Journi-CEO Andreas Röttl: Warum das Scale-up Profit macht – und Betten im Office hat
Wenn man sich durch die Umsatzzahlen und Ankündigungen österreichischer Scale-ups gräbt, dann sieht man schnell: Vom Ziel, profitabel zu wirtschaften, sind noch viele ein Stück weit entfernt. Eine Ausnahme: Das Fotobuch-Scale-up Journi der Gründer:innen Bianca Busetti (CPO), Christian Papauschek (CTO) und Andreas Röttl (CEO). 2023 hat man eigenen Angaben zufolge die Umsatzmarke von 20 Mio. Euro geknackt, profitabel ist man ohnehin schon seit fünf Jahren.
Wie also geht es für die App-Macher:innen aus Wien weiter, wie arbeiten sie mit AI, warum stehen Betten im Wohlfühl-Office, und wie kann man das Fotobuch noch innovieren? Darüber spricht CEO Röttl im großen Interview mit Trending Topics.
Trending Topics: Ihr seid als Miavia gestartet. Das war eine Reiseblog-Geschichte. Ihr habt ihr dann einen Pivot gemacht zur Journi, wo man sich in einer App Fotobücher ordern kann. Was hat euch damals davon überzeugt, auf ausgedruckte Fotobücher zu setzen?
Andreas Röttl: Das Thema Fotobücher war schon immer am Radar als möglicher Umsatzkanal. Aber dass es so eine große Wichtigkeit für die Nutzer hat, das war dann wirklich etwas, was sich erst später herauskristallisiert hat, aufgrund von zwei Punkten. E inerseits, weil wir viel Customer Development gemacht haben, also sehr viel mit den Kunden gesprochen haben. Der zweite Punkt war, dass einige Mitbewerber angeklopft haben bei uns und schon Interesse bekundet haben. Das hat uns dann hellhörig gemacht. Wir haben uns dann angeschaut, welche Lösungen es da draußen aktuell gibt, um überhaupt seine Fotos auszudrucken und waren sehr überrascht, wie schwierig das eigentlich für den Anwender ist. Wir haben gesagt: Das muss in unserer Zeit einfach einfacher gehen, schneller gehen und haben uns dann dazu entschlossen, eine eigene Lösung zu entwickeln.
2022 habt ihr 14 Millionen Umsatz, das waren schon mal 70 Prozent Wachstum im Jahresvergleich. 2023 dann 20 Millionen Marke geknackt. Was sind die Treiber für dieses Wachstum, wenn es parallel dazu Rezession, Inflation, Krise überall gibt und die Menschen sparen wollen?
Es sind natürlich mehrere Faktoren mit im Spiel. Einerseits ist das Fotobuch ein sehr dankbares Produkt. Es handelt sich um ein persönliches Produkt, wo sehr viel Liebe und Herzblut reinfließt, wo es um persönliche Momente geht. Es ist durchaus ein leistbares Produkt, und von daher wussten wir auch schon von den Vergangenheitsdaten, die man ja durchaus bei Mitbewerbern sieht, dass es sehr krisenresistent ist. Es gibt Rückgänge beim Umsatz in schwierigen Zeiten, aber bei Weitem nicht so drastisch. Ich glaube, wenn man einen innovativen Zugang hat und wirklich das Problem der Leute beim Erstellen lösen, dann hast du einen klaren Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Wir haben für E-Commerce, wo wir uns dazuzählen, ganz gute Unit Economics. Uns bleiben da wirklich die Hälfte der Nutzer, die uns ausprobiert haben, als Bestandskunden erhalten, und das ist doch eine coole Nummer, weil das macht uns dann quasi zu einem Subscription-Business.
Ihr habt mit CEWE, Pixum und anderen großen Mitbewerb. Was ist euer USP, warum greifen die Leute zu eurer App und nicht zu anderen?
Der Markt ist stark fragmentiert, also du hast irrsinnig viele Möglichkeiten als Kunde, was einerseits sehr, sehr gut ist, andererseits sind viele der Konkurrenten, sage ich mal, einfach alt. Die haben einen anderen Zugang zu diesem Thema. Die Großen, wie CEWE zum Beispiel, die kommt ganz klassisch aus dem Print und da machen sie auch wirklich einen guten Job. Aber es gibt so viele gute Druckhersteller, mit denen man zusammenarbeiten kann, die das Niveau auch erzielen. Was sie aber weniger gut können, ist die Softwareentwicklung. Da holen sie sich Partner mit ins Boot und am Ende des Tages schaffen sie es scheinbar nicht. Und da setzen wir an. Wir kommen aus der Softwareentwicklung. Wir haben gesagt, okay, wir können da mit Automatisierung, mit künstlicher Intelligenz den AnwenderInnen helfen und eine einfachere User Experience bieten, so dass man wirklich schnell und einfach zu einem ersten Ergebnis kommt, das aber dann trotzdem personalisieren kann, so wie man es braucht.
