Juri Schnöller will mit KI die Geschichte der Demokratie weiter schreiben
Der deutsche Politikberater und Kampagnenexperte Juri Schnöller ist der Meinung, dass wir Demokratie neu denken müssen. Fakt ist, nur sieben Prozent der Weltbevölkerung lebt in einer voll funktionsfähigen Demokratie. Dabei gibt es heute schon eine Menge nützliche KI-Tools, die das Vertrauen der Bürger:innen in die politischen Entscheidungsträgerinnen wieder stärken und sogar die Wahlprozesse revolutionieren könnten. Schnöller selbst hat die politische und digitale Kommunikationsberatung “Cosmonauts & Kings” und die “Mutrepublik” gegründet.
Trending Topics: Worum geht es denn bei der gemeinnützigen Wirkungsallianz “AI4Democracy”?
Juri Schnöller: Uns hat die Frage angetrieben, wie kann KI genutzt werden, um das Gemeinwohl zu stärken und die Demokratie zu verbessern. Dabei geht es um viele Probleme der letzten Jahre, die vor allem durch populistische oder extremistische Kräfte angesprochen werden. Nämlich: Die Politik ist sehr langsam und nicht mehr in der Lage, Probleme angemessen zu lösen. Menschen haben das Gefühl, die Politik ist weit weg und hört nicht mehr richtig zu. Mit der Plattform AI4Democracy sollen unterschiedliche zivilgesellschaftliche Akteur:innen und Organisationen zusammenkommen und genau an dieser Fragestellung arbeiten. Es geht darum, Antworten auf die Frage zu finden, wie am Ende des Tages KI genutzt werden kann, um eben nicht nur Profit zu erwirtschaften, sondern auch gemeinwohlorientiert gesellschaftliche Probleme zu lösen.
Dein neues Buch “Agile Demokratie, wie künstliche Intelligenz bessere Politik ermöglicht” ist erst vor kurzem erschienen. Was hat dich dazu bewegt, dieses Buch zu schreiben?
Was mich besonders gestört hat, war, dass die Buchläden in Deutschland, die ich besucht habe, hauptsächlich Bücher über KI im Sortiment hatten, die sehr risikobehaftet und angsteinflößend sind. Viele davon warnen vor der Terminator-KI, die uns alle auslöschen wird- ungefähr so in diesem Wording. Da war es mir wichtig, einen konstruktiven Debattenbeitrag zu liefern. Deshalb habe ich mir angeschaut, von welchen Ländern wir etwas Positives über KI lernen können. Die baltischen Staaten, aber auch Taiwan und Singapur sind beispielsweise technologisch schon weiter als Deutschland. Am Ende muss es möglich sein, die Technologie als Chance zu sehen, um unser System, unsere Demokratie, unsere Strukturen, unsere Abläufe und Prozesse besser, effizienter und letztlich agiler gestalten zu können. Damit die Menschen wieder mehr Vertrauen in Demokratie und mehr Vertrauen auch in unser System bekommen. Dabei ist es wirklich wichtig, keinen verklärenden oder naiven Blick auf die KI zu haben, sondern einen, der sich der Risiken bewusst ist.
Laut dem Demokratie-Index von “Economist Intelligence Unit“, leben aktuell nur acht Prozent der Weltbevölkerung in einer voll funktionsfähigen Demokratie*. Warum ist das so und was macht die anderen 37 Prozent aus, die in einer fehlerhaften Demokratie leben?
