was bedeutet das konkret für die Stromerzeugung in Österreich? Der Gesamtenergiebedarf soll in den nächsten 16 Jahren auf erneuerbare Energiequellen umgestellt werden.
Es gibt drei große Bereiche, in denen Energie benötigt wird. Neben dem Sektor „Strom“ gibt es den Bereich „Wärme“, der in Raumwärme und Industriewärme unterteilt wird. Zweitere macht einen sehr großen Brocken im Energieverbrauch aus, der derzeit vor allem durch Gas gedeckt wird. Der dritte Bereich, „Mobilität“, wird derzeit vor allem mit Öl, Benzin und Diesel bedient. Um sämtliche Energiesektoren auf „erneuerbar“ umzustellen, muss Wärme elektrifiziert werden. Eine Elektrifizierung ist das am ökonomisch Sinnvollste, vor allem, weil man davon ausgeht, dass sich unser Strombedarf bis 2040 verdoppeln wird. „Wenn man jetzt zum Beispiel ein Haus mit Gas heizt, entsteht ein immenser Bruttoenergiebedarf. Das ist ineffizient, denn stellt man auf Wärmepumpen um, entsteht eine drei- bis sechsmal höhere Effizienz als bei einer Gastherme. Dasselbe gilt für Autos. Ein Dieselauto hat eine Effizienz von 30 Prozent, während ein Elektroauto auf 90 oder mehr Prozent kommt“, erzählt Hurt. Die Beispiele veranschaulichen, dass sich, obwohl die Elektrifizierung unseren Bruttoenergiebedarf um 50 Prozent verringern würde, unser Gesamtstromverbrauch trotzdem verdoppelt, da ja auf Gas, Diesel und Co verzichtet wird.
Ein allgemein höherer Strombedarf bringt seine eigenen Herausforderungen wie das Verdoppeln der Stromnetze und eben neue Arten der Stromgewinnung mit sich. „Es braucht einen massiven Ausbau der Infrastruktur und dafür sind Investitionen auf allen Ebenen notwendig. Einerseits denke ich an die Haushalte, die auf Elektroautos und Wärmepumpen umsteigen, andererseits an Unternehmen, die sich Industriewärmepumpen und Elektroheizungen zulegen werden“, so Hurt. Aber so sei das nun mal, wenn man die Energiewende erfolgreich schaffen möchte.
Windkraft für Österreich
Hurt zeigt auf, weshalb wir in der Zukunft mehr Strom brauchen und warum es sinnvoll ist, diesen zu elektrifizieren oder, in anderen Worten, warum der Strom CO2-neutral werden muss. Aber warum Windkraft? „In Österreich sind wir bei der Wasserkraft und auch bei der Biomasse sehr nah an den Potenzialgrenzen. Da lässt sich nicht mehr allzu viel rausholen. Die zwei großen Bereiche, in denen extrem viel Potenzial steckt, sind Windkraft und Photovoltaikanlagen.“ Windräder sind besonders im Winter, wo starker Wind weht, optimal für die Stromerzeugung geeignet, weil Photovoltaikanlagen da nicht so viel Sonnenlicht abbekommen und somit in der kalten Jahreszeit deutlich weniger Strom produzieren können.
Durch Windenergie und Photovoltaik könnte es gelingen, in Österreich im Vergleich zum Status quo energieunabhängig zu werden. Wir bräuchten kein Gas aus Russland mehr zu beziehen und wären auch nicht mehr auf andere ausländische Ölprodukte oder Erdgas angewiesen. Die Kleinstrukturierung, die im Fall von Windrädern vorgesehen ist, hilft, sie im Land verteilt aufzustellen. Dadurch sind sie mancherorts sehr nah an der lokalen Bevölkerung dran, was für viele ein echtes Problem darstellt. Andererseits ergäben sich auch Chancen, wenn man den Menschen durch Bürgerenergiegemeinschaften die Möglichkeit gibt, den günstigsten verfügbaren Strom zu beziehen. „Ich sehe durch Beteiligungsprozesse immense Chancen, Windrad-Gegner:innen anders zu stimmen“, sagt Hurt.