Die Secret Sauce liegt in der UX begraben, wenn ich es richtig verstehe?
Also das ist zumindest meine Hypothese. Wenn man sich bei uns die Bewertungen anschaut, dann kommt immer wieder: einfach, das ging so schnell. Und das schließt doch sehr klar auf die User Experience.
2023 ist zum Jahr der generativen KI ausgerufen worden. Bei euch ist AI nicht so das ganz neue Thema, ihr habt schon vor mehreren Jahren damit begonnen, AI einzusetzen, um diese Fotobücher zu gestalten. Was macht die KI bei euch genau?
Wir haben das Glück gehabt, dass unser Co-Founder Chris sich schon viel mit diesem Bereich beschäftigt hat und auch diesen starken Willen hatte zu automatisieren und Lösungen zu finden. Wir haben uns dann auf das Layouting gestürzt und haben dann relativ früh, das war glaube ich 2017, angefangen, eine eigene Layout-Engine zu bauen, die im Endeffekt die Aufgabe hat, für dich als Designer tätig zu werden und deine Bildinhalte bestmöglich anzuordnen. Das hilft uns nach wie vor, dass wir so früh angefangen haben, weil es liegt in der Natur der Sache: Die KI lernt dazu. Anfangs waren es sehr einfache Machine Learning Algorithmen, die wir selber mit Regeln und mit Input gefüttert haben. Es wird einerseits schneller, wir können innerhalb weniger Millisekunden de facto die ersten Seiten des Fotobuches darstellen. So kommt es für den Nutzer rüber wie Echtzeit-Rendering. Du gehst dann das Buch durch und denkst dir, okay, es ist alles schon da und kannst dann weiter personalisieren. Durch dieses Personalisieren kann die KI natürlich weiter dazulernen und sich verbessern.
Es ist also nicht nur die UX, die da ein offenbarer Wettbewerbsvorteil ist, sondern auch AI im Hintergrund?
Die AI ist ein wesentlicher Teil, um eine gute User Experience abzuliefern. Automatisiere da, wo sinnvoll, gib aber gleichzeitig die Möglichkeit zu personalisieren. Das bringt diesen IKEA-Effekt rein. Also alles, was du dann selber angreifst und verbesserst, mit dem wirst du eher zufrieden sein als etwas, was dir komplett vorgegeben wird.
Also ich habe auch meine Ärgerstunden mit IKEA-Möbeln verbracht.
Ja klar ärgert es einen dann manchmal. Ich glaube, nichts ist perfekt. Das ist auch bei uns so. Aber man ist dann doch committed am Ende des Tages.
Ihr seid ja sicher nicht die Günstigsten. Ihr seid sicher nicht hochpreisig, aber doch teilweise deutlich über den Mitbewerbern. Aber eure User sind trotzdem gewillt, das zu bezahlen.
Der Konkurrenzkampf auch beim Pricing ist ein sehr großer und ein sehr undurchsichtiger. Also man muss da immer Äpfel mit Äpfel vergleichen. Du hast natürlich viele Anbieter, die dann den Basispreis auf teilweise weniger Seiten angeben oder auf unterschiedliches Material. Wenn ich jetzt in der Recherche, die das letzte Mal im Dezember stattgefunden habe, nicht komplett daneben liege, dann sind wir so ganz im Mittelfeld, bieten aber gleichzeitig eine sehr hohe Qualität bei den Druckprodukten. Ich glaube, diese Kombination ist wichtig und kommt dann auch beim Kunden sehr gut an.
Ihr wart im September 2023 die meist geladene Fotobuch-App der Welt, sogar vor dem US-Riesen Shutterfly. Wie habt ihr das geschafft? Wie schafft man so viele Downloads? Geht es da um Online-Werbung oder andere Faktoren?