Natürlich gibt es Ländern, vor allem in Europa oder auch in Nordamerika, die die meisten Kriterien einer Demokratie erfüllen. Wenn wir aber von “Flaw Democracies” sprechen, dann zählen zum Beispiel auch Ungarn oder viele afrikanische Länder dazu. Dort gibt es zwar Wahlfreiheit, aber dennoch wird die Meinungsfreiheit teilweise eingeschränkt. Genauso könnte es schwieriger sein, eine neue Partei zu gründen oder als unabhängiger Wahlbeobachter zu arbeiten. Wir haben es hier mit fließenden Grauabstufungen bis hin zu autokratischen Systemen zu tun. Im Vordergrund stehen dabei die Themen Freiheit, Medienzugang und Informationsfreiheit. Den Idealtypus der absolut freien liberalen Demokratie erfüllen inzwischen nur noch wenige Länder. Die autokratischen oder totalitären Regime befinden sich auch historisch gesehen in den letzten 20 Jahren wieder auf dem Vormarsch. Und jetzt mit den neuen Technologien stehen auch ihnen ganz andere Mittel zur Verfügung. Ein Blick nach China zeigt uns die Ausmaße von Überwachung und Medienkontrolle.
Wo würdest du Österreich und Deutschland einordnen?
Natürlich sind es in unserem Sinne freie und liberale Demokratien. Aber auch für Österreich und Deutschland gilt: Der Populismus wird derzeit stärker und bisher gibt es keine Anzeichen, dass er zurückgedrängt werden kann. Gerade in Österreich gab es besonders in den letzten Jahren viele innenpolitische Krisen, zum Beispiel in Bezug auf die Verflechtung von Politik und Medien. Aber auch in Deutschland gestaltet sich die Situation ähnlich. Da muss man nur einen Blick auf die Aufsichtsräte vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk werfen.
Kurze Bestandsaufnahme zu KI. Was denken denn die Bürgerinnen in Deutschland bzw. in Österreich zum Thema?
Für das Buch hat das Markt- und Meinungsforschungsinstitut “Civey“ Umfragen durchgeführt und herausgefunden: Wenn man Menschen sehr abstrakt nach KI befragt, überwiegen tendenziell die Ängste und Sorgen. Sobald aber gefragt wurde, fändest du es gut, wenn KI die Wartezeiten bei Behördengängen drastisch verkürzt oder bei Naturkatastrophen frühzeitig ein prädiktives Warnsystem einführt, dann ist die Mehrzahl pro KI gestimmt. Ich glaube, die zentrale Aufgabe – nicht nur für die Politik, sondern auch für die Gesellschaft und die Wirtschaft – ist, den Menschen die KI greifbar und haptisch verständlich zu machen. Was die Politik angeht, da sind wir ehrlicherweise gerade in der sogenannten Exploration-Phase, wo Politiker:innen und ihre Teams verschiedene KI-Tools testen.
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Wie können diverse KI-Applikationen zu Kommunikation, Fairness, Vertrauen auch zwischen Politik und Gesellschaft beitragen? Hast du Beispiele?
Zum Beispiel durch KI-Tools, die eine Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungen ermöglichen. In Deutschland ist die Energiewende ein sehr großes Thema. In vielen ländlichen Regionen braucht es Windparks. Bei solchen großen Transformation müssen die Menschen mitgenommen werden. Man muss sich überlegen: Wie könnte der Weg aussehen, der Bürger:innen miteinbezieht? Die KI kann helfen, viel besser zu moderieren, abzustimmen sowie Stimmungsbilder zu sammeln. Diese Vorgehensweise kann in einen Prozess gegossen werden und gleichzeitig Effizienz reinbringen, damit man sich nicht tot diskutiert. Ist es nicht vielleicht sinnvoll, die Bürger:innen teilweise mitbestimmen zu lassen, in welche Angebote die Gelder beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk fließen? “Down the line“ wird sich in den nächsten Jahren zeigen, was attraktiver ist: Autoritäre Systeme wie China, Russland oder in der Türkei oder ein Gegenmodell der westlichen Demokratie, das Technologie nutzt, um den Menschen wieder mehr Freiheit und mehr Mitbestimmung zu geben?
In deinem Buch erwähnst du den smarten Demokratieassistenten. Was ist denn das und wofür kann er genutzt werden?
