Interview

Kindness Economy: Was wir gewinnen, wäre unsere Wirtschaft „kind“

Oona Horx Strathern. © Klaus Vyhnalek, www.vyhnalek.com
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Brauchen wir eine ­„kindere” Wirtschaft? Ja, findet Oona Horx-Strathern. Sie ist Trendanalystin und ­Zukunftsforscherin und bezeichnet die „Kindness ­Economy” im gleichnamigen Buch als neues ­Wirtschafts­wunder. Dabei geht es um aufrechte ­Zugewandtheit und ­gegenseitigen ­Respekt – sie legen die ­Grund­bausteine der ­wertebasierten ­Wirtschaft.

Dieses Interview ist im neuesten Trending Topics-Magazin „A Trip to Tomorrow“ erschienen.

Man kann das Konzept der „Kindness Economy“ belächeln, die Beispiele infrage stellen. Oder aber man befasst sich genauer mit den Annahmen der „Kindness Economy” und versucht, sie in das eigene Unternehmen zu integrieren und für die Mitarbeiter:innen umzusetzen. Oona Horx-Strathern führt etwa die Arbeitsbedingungen in Schweden als Paradebeispiel an. Dort sind vier Wochen Urlaub am Stück im Gesetz verankert und es ist üblich, ein jährliches Budget von 400 Euro für Wellnessangebote wie Spa-Tage, Pferdereiten oder Yoga zu erhalten. Darüber hinaus gibt es tägliche Pausen, die sogar bis zu erstaunlichen 90 Minuten dauern können. Auch Chief Happiness Officers sind in Skandinavien keine Seltenheit mehr. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass die Menschen motivierter und dadurch automatisch produktiver sind. „Kindness“ sieht Horx-Strathern darum vielmehr als eine Strategie oder eine Bewegung als bloß reine Freundlichkeit.

Was kann man sich unter der „Kindness Economy“ im wirtschaftlichen Kontext vorstellen?

Oona Horx-Strathern: Dabei bewegen wir uns weg von der klassischen Wirtschaftskette, hin zu einem Wertschätzungskreis. Die Prioritäten werden umgedreht. Zuerst sollten die Menschen im Vordergrund stehen, dann der Planet und dann der Profit. Es wird weiterhin konsumiert und auch das Profitdenken nicht abgeschafft. Es wird sehr viel über ökologische Nachhaltigkeit nachgedacht und dabei vergessen, wie wichtig soziale Nachhaltigkeit ist.

Während Unternehmen das Arbeitsleben ihrer Mitarbeiter:innen mit Wertschätzung, Vertrauen, aber auch mit Zusatzangeboten füllen sollten, so ist es genauso wichtig, dass sich Konsument:innen damit befassen, bei welchen Unternehmen und welche Produkte sie einkaufen.

Spricht sie vorrangig die Unternehmen oder die Verbraucher:innen an?

Die „Kindness Economy“ richtet sich dabei an Unternehmer:innen genauso wie an Verbraucher:innen und Arbeitssuchende. Die Arbeitswelt steckt in einer Krise. Für Unternehmen wird es immer schwieriger, gute Mitarbeiter:innen zu finden und da muss man sich neue Wege überlegen, wie man Arbeitskräfte erreichen kann.

Warum soll(t)en in der Zukunft immer mehr auf den Zug der „Kindness Economy“ aufspringen?

Da gibt es viele Gründe. Es sind immer mehr Frauen in Spitzenpositionen in der Wirtschaft tätig. Sie denken und agieren anders. Meiner Erfahrung nach verstehen Frauen den Zweck der „Kindness Economy“ automatisch, während Männer schwieriger zu überzeugen sind. Außerdem erleben wir durch die Digitalisierung gerade den Gegentrend zum Analogen. Menschlicher Kontakt wird wieder mehr geschätzt. Dann ist da noch Covid 19, das uns unsere Lebensrealitäten überdenken hat lassen und das Homeoffice zur Routine gemacht hat. Letztlich gibt es noch den Generationenunterschied. Immer mehr junge Menschen treten in die Arbeitswelt ein und bestätigen in zahlreichen Umfragen: Die Generation Z lehnt die industrielle Arbeitsweise und damit die klassische nine-to-five-Regelung ab. Diese Faktoren führen dazu, dass wir andere Arbeitsbedingungen brauchen.

Das Konzept der „Kindness Economy“ beruht auf einer umfangreichen Informationssammlung inklusiver wissenschaftlich durchgeführter Umfragen, einer Vielzahl an Beispielen und vermutlich ist auch ein wenig „Cognitive Bias“ eingeflossen. Der erst im September 2023 veröffentlichte „Work Relationship Index“ von Hewlett Packard zeigt: Über zwei Drittel der Menschen haben keine gute Beziehung zu ihrer Arbeit. Sie suchen nach mehr sinnstiftender Arbeit. Dafür wurden die Befragungsergebnisse von 15.600 Personen aus zwölf Ländern aus verschiedenen Branchen ausgewertet. Nur 27 Prozent der Wissensarbeiter:innen, die „hauptsächlich am Schreibtisch“ arbeiten, beurteilen ihre Beziehung zur Arbeit als gesund.