Es ist natürlich ein Mix. Ganz, ganz wichtig ist die Online-Werbung. Wir müssen unsere Zielgruppe auf den diversen Kanäle möglichst effizient erreichen. Effizient ist da, glaube ich, das Stichwort. Unsere Industry ist traditionell eine, die sehr auf das Q4 fokussiert, also auf das Weihnachtsgeschäft. Und man hat noch nicht wirklich herausgefunden, wie man davon unabhängiger werden kann. Uns ist das ein Stück weit gelungen, allein dadurch, dass wir eine gute Nische gefunden haben, in der wir gestartet sind: Reisen ist ein wesentlicher Faktor bei Bildern. Da wir historisch, du hast es eingehend erwähnt, einmal ein Projekt im Reisebereich hatten und wie der Name Journi schon ugiert, sind wir so ein bisschen aus dieser Richtung gekommen und wollten da auch unsere ersten Lösungen optimiert auf dieses Thema anbieten. Und das ist uns, glaube ich, sehr gut gelungen und deshalb haben wir auch, im Gegensatz zu den anderen, im Sommer einen sehr guten Peak auch mit dabei, wo die Leute brav bestellen.
Und die kann man dann reaktivieren im Q4, wenn es darum geht, für Weihnachten zu ordern?
Ja, absolut. Das ist dann die Aufgabe des Bestandskunden-Managements. So muss dieser Customer Lifecycle ständig in Bewegung bleiben und das muss man, glaube ich, gut umsetzen. Also es darf nicht bei der Werbung und bei der User Akquise aufhören, sondern es ist der Anfang und hinten raus muss dann der Service passen, die Bestellung muss passen. Und wenn der Kunde dann ein super Erlebnis hatte, dann muss man schauen, dass man ihn mit dem Bestandskundenmanagement immer wieder zurückholt, ihm Ideen gibt, Angebote gibt und ihn weiterhin happy machen.
Noch eine Frage zur Neukundenaquise: Ihr habt eine App als Produkt. In den letzten Jahren ist es immer schwerer geworden, diese App-Downloads anzutreiben. Apple zum Beispiel hat das App-Tracking unterbunden. Es gibt sogar Startups in Österreich, die zugesperrt haben, weil diese Sache mit den App-Downloads für sie einfach nicht mehr funktioniert hat. Die konnten keine neuen Downloads mehr über Facebook und Co. generieren. Wie habt ihr das geschafft, dem aus dem Weg zu gehen?
Das war bei uns ein Riesenthema und hat auch keinen Stein am anderen gelassen. Ich glaube, wir haben das Gott sei Dank von Anfang an mit dem notwendigen Ernst und der notwendigen Nachhaltigkeit angeschaut und überlegt, wie können wir das lösen. Und wir haben gewusst, okay, das ist nicht in einem Monat erledigt, sondern wir müssen dann mit der Erfahrung lernen und uns gegebenenfalls laufend anpassen. Wir haben dann ein komplett eigenes Attribution-Model für uns aufgesetzt. Es läuft jetzt alles bei uns übers eigene Data-Warehouse. Die User Acquisition verläuft komplett anders als wie vor fünf Jahren.
Aber was bedeutet das konkret? Hat man die Ad-Budgets von Meta weggeschiftet hin zu Google? Kannst du es an einem Beispiel klar machen?
Bei uns sind die Budgets ziemlich gleich geblieben. Google hat schon zugelegt, einfach auch, weil wir expandiert sind und versucht haben, uns von Meta ein bisschen zu emanzipieren. Das Campaign-Setup per se macht eigentlich den größten Unterschied. Früher konntest du sehr viel Micro-Campaigning machen und sehr viele kleine Sachen ausprobieren. Das ist jetzt eben gerade auf iOS schwieriger geworden. Du brauchst einfach eine gewisse Datenmenge, um die Algorithmen einzulernen und musst deine Budgets einmal bündeln, größere Kampagnen über einen längeren Zeitraum fahren und da darf man auch die Nerven nicht wegschmeißen. Gerade am Anfang, wenn sich die Ergebnisse nicht gleich einstellen. Gleichzeitig muss man dann auch wieder den Mut haben, wenn etwas nicht läuft, dass man auch einmal den Stecker zieht und sagt: Okay, man startet wieder neu. Haben wir schon alles gehabt.
Habt ihr mal Snapchat, TikTok usw. ausprobiert und dann beschlossen, naja, vielleicht doch nicht unser Kanal?
Ja, das sowieso. Also beim Experimentieren mit neuen Kanälen gilt es sowieso immer, Trial and Error, schauen, was funktioniert, wo ist die Zielgruppe daheim, wo kriegst du tatsächlich Conversions rein. Ja, TikTok ist ein gutes Beispiel.