Dabei geht es um kommunale Selbstverwaltung. Der smarte Demokratieassistent wäre ein KI-Assistent, der Bürgermeister:innen vor Ort unterstützt, indem er relevante Daten zur Bevölkerungsentwicklung, Verkehrswege, Besucherzahlen und mehr analysiert. Dadurch können bessere, evidenzbasierte Entscheidungen getroffen werden, um eine intelligentere Verzahnung von Organisationen, Zivilgesellschaft und Staat zu erreichen. Besonders Kommunen könnten so trotz Ressourcenknappheit effizienter arbeiten, indem sie etwa über aktuelle Entwicklungen wie Trinkwasserverunreinigungen schnell informieren. KI soll den Menschen nicht ersetzen, aber ihn entlasten, sodass er sich auf wesentliche Aufgaben konzentrieren kann. Mit seiner Hilfe könnte man zum Beispiel beantworten, wo das neue Schwimmbad gebaut werden soll oder wo neue Kindergärten notwendig sind.
Ist es realistisch, den gesamten Wahlprozess mit KI zu unterstützen?
Es gibt bereits schöne Tools, wie den Wahl-O-Maten. In ihn können viele Fragen eingegeben werden und dann zeigt er, welche Partei den eigenen Interessen entspricht. Auch hier kann KI unterstützen. Sagen wir einem 30-jährigen ausgebildeten Handwerker mit zwei Kindern sind bestimmte Themen wichtig. Ihm könnten personalisierte und individualisierte Parteiprogrammpunkte vorgestellt werden, die sich an seinen Lebensbedürfnissen orientieren. Perspektivisch sind auch Chatbots denkbar, die Interaktionen mit Abgeordneten oder Parteien ermöglichen. Diese Modelle müssten von Parteien trainiert werden, um politische Präferenzen abzugleichen. So würde KI eine individuellere Ansprache der Wähler:innen und personalisierte Entscheidungsprozess ermöglichen.
Was würde denn in einem utopischen Szenario noch zu einer agilen Demokratie gehören?
Wenn wir wirklich einen partizipativeren Ansatz fahren würden, in dem Bürger:innen in weiten Teilen am Gesetzgebungsprozess mitwirken können. Dabei gäbe es deutlich evidenzbasiertere, bessere Daten als Entscheidungsgrundlage. Es ginge nicht nur um Austarierung der Interessen von Partikulargruppen. Ein revolutionärer Ansatz wäre ein individueller Steuersatz, der sich nach den Lebensbedürfnissen orientiert, anstatt starr in Steuerklassen einzuteilen. Zum Beispiel könnte sich der Steuersatz automatisch anpassen, wenn man ein Kind bekommt, sich um pflegende Angehörige kümmert oder sich sozial engagiert. Diese flexible Anpassung wäre agiler und effektiver, als rückwirkend über die Steuererklärung abzusetzen.
Wie lautet deine Vision der idealen Demokratie in drei bis fünf Jahren?
Ich wünsche mir eine Demokratie, die aus ihren Fehlern lernt und sich immer weiter entwickelt. Es wäre eine Beleidigung an unsere Kinder und Kindeskinder, wenn wir jetzt sagen, wir haben die Fahnenstange erreicht und Demokratie wird immer an dem Punkt bleiben, an dem wir jetzt sind. Das wäre nicht nur naiv, es wäre schon arrogant. Ich hoffe, dass KI einen Impuls setzen kann, damit wir alle gemeinsam daran arbeiten, die Geschichte der Demokratie weiterzuschreiben. Nur so können wir verhindern, dass sie den Populisten zum Opfer fällt.
* Im Ranking des Demokratie-Index von “Economist Intelligence Unit 2023“ haben Norwegen, Island, Schweden, Finnland, Dänemark, Irland, Schweiz und Neuseeland das höchste Ranking und zählen damit zu voll funktionsfähigen Demokratien.
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