Gibt es Branchen, in denen das Konzept besser funktioniert als in anderen?

Ja. Im Dienstleistungssektor stößt die „Kindness Economy“ auf sehr fruchtbaren Boden. Ich stehe mit verschiedenen Firmen im engen Austausch zu dem Thema und nehme wahr, dass die Reaktionen ganz unterschiedlich ausfallen, wenn wir zum Beispiel über eine 4-Tage-Woche sprechen. Alteingesessene, die man zum Beispiel in der Bankenkultur findet, mögen dieser neuen Arbeitsweise gegenüber nicht aufgeschlossen sein.

„Kindness Economy“ spricht aktuell die Restaurant- und Hotelbetriebe an. Dort merkt man, wie dringend es notwendig ist, die Arbeitsbedingungen anzupassen und etwas „anderes“ anzubieten, weil es inzwischen so hart geworden ist, gutes Personal zu finden.

Auch die Bauindustrie gibt ein interessantes Beispiel her. So hat die Strabag erst kürzlich eine Unternehmensstrategie für 2030 unter dem Motto „People, Planet, Progress” gelauncht. Dabei soll die menschliche Lebensqualität in den Vordergrund gestellt und dadurch auch besser gebaut werden. Denn laut dem Strategiepapier sind die wichtigsten Assets der Strabag die Mitarbeiterinnen. Um diese entsprechend zu fördern, müssen die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen erkannt und verstanden werden. Das große Ziel? Die Strabag möchte zum Vorreiter für kreislaufgerechtes Bauen werden und die Energiewende aktiv mitgestalten. Klemens Haselsteiner, CEO der Strabag, bezeichnet den Fachkräftemangel als größte Limitierung auf dem Weg dorthin. Das Motto bis 2030 lautet also: neu denken und aktiv begegnen.

Welche österreichischen Unternehmen verfahren denn bereits nach dem Prinzip der „Kindness Economy”?

Da habe ich ehrlich gesagt wenige gefunden – und zwar weder österreichische noch deutsche Unternehmen. Bei der „Kindness Economy“ handelt es sich um einen Trend, der jetzt erst anfängt. Derzeit sind „kinde“ Unternehmen noch in der Minderzahl. Patagonia aus den USA ist ein Vorzeigebeispiel einer frühen humanistischen Firma.

In Österreich kenne ich ein paar Unternehmen, die Ansätze der „Kindness Economy“ aufweisen, aber eben nicht auf die Weise, sodass ich sagen könnte, hier stehen nachweislich Menschen an erster Stelle. Sagen wir so: Die Entwicklungen hierzulande gehen etwas schleppend voran. Doch ich beobachte laufend, welche Unternehmen in puncto „Kindness“ hervorstechen.

Kannst du Unternehmen in Österreich nennen, die zumindest schon einen Schritt in die Richtung gesetzt haben?

Ich könnte drei Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen nennen: Strabag, Ringana und das Designhotel Haus Hirt und Bad Gastein. Das Problem dabei ist, dass bis jetzt die Zertifizierung fehlt. Es fehlt der Rahmen, indem man „Kindness“ messen kann. Konkret denke ich an internationale Zertifikate wie Benefit Corporation (B-Corp), Cradle to Cradle (C2), Positive Luxury, ESG, cruelty-free oder vegan-friendly, um nur ein paar zu nennen. Bei B-Corps verpflichten sich Unternehmen, soziale und ökologische Standards in ihre Geschäftspraktiken zu integrieren, während Cradle-to-Cradle ein Designansatz ist, der Produkte so gestaltet, dass ihre Materialien am Ende ihres Lebenszyklus wiederverwendet oder biologisch abgebaut werden. Es gibt Firmen in Österreich, die B-Corps sind, aber die gehören meistens zu großen deutschen Konzernen. Bis dato gibt es wenig Unternehmen, die soziale Nachhaltigkeit messbar und damit zertifizierungswürdig umsetzen. In der Zukunft brauchen wir außerdem „Kindness Performance Indicators“.

Es soll sichergestellt oder auch nachgewiesen werden, dass die Angestellten gut bezahlt werden. Dafür braucht es mehr Transparenz, strenge Vergabekriterien, ständige Überprüfung und vielleicht auch neue Gesetze. So werden nicht nur Mitarbeiter:innen glücklicher und produktiver. Es geht auch darum, den Kund:innen das zusammenhängende Mindset oder Wertesystem mitzuverkaufen. Momentan würde ich nicht sagen, dass die Ökonomie in Österreich „kind“ ist.

Was sind „Kindness Performance Indicators“?