Fakten, Fakten und noch mehr Fakten
Gerade wird auch der Bau eines Windparks im Waldviertel heiß diskutiert. Sinnvoll sei das unter anderem, weil Niederösterreich über 45 Prozent des österreichischen Windpotenzials verfügt. Einige Bewohner:innen fürchten sich davor, überall das Summen der Windräder zu hören und dadurch belästigt zu werden. Hurt, der selbst Waldviertler ist, sieht das nicht so und nennt dafür konkrete Gründe. Gleichzeitig räumt er mit Mythen auf, die rund um die Windenergie kursieren. Die geplanten Windparks seien im Vergleich zu jenen im Burgenland eher klein. Gesprochen wird von einer Größenordnung von vier bis zehn Windrädern pro Fläche. Dazu sollen strenge Abstandsregelungen von mindestens 1.200 Meter zum Siedlungsgebiet eingehalten werden. Durch Windräder sterben auch Vögel, da sie gegen den Masten fliegen. Das lässt sich trotz strenger Abstandsregeln und Schutzmaßnahmen für brütende Tiere leider nicht verhindern. Pro Jahr und Windrad betreffe das derzeit rund sieben Vögel. Arten seien deshalb aber nicht bedroht, im Gegenteil: Vogelpopulationen haben in den letzten Jahren in Windradregionen sogar zugenommen.
Die Windräder sollen im Waldviertler Wald an Stellen errichtet werden, die der Borkenkäfer bereits vernichtet hat. Pro Windrad werden circa 0,4 Hektar Wald abgeholzt werden müssen. Die Windradunternehmen sind allerdings dazu verpflichtet, Ausgleichsmaßnahmen im selben Wald an einer anderen Stelle zu unternehmen. Für Hurt ist das in den Kontext gesetzt nicht viel, denn ein Windrad erzeugt Strom für 5.200 Haushalte im Waldviertel. Insgesamt könnten die geplanten 100 Stück Strom für mehr als 520.000 österreichische Haushalte erzeugen.
Angst vor dem Windrad
„Es ist einfach nicht realistisch, anzunehmen, dass sich Wien zum Beispiel selbst mit erneuerbarer Energie versorgen kann. Das ist wie in der Landwirtschaft – Wien erzeugt das Essen auch nicht selbst“, so Hurt. Schlussendlich werden Regionen wie das Waldviertel mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen, um auch für Wien den Strom zu erzeugen. Dafür gibt es durch Bürgerenergiegemeinschaften für die lokalen Bewohner:innen in der Region die Möglichkeit, davon zu profitieren. Das Geld, das die Gemeinden für die Windräder bekommen, kann beispielsweise für die Renovierung des Kindergartens eingesetzt werden.
„Für jede Angst in Bezug auf Windräder gibt es einen Punkt im Genehmigungsverfahren, dem UVP-Verfahren, das nach strengen Richtlinien verfährt. So sind zum Beispiel Bestimmungen zum Schlagschatten und zum Schall ganz genau festgelegt, sprich, es darf nicht wirklich viel lauter werden in der Umgebung“, so Hurt. Er betont, dass grundsätzlich jede Form der Energiebereitstellung Auswirkungen auf die Umwelt hat.
Zwei Prozent der Landesfläche
„Wir wollen ja ganz Österreich erneuerbar betreiben. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es laut der IG Windkraft zwei Prozent der Landesfläche, die in Windparks umgewandelt werden soll“, gibt Hurt die Berechnungen wieder. So sollen 83 Mrd. kWh Windstrom erzeugt werden, was tatsächlich mehr Strom entspricht, als der gesamte österreichische Strombedarf derzeit ausmacht. Durch Windkraft wäre es auch für Unternehmen möglich, Energie planbar und günstig einzusetzen. Überdimensional hohe Strom- und Gasrechnungen, verursacht durch Kriege oder andere unvorhersehbare Umstände, würden damit keine Rolle mehr spielen.
