Verzögerte Insolvenzwelle kann für Marktbereinigung sorgen
Jeannette Gorzala ist Rechtsanwältin bei Stadler Völkel Rechtsanwälte in Wien und dort unter anderem auf Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht spezialisiert. In diesem Gastbeitrag befasst sie sich mit der Frage, wie sich die Wirtschaftskrise auf Unternehmen auswirken wird.
Die COVID19-Pandemie stellt uns vor gesundheitliche und wirtschaftliche Herausforderungen. Parallel zur Auflage von Stützungsmaßnahmen und Hilfspaketen für die Wirtschaft wird auch die Entwicklung der Insolvenzstatistik beobachtet. Laut dem Gläubigerschutzverband KSV 1870 sei es im ersten Quartal 2020 zu einem Rückgang der eröffneten Insolvenzverfahren im Ausmaß von mehr als 25% gekommen; Verbindlichkeiten seien gleichzeitig um 86% gestiegen.
Für Unternehmen in einer finanziellen Krise, welche die Pandemie nur durch staatliche Hilfsmaßnahmen überdauern konnten, hat sich der Begriff „Zombie-Firmen“ etabliert. Eine Marktbereinigung ist überfällig und das Einsetzen einer verzögerten Insolvenzwelle nur eine Frage der Zeit. Im nunmehr zweiten Lockdown stellt sich die Frage des Auswegs. Die Optionen sind überschaubar: Sanierung und Reorganisation überlebensfähiger Unternehmen einerseits sowie Insolvenz und Liquidation andererseits.
Wind-down (Liquidation) als Regelfall bei mindestens 96 % der Firmeninsolvenzen
Sanierungsverfahren in der österreichischen Insolvenzordnung bauen auf der Vorlage und Annahme eines Sanierungsplans auf. Dieser muss Gläubigern ohne Eigenverwaltung des Schuldners eine Quote von mindestens 20%, mit Eigenverwaltung eine Quote von mindestens 30% binnen zwei Jahren anbieten. Der Sanierungsplan bedarf der Zustimmung der Mehrheit bei der Sanierungsplantagsatzung anwesenden, stimmberechtigten Gläubiger (Kopfmehrheit), die gleichzeitig mindestens die Hälfte der gesamten Forderungssumme (Kapitalmehrheit) repräsentieren müssen. Scheitert der Sanierungsplanantrag, wird ein Konkursverfahren eingeleitet und die Insolvenzmasse durch den Masseverwalter verwertet.
Die Statistik zeigt, dass jedenfalls etwa 96% der eröffneten Firmeninsolvenzverfahren im Jahr 2019 in der Liquidation des Unternehmens endeten (2.790 [52,7%] Konkursverfahren, 2.247 [42,5%] Verfahren mangels Masse abgewiesen). Insolvenzverfahren werden nur im Ausnahmefall als Sanierungsverfahren eröffnet (21 [0,4%] mit Eigenverwaltung, 234 [4,4%] ohne Eigenverwaltung). Die der Statistik zu Firmeninsolvenzen zeichnet insgesamt ein eher ernüchterndes Bild. Dies Auswirkungen der COVID19-Pandemie dürften sich im nächsten Jahr signifikant niederschlagen.
Praktisch werden Unternehmenssanierungen vor allem als außergerichtliche Sanierungen unter Einbindung der Kreditinstitute und Großgläubiger durchgeführt. Im Unterschied zum Insolvenzverfahren müssen hier jedoch alle Stakeholder an board sein und zustimmen. In der Praxis problematisch sind Einzelgläubiger, die mangels Ausfallsrisiko (zB bei Sicherheiten) oder anderen Gründen kein wirtschaftliches Interesse an einem Restrukturierungserfolg haben und nicht bereit sind, Zugeständnisse zu machen. Diese können allgemein aussichtsreiche Restrukturierungsbestrebungen blockieren. Zudem stehen außergerichtliche Maßnahmen unter großem Zeitdruck und auch Vertraulichkeit muss gewahrt bleiben, um wesentliche Geschäftspartner nicht zu verunsichern oder zu verlieren.