Kindness Performance Indicators sind „work in progress”, die noch nicht existieren, aber erarbeitet werden – im besten Fall von den Unternehmen selbst. Ich spreche mit so vielen Menschen, die das Thema hochspannend finden. Auch die politische Perspektive ist bedeutend. Schweden liefert ein gutes Beispiel:

Dort sind Wellness-Zuschüsse in der Höhe von 400 Euro im Jahr und 60 (bezahlte) Minuten pro Woche, die man während der Arbeit für Wellness nutzen kann, üblich. Mitarbeiter:innen können sich vier Wochen Urlaub am Stück nehmen. Letzteres steht im Arbeitsrecht niedergeschrieben. Wenn du in skandinavischen Ländern bis nach 17 oder 18 Uhr im Büro bist, wirst du gefragt, ob du keine Freunde oder Familie hast. Die wissen einfach, wie wichtig Work-Life-Balance ist. Ich bin der Meinung, manche Länder sind einfach ein bisschen weiter, sowohl von der staatlichen Seite her als auch von der internen Unternehmenskultur.

Wessen Aufgabe wäre die transparente Vergabe von Gütesiegeln? Die der Politik?

Daneben existieren aber durchaus auch staatliche Siegel, zum Beispiel im Bauwesen – da wurden bestimmte Richtlinien festgelegt, wie in Zukunft gebaut werden soll. Um „Kindness Economy“ im großen Stil einzuführen, braucht es einen entsprechend größeren politischen Rahmen.

Im Parlament in England wird gerade über den „Better Business Act“ diskutiert: Unternehmen sollen in Zukunft nicht nur über ihre Gewinne berichten, sondern auch darüber, was sie für die Menschen und den Planeten leisten.

Sehen Sie „Kindness“ in der österreichischen Politik?

Das ist eine schreckliche Frage. Nein, sehe ich nicht. Dabei wäre das so wichtig, denn um Veränderung herbeizuführen, brauchen wir die Unterstützung der Politik. Eine Politikerin, die mir beim Begriff „Kindness“ sofort einfällt, ist die Ex-Premierministerin Jacinda Ardern aus Neuseeland. Für sie war „kind“ zu sein Teil der Strategie und Kommunikation. „Kindness“ in der Politik ist möglich, aber eher die Ausnahme.

Welche wären die ersten Schritte, wenn ein Unternehmen sich in Richtung der „Kindness Economy“ verändern möchte?

Der erste Schritt ist, einen „Chief Kindness Officer“ einzustellen oder eine Person damit zu beauftragen, sich mit der Perspektive der „Kindness Economy“ zu beschäftigen. Sie soll dann den Status quo erheben, Ideen sammeln und herausfinden, wo etwas verändert werden kann. Das ist ein langer Prozess. Auch bei einer Firmengründung sollte man sich damit beschäftigen und von Beginn an eine „kinde“ Arbeitsatmosphäre schaffen.

„Wenn du kind bist, verlierst du, denn die anderen sind Haie.“ Wie beurteilst du diese Aussage?

Haie sind letztlich ziemlich einsam, auch im Wirtschaftsmeer. Die Unternehmen, die „Kindness“ verinnerlicht haben, werden zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen.

Was denken Sie, wo liegt die Angst begraben? Warum könnten Unternehmen sagen „Nein, „Kindness Economy“ ist nichts für uns, das brauchen wir nicht?“.

Ich glaube, hier spielt vor allem die Angst mit enthüllt zu werden. Durch Transparenz und eine Zertifizierung könnte man sofort angegriffen werden, wenn etwas falsch läuft. Aber die „Kindness Economy“ braucht auch eine gewisse „Kindness“ gegenüber Veränderungen. Das ist ein Prozess, der nicht auf einmal umgesetzt werden kann. Viele Firmen denken, sie müssen alles auf einmal umstellen oder dass „Kindness Economy“ viel Geld kosten muss. Dem ist nicht unbedingt so. Es lässt sich wunderbar mit Kleinigkeiten wie dem Erlauben von Bürohunden oder dem Einführen von flexiblen Arbeitszeiten beginnen.

Von welchem Zeitraum sprechen wir, wenn die „Kindness Economy“ nicht mehr nur von einer Minderheit, sondern von einer Mehrheit gelebt wird?

Wenn ich optimistisch bin, denke ich an 50 Jahre. Ich erinnere mich, dass in den 1960er-Jahren Umweltbewegungen im wirtschaftlichen Kontext einschließlich der Auswirkungen von Unternehmen auf die Umwelt an Bedeutung gewonnen haben. Erst in den 1990er und 2000er Jahren begann das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in österreichischen Unternehmen zu wachsen und das Konzept rückte stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Einige beginnen heute erst, sich ernsthaft mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Angesichts dessen wird es wohl noch etwas dauern, bis sich die „Kindness Economy“ flächendeckend durchgesetzt hat.

 

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