Hurt weist auf den Energiemodellierer und Windkraftexperten Johannes Schmidt hin. Er hat die Größe vom Waldviertel in den Vergleich mit der restlichen Fläche von Österreich gesetzt – sie macht insgesamt fünf Prozent der Gesamtfläche aus. Hochgerechnet würden sich die geplanten Windräder dann für fast 40 Prozent des Windstromanteils am Gesamtverbrauch verantwortlich zeichnen. „Argumente, die sagen, eine kleine Fläche wie das Waldviertel kann gar nicht viel Strom produzieren, sind einfach ungerecht und unverhältnismäßig“, findet Hurt.
Politik: Aufklärung bitte
Die Energiewende scheitert laut Hurt derzeit an der Umsetzung im Ausbau der Windenergie: Viele Landespolitiker:innen stellen sich dagegen und lassen nur sehr wenig passieren. Als Beispiel nennt er Oberösterreich, wo auf Landesebene im Bereich Windkraft nichts weitergeht. „In der politischen Diskussion entsteht manchmal der Eindruck, viele Seiten würde behaupten, die lokalen Bürger:innen seien stark gegen Windenergie in ihrer Region und deswegen gehe nichts voran.“
Das Framing, das Hurt medial wahrnimmt, zeige, dass Politiker:innen sich theoretisch über die Bevölkerung hinwegsetzen müssten, damit Windräder installiert werden. Wenn das der richtige Weg sein soll, werde man schlussendlich scheitern, weil gegen die lokale Bevölkerung gearbeitet wird. Und Kritiker:innen, die man einmal verliert, seien kaum wieder zurückzugewinnen. „Es ist also extrem wichtig, die Menschen über Windenergie aufzuklären. Das ist ein Punkt, wo man wirklich die Politik in die Pflicht nehmen muss. Die müssen da einen Job machen, finde ich.“
In Niederösterreich sei das im Zuge der geplanten Neuzonierung nicht passiert. Die Info, dass eine Änderung des sektoralen Raumordnungsprogrammes für Windkraftnutzung angedacht ist, also mehr Windräder ins Waldviertel kommen sollen, „ist einfach so vom Himmel gefallen“, so Hurt. Viele Gemeindebürger:innen sollen von den Plänen als erstes von den windkraftkritischen Gruppen gehört haben – das sei keine gute Ausgangssituation.
Der Blick auf das große Ganze
Wenn es Umweltschützer:innen sind, die sich beim Ausbau von erneuerbarer Energie in den Weg stellen, wie es zum Beispiel beim angedachten elektrischen Hochofen der Voest der Fall ist, dann könnte man sich fragen, warum. Sollte es doch in ihrem Interesse sein, die Energiewende voranzutreiben. Bei dem Beispiel geht es darum, dass ein klimaschädlicher Hochofen der Voest, der fünf Prozent aller CO2-Emissionen in Österreich verursacht, ersetzt werden soll. Dafür müsste allerdings ein Mast im Trockenrasen in einem Naturschutzgebiet außerhalb von Linz gebaut werden – in diesem Fall gibt es eine Bürgerinitiative, die sich dagegen sträubt. Hier muss man sich entscheiden: Ist der Rasen im Naturschutzgebiet wichtiger oder die Reduzierung der CO2-Emissionen im Namen des Klimaschutzes? Hurt sagt dazu: „Es ist mein Eindruck, dass manchmal auch innerhalb der Umweltschutzorganisationen der Blick auf das große Ganze fehlt oder zu wenig nachgedacht wird, worum es bei solchen Projekten eigentlich geht.“
Aber wieder zurück zur Windkraft. Prinzipiell braucht es dafür ein gutes Zusammenspiel zwischen Bürger:innen und der Politik, sagt der Scientists for Future-Sprecher. Er ist jedenfalls gegen ein Hinwegsetzen der Politik über die Köpfe der Menschen und weiß, die Gemeindebewohner:innen müssen auf jeden Fall mit ins Boot geholt werden. Sie mit wahrheitsgetreuen Argumenten zu überzeugen, sei sinnvoll. Hurt ist sich sicher: „Als aktivistische Gruppe ‚Scientists for Future‘ haben wir es gemeinsam mit Fridays for Future geschafft, der lokalen Pro-Bewegung eine Stimme zu geben, damit nicht nur die Gegner:innen gehört werden.“
Dieses Interview ist im neuesten Trending Topics-Magazin „A Trip to Tomorrow“ erschienen.