Präventives Restrukturierungsverfahren hat Potenzial zur Sanierung von Krisenunternehmen
Die Förderung von Maßnahmen für den Unternehmenserhalt und eine zweite Chance für Unternehmer einerseits und eine effizientere Liquidation von nicht-bestandsfähigen Unternehmen andererseits ist die Zielsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie. Der Richtlinienentwurf stammt aus 2019 und soll bis zum Ablauf des 17. Juli 2021 durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden – just in time für das prognostizierte anrollen der verzögerten COVID19-Insolvenzwelle.
Der angedachte präventive Restrukturierungsrahmen der EU-Restrukturierungsrichtlinie ist teilweise an das amerikanische Sanierungsverfahren, besser bekannt als Chapter 11, angelehnt. Chapter 11 unterscheidet sich vom österreichischen Insolvenzverfahren vor allem durch den frühen Verfahrensbeginn, die Beschränkung von Gläubigerrechten und bestimmte finanzielle Instrumente. Der Import dieser Konzepte hat, abhängig von der nationalen Umsetzung, Potenzial für die Unterstützung von Restrukturierungserfolgen.
Anknüpfung an die „drohende Insolvenz“, da für den erfolgreichen Turnaround jede Minute zählt
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens knüpft an die Zahlungsfähigkeit oder Überschuldung an. Indem das Verfahren erst zu diesem späten Zeitpunkt eingeleitet werden kann, sind Sanierungschancen bereits drastisch gesunken. Dies zeig auch die Insolvenzstatistik. Im Zeitpunkt der gesetzlichen Antragspflicht sind unternehmerische Sanierungsmaßnahmen oft wirtschaftlich schon gescheitert. Zudem ist die Einleitung eines Insolvenzverfahrens teilweise noch immer stark mit unternehmerischem Scheitern verknüpft, was ebenfalls zu Verzögerungen führen kann.
Die EU-Restrukturierungsrichtlinie ermöglicht nunmehr die Verfahrenseinleitung bereits bei Eintreten der Insolvenzwahrscheinlichkeit (likelihood of insolvency), wobei die konkrete Definition den Mitgliedstaaten obliegt. Jedenfalls wird dadurch ein frühzeitiges Gegensteuern möglich. Der frühe Verfahrensbeginn ist ein zentrales Element um rechtzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten und die Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu erhalten. Das Restrukturierungsverfahren ist auch von einer Vollstreckungs- und Insolvenzsperre flankiert (Art 6 und 7). Diese besteht für eine Höchstdauer von vier Monaten, falls keine Ausnahmetatbestände vorliegen.
Einführung des Cram-Down und Beschränkung von Gläubigerrechten for the greater good
Sowohl in der österreichischen Insolvenzordnung als auch bei Chapter 11 bedarf der Insolvenzplan der Gläubigerzustimmung. Chapter 11 bietet jedoch mit dem sogenannten cram down zusätzlich die Option sich über die Ablehnung einzelner Gläubiger (bei Verstoß gegen Treu und Glauben) hinwegzusetzen.
Als dem österreichischen Insolvenzrecht bisher fremd werden durch die EU-Restrukturierungsrichtlinie Gläubigerklassen eingeführt. Unterschieden wird zwischen besicherten und unbesicherten Gläubigern. Zusätzlich werden Gesellschafter (und andere) nachrangige Gläubiger gesondert behandelt. An der Abstimmung über den Restrukturierungsplan nehmen alle betroffenen Gläubigerklassen teil. Für eine Annahme des Restrukturierungsplanes ist die Zustimmung von Gläubigern, die 75% der Forderungen repräsentieren, in jeder Gläubigerklasse notwendig (Art 9).
