Kapitalmarktunion: Mega-Crowdfunding für Europas Innovationszukunft?
Es ist keine neue Erfindung, aber eine, die für Europa ziemlich wichtig ist: Mit der neuen EU-Ratspräsidentschaft von Ursula von der Leyen wird aktuell aus unterschiedlichen Richtungen wieder die Idee einer Kaptialmarktunion gepusht. Eigentlich hat EU-Kommission bereits 2015, also vor fast zehn Jahren, einen Aktionsplan zur Kapitalmarktunion gestartet. Dann wurde 2020 im Angesicht der COVID-Pandemie die Forderung erneuert, und nun will von der Leyen bis 2029 die europäische Kapitalmarktunion „vollenden“. Jetzt heißt das Projekt auch „Europäische Spar- und Investitionsunion“, um es greifbarer zu machen.
Denn obwohl die Kapitalmarkt-, pardon Spar- und Investitionsunion, in Ansätzen bereits angegangen wurde, ist sie längst nicht fertig, und noch weniger greifbar. Im Gegenteil, jedes Jahr fließen riesige Summen an Geldern weiterhin aus der EU ab, um anderswo investiert zu werden, etwa in den USA oder Asien. Einfaches Beispiel sind populäre Sparpläne bei Neobroker für US-ETFs wie der S&P500. Würde man andere, attraktivere europäische Investitionsmöglichkeiten schaffen, dann könnte das jährlich 470 Milliarden Euro einbringen, die in europäische Unternehmen investiert werden, anstatt etwa in Aktien von US-Konzernen. Die Logik: Alleine für den Klimabereich werden 800 Milliarden bis 1,6 Billionen Euro benötigt, und die öffentliche Hand wird diese Investitionen nicht stemmen können.
„Wenn wir keinen Weg finden, private Gelder zur Finanzierung des grünen Übergangs und unserer Sicherheitsbedürfnisse einzusetzen, wird es sehr kompliziert sein, eine Lösung zu finden, die nur auf öffentlichen Geldern basiert“, so der ehemalige Ministerpräsident Italiens, Enrico Letta, der in einem viel beachteten Papier seine Vision für die „Savings and Investments Union“ vorlegte. Es gehe um die „Fünfte Freiheit“ in der EU, neben dem freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital.
Jährlich fließen 300 Milliarden im Jahr aus Europa ab
„Kapital wird in Europa viel zu oft an Sparbuch gehalten und nicht investiert. Der sogenannte Letta-Bericht zum europäischen Binnenmarkt, der im Zuge des vergangenen ECOFINs Brüssel präsentiert und im Rahmen des Salzburg Summits diskutiert wurde, zeigt, dass tausende Milliarden Euro auf den Sparkonten der Europäer schlummern. Davon fließen jährlich rund 300 Milliarden im Jahr aus Europa ab – meistens in den US-amerikanischen Kapitalmarkt. Das bedeutet, dass die Ersparnisse der Europäerinnen und Europäer Innovation und Jobs im Ausland fördern. Es muss daher unser Ziel sein, dass das europäische Kapital in Europa bleibt und hier zu Wohlstand beiträgt. Eine Lösung hierfür ist eben eine starke Kapitalmarktunion“, so Der Noch-Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) in einer Aussendung.
Brunner setzt sich aktuell mit seinen Amtskollegen, die Finanzminister Marko Primorac (Kroatien) und Klemen Boštjančič (Slowenien), ebenfalls für eine schnelle Umsetzung der Kaptialmarktunion ein. Andreas Treichl, Chairman der Erste Stiftung und Präsident des European Forum Alpbach macht aktuell auf Linkedin Stimmung für das Thema. Und auch Peter Bosek, der neue CEO der Erste Group, sagte kürzlich bei einer Pressekonferenz: „Europa wird ohne starken Kapitalmarkt nicht vorankommen“. Die Erste Bank etwa arbeite an einer Pensionskassenstrategie, die institutionelle Anleger ansprechen soll.
Was soll konkret kommen?
Was aber wäre eine solche Kapitalmarktunion in der Praxis? Grundsätzlich soll es ja in 2 Richtungen gehen: Unternehmen sollen leichter Finanzierungen abseits von Banken bekommen, und zwar eben von Europäer:innen. Und Europäer:innen sollen besser in europäische Anlagemöglichkeiten ihr Geld stecken können, damit sie am Ende nicht bei S&P500-ETF und Co landen.
Hier einige Beispiele:
- Erleichterte Börsengänge, v.a. für KMU und vor allem für Firmen in den Bereichen Nachhaltigkeit, Digitalisierung, AI, Quantum Computing, Biotech, Robotics oder SpaceTech
- Financial Literacy: Verbesserung der Finanzkompetenz der Menschen – immerhin sind sie es, die investieren sollen
- grenzüberschreitend angebotenen Anlage-/Sparprodukte für Kleinanleger:innen
- Zugang zu einer größeren Auswahl an Anlagemöglichkeiten für Ersparnisse und Renten
- Entwicklung von Rentenprodukten und langfristigen Sparprodukten
- Europäische langfristige Investmentfonds (ELTIF): Die Attraktivität europäischer langfristiger Investmentfonds soll für durch eine Überarbeitung der Verordnung attraktiver gemacht werden
- Bündelung der Aufsicht auf EU-Ebene
Vom Kleinanleger bis hin zum wohlhabenden Family Office sollen sich Private mehr dafür finanziell engagieren, dass Megaprojekte wie der Kampf gegen die Klimakrise und vieles mehr finanziert werden können. Überspitzt gesagt könnten viele Privatanleger:innen etwa CleanTech-Unternehmen finanzieren, wenn diese nicht genug Sicherheiten aufweisen, um Bankkredite zu bekommen. Das wäre so etwas wie Mega-Crowdfunding auf europäischer Ebene.
Risikoreiche Investitionen für Sparer:innen?
Nicht alle sind von den Plänen zu der Kapitalmarktunion begeistert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) etwa schreibt, dass sie eine Mogelpackung wäre und an der Realität scheitern würde. Wegen Hoher Staatsverschuldung und belasteten Banken wolle die EU verstärkt auf Finanzierungen privater Investoren setzen.
Die Gegensicht darauf: Kritik an den Plänen kommt etwa von der österreichischen Bundesarbeiterkammer bzw. deren Büro in Brüssel: „Maßnahmen, durch welche Sparer:innen zu risikoreichen Investitionen und Pensionsvorsorgeprodukten „motiviert“ werden, sind sehr kritisch zu sehen. Öffentliche Pensionssysteme mit Umlagesystem haben sich als Stabilisator in Krisen erwiesen und sollten Vorrang haben“, heißt es dort in einer Stellungnahme. Auch das Forcieren von Verbriefungen, welche wesentlich zur Finanzkrise beigetragen haben, ist hochproblematisch.“
Und weiter: „Schließlich hat sich gezeigt, dass ein instabiler Finanzsektor gravierende Folgen für Arbeitnehmer:innen, Konsument:innen, Unternehmen und den Staat hat. Diese Erkenntnis muss bei der Vertiefung der Kapitalmarktunion in den Fokus rücken. Lücken zur Umgehung von Regulierungen müssen geschlossen werden. Die Schutzinteressen privater Kleinanleger:innen und Arbeitnehmer:innen dürfen keineswegs den Kapitalinteressen der Unternehmen untergeordnet werden. Möchte man einen fairen ökologischen Übergang im Sinne der Arbeitnehmer:innen umsetzen, wird man um massive öffentliche Investitionen nicht herumkommen.“