Kipppunkt kommt näher: Warum der Amazonas zur Savanne werden könnte
Regenwälder üben einen großen Einfluss auf unser Weltklima aus. Sie spielen nicht nur beim Regenkreislauf eine wichtige Rolle, sondern binden auch Unmengen CO2 aus der Luft und produzieren Sauerstoff. Nicht umsonst wird der Amazonasregenwald in Südamerika als „Grüne Lunge“ der Erde bezeichnet. Eine neue Studie von Forschenden des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und des Global Systems Institute der Universität Exeter, welche in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“ erschienen ist, warnt nun davor, dass die Widerstandsfähigkeit des Amazonas gegen Klimaeinflüsse und Abholzung in den letzten 20 Jahren massiv nachgelassen hat. Der Amazonas, so wie wir ihn kennen, stehe vor einem Kipppunkt.
Regenwald nähert sich dem Kipppunkt
Als ein potenzielles Kippelement im Erdsystem schätzen die Forschenden den Amazonas ein. Laut dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung seien Kippelemente die „Bestandteile des Erdsystems von überregionaler Größe, die ein Schwellenverhalten aufweisen“. Wenn diese bereits durch das Hintergrundklima nahe einem Schwellenwert sind, können kleinste externe Störungen massive Auswirkungen auf das Gesamtsystem haben.
„Der Amazonas-Regenwald beherbergt eine einzigartige Artenvielfalt, beeinflusst durch seine enorme Evapotranspiration stark die Niederschläge in ganz Südamerika und speichert riesige Mengen an Kohlenstoff, die bei einem auch nur teilweisen Absterben als Treibhausgase freigesetzt werden könnten, was wiederum zur weiteren Erderwärmung beiträgt“, Studienautor Niklas Boers vom PIK.
Das deutsch-britische Forscherteam der Studie analysierten die Veränderung der Biomasse des Amazonas mithilfe hoch aufgelöster Satellitenbilder und stellte dabei eine deutlich verringerte Resilienz fest. Als resilient wird ein Wald beschrieben, wenn er sich gut von Bränden, Dürren oder Rodungen erholen kann. Beim Amazonas nimmt diese Fähigkeit seit Anfang der 2000er-Jahre ab, 75 Prozent der Fläche könnten nicht mehr angemessen auf äußere Einflüsse reagieren.
Massive Abholzung: Amazonas-Regenwald wird immer mehr zum Problem
Der Verlust der Widerstandsfähigkeit in den unberührten Teilen des Regenwaldes sei vor allem auf die Belastung durch menschliche Aktivitäten in der Nähe zurückzuführen, so die Forschenden. Die Folgen der Klimakrise lassen sich noch nicht absehen. Immer mehr Flächen im Amazonasgebiet werden abgeholzt, um Palmöl zu ernten, Sojapflanzen anzubauen oder Viehzucht zu betreiben. Allein im Jahr 2021 wurden in Brasilien 17.ooo Quadratkilometer Urwald vernichtet, Tech & Nature berichtete. Das entspricht etwa der Gesamtfläche von Niederösterreich (19.000 Quadratkilometer).
Einer der Hauptverantwortlichen dafür: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. Seit dessen Amtsbeginn im Jahr 2019 legte die Abholzung des Amazonas kräftig zu. So stark, dass eine Truppe von österreichischen Klima- und Rechtsexpert:innen Bolsonaro im letzten Jahr beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzeigten. Ihr Beweggrund: „Verbrechen gegen die Umwelt sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Doch auch Europa ist nicht unschuldig an der Abholzung des Amazonas. Laut WWF-Report ist die EU für rund 16 Prozent der globalen Regenwaldzerstörung verantwortlich (Tech & Nature berichtete). Die steigende Nachfrage nach Soja (unter anderem für Tierfutter), Palmöl, Holzprodukten, Kakao und Kaffee lässt lokale Bauern und Bäuerinnen immer weiter in den Regenwald vorstoßen.
Amazonas könnte Savanne werden
Wann genau der Amazonas seinen Kipppunkt erreicht haben könnte, lässt sich schwer sagen. „Computersimulationen zu seiner Zukunft liefern jedoch eine gewisse Bandbreite von Ergebnissen“, sagt Studienautor Niklas Boers. „Wir können nicht sagen, wann ein möglicher Übergang vom Regenwald zur Savanne stattfinden könnte. Wenn er dann zu beobachten ist, wäre es wahrscheinlich zu spät, ihn aufzuhalten.“ Jedoch würden frühere Computersimulationen zeigen, dass große Teile des Amazonasgebiets bereits zum Absterben verdammt sein könnten, bevor sich der mittlere Zustand des Regenwalds überhaupt ändert.
Besonders bedroht für den Verlust der Widerstandsfähigkeit sind aber den Analysen zufolge trockene Gebiete und Gebiete, welche sich in der Nähe von menschlichen Siedlungen befinden. „Dies ist alarmierend, da die IPCC-Modelle eine allgemeine Austrocknung des Amazonas-Gebiets als Reaktion auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung vorhersagen“, so Boers.
Ein solcher Wandel des Amazonas wäre nicht nur katastrophal für das Weltklima, sondern auch für die Artenvielfalt des Planeten. Laut WWF sind zehn Prozent aller Tier- und Pflanzenarten, die es auf der Welt gibt, hier zu finden. Eine gute Nachricht gibt es allerdings: Wenn man das „Ökosystem Urwald“ in Frieden lässt, kann es sich überraschend schnell erholen. Nachwachsende tropische Wälder erreichen nach 20 Jahren fast 80 Prozent der Fruchtbarkeit, Kohlenstoffspeicherung und Baumvielfalt von Urwäldern. Das zeigt eine internationale Studie, an der auch das Institut für Ökologie der Universität Innsbruck beteiligt war.
Auch Tim Lenton, Direktor des Global Systems Institute gibt an, dass eine starke Begrenzung des Holzeinschlags, aber auch eine Begrenzung der globalen Treibhausgasemissionen notwendig seien, um den Amazonas zu schützen. Somit wäre dem Amazonas sehr damit geholfen, wenn die Menschen ihn in Ruhe lassen würden. Durch Konsumveränderungen könnten das auch die Menschen hierzulande positiv mit beeinflussen.