In bestimmten Fällen kann das Gericht den Restrukturierungsplan bestätigen und diesen auch für die ablehnenden Gläubigerklassen verbindlich stellen (klassenübergreifender Cram-Down) (Art 11). Insbesondere soll die Zustimmung einer Gläubigerklasse dann entbehrlich sein, wenn Mitglieder dieser Klasse mindestens so gut wie gleichrangige Klassen und besser als alle nachrangigen Klassen gestellt werden (no creditor worse off, relative priority rule). Damit sollen Verzögerungen oder sonstige unsachlichen Behinderungen hintangehalten werden. Die Einführung von Gläubigerklassen wird teilweise kritisch betrachtet, da hier ein Widerspruch zum Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung besteht.
Eigenverwaltung des Schuldners als Regelfall
Obwohl das österreichische Insolvenzrecht ein Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung kennt, ist dieses in der Praxis der Ausnahmefall. Chapter 11-Verfahren laufen im Regelfall unter der Eigenverwaltung des Schuldners (debtor in possession) ab. Hintergrund ist die Vermeidung von Interessenkonflikten zwischen Management und Eigentümern, da bei einem gänzlichen Kontrollverlust über das Unternehmen an einen Insolvenzverwalter tendenziell weniger Anreize für die Antragstellung bestehen.
Auch EU-Restrukturierungsrichtlinie setzt im Restrukturierungsverfahren auf die Eigenverwaltung des Schuldners als Standardfall (Art 5). Der Schuldner soll zumindest teilweise das Vermögen und den täglichen Unternehmensbetrieb im Verfahren kontrollieren. Ziel ist es dadurch Schuldnern bei finanziellen Schwierigkeiten einen Anreiz für die frühzeitige Einleitung eines präventiven Verfahren zu geben. Unterstützend kann bei den Verhandlungen und der Erstellung des Restrukturierungsplanes ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt werden. Die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten ist zwingend, wenn nicht die erforderliche Mehrheit der Gläubiger (unter 75%) in jeder Abstimmungsklasse dem Restrukturierungsplan zustimmt.
Debt-Equity-Swap und Anfechtungsschutz für Brückenfinanzierungen
Chapter 11 enthält die Möglichkeit, Altforderungen gegen Gesellschaftsanteile zu tauschen (Debt-Equity-Swap). Hierbei sind auch niedrigere Kapitalmarktvorschriften anwendbar, um einen unnötigen zeitlichen und finanziellen Verlust zu vermeiden. Nach der EU-Restrukturierungsrichtlinie soll der Debt-Equity-Swap, nämlich jegliche Umwandlungen von Verbindlichkeiten in Eigenkapital im Einklang mit nationalem Recht, möglich sein. Dieses bisher dem Insolvenzrecht unbekannte Instrument kann vor allem für Gesellschafter und Investoren eine attraktive Möglichkeit darstellen.
Weiter enthält die EU-Restrukturierungsrichtlinie den Schutz von neuen Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen (Brückenfinanzierungen), um Sanierungen für Neugläubiger und Investoren attraktiver zu machen. Brückenfinanzierungen sollen in späteren Insolvenzverfahren nicht von einer gerichtlichen Anfechtung bedroht sein (Art 17).
Die Grundlagen wurden gelegt, auf die nationale Umsetzung und die Details kommt es an
Die EU Restrukturierungsrichtlinie hat das Potenzial zur Stärkung der Restrukturierungsmöglichkeiten, indem bestimmte Maßnahmen bereits bei einer drohenden Insolvenz eingeleitet werden können und das Risikopotenzial von Einzelgläubigern, welche aussichtsreiche Sanierungsbestrebungen blockieren, verringert wird. Die konkrete Effektivität wird jedoch sehr stark von der konkreten nationalen Umsetzung abhängen, da die EU Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten einen sehr weiten Gestaltungsspielraum einräumt.
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