Wenn heute über AI gesprochen wird, geht es oft um das Thema Jobkiller. Bei euch ist das Gegenteil der Fall. Ihr habt AI im Einsatz und vergrößert euer Team permanent. Wie stark seid ihr da am Wachsen?
Also wir haben jetzt insgesamt 65 Teammitglieder, so ungefähr 58 Fulltime-Äquivalente. Auch trotz Pandemie usw. finden wir die Office-Kultur extrem wichtig und ist Teil unserer DNA. Also wir haben ein hybrides Angebot. Die Mitarbeiter haben die Möglichkeit, bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit im Homeoffice zu sein. Das nutzt, muss ich aber ehrlicherweise sagen, bei uns ich glaube gar keiner, weil die Office-Umgebung, weil das Klima und die Arbeitsatmosphäre einfach extrem gut sind. Auf das haben wir sehr viel Wert gelegt, weil du verbringst einfach einen Großteil deiner Lebenszeit in der Arbeit und deshalb sollte dieser Platz auch ein Wohlfühlfaktor sein.
Wir sind jetzt auf 1.200 Quadratmetern und bieten da von Betten bis Tischtennis, Playstation-Room, Meditationsraum, Yoga, Kaffeeküche, wo du wirklich eine Espresso-Maschine hast mit gutem italienischen Kaffee, gesunde Snacks. Man kommt bei uns frühstücken, es ist alles sehr grün, wir haben überall Pflanzen stehen. Wir versuchen da wirklich eine Wohlfühl-Atmosphäre zu schaffen. Viel Licht, hohe Räume, wir sind da in einem alten Industriegebäude und fühlen uns wirklich pudelwohl.
Vieles davon habe ich schon mal gehört, aber eins ist mir neu: Du hast gesagt, Betten gibt es auch bei euch. Übernachten die Mitarbeiter:innen bei euch, oder was hat es damit auf sich?
Ja, also das hat es auch schon gegeben, mich eingeschlossen. Wir haben so einen eigenen Bereich, wo wir zwei Betten haben. Solltest du einmal Migräne haben oder dir geht es nicht gut, kannst dich da hinlegen. Es ist auch ein Rückzugsgebiet wie eine Couch, wo du einmal in einer anderen Position arbeiten kannst. Es gibt extra Vorhänge, die du zumachen kannst. Ist ganz spannend und wird erstaunlicherweise zu verschiedensten Zwecken ganz gut angenommen.
Du hast ganz am Anfang des Interviews erwähnt, dass die großen Anbieter bei euch angeklopft haben. Was sind die Zukunftspläne von Journi? Wollt ihr ein eigenständiges Unternehmen bleiben? Steht auch die Möglichkeit im Raum, dass man einen Exit macht an einen von den großen oder umgekehrt, man schnappt sich einen Mitbewerber und wird selber noch größer? Was steht bei euch am Visionspapier?
Das Tolle ist, dass Profitabilität einem sehr, sehr viel Freiraum zum Träumen schafft. Wir haben selber noch so viele Ideen und sehen noch so viele Möglichkeiten, die wir selbst erreichen wollen. Solange wir Spaß haben, solange wir gut wachsen, wollen wir das möglichst selber weiter vorantreiben. Es kann aber natürlich auch, so viel Realist bin ich, passieren, dass einmal ein immens gutes Angebot rein flattert, das muss man sich dann anschauen. Man muss dann auch schauen, okay, inwiefern ist das ein Partner, mit dem man vielleicht die eine oder andere Vision noch gemeinsam umsetzen kann. Das sind alles Faktoren, die man dann berücksichtigen muss, aber für das Erste heißt es voller Fokus auf uns selber, voller Fokus weiterhin aufs Wachstum und den Kunden weiterhin super geile Fotobuchlösung bieten.
Was kann da noch alles kommen, wenn man ans Fotobuch denkt? Das ist vor mehreren hundert Jahren erfunden worden. Was kann man hier noch innovieren?
Die Frage ist, wo startet man? Wir alle haben ja unsere eigenen Vorstellungen von Ästhetik und was uns gefällt. Allein da gibt es noch so viele Möglichkeiten, das Design des Fotobuchs, das Layout des Fotobuchs besser zu gestalten, vor allem auch auf Basis des Personal Taste, den persönlichen Präferenzen. Da kratzen wir gerade erst einmal an der Oberfläche. Also alles, was bei uns KI ist, lernt aktuell von der Grundgesamtheit. Wir bereiten alles darauf vor, da noch tiefer reinzugehen.
Journi: Wiener Fotobuch-Scale-up knackt Umsatzmarke von 20 Mio. Euro