Klage gegen notarity droht Bauchfleck für Notariatskammer zu werden
Es war ein Schock nicht nur für das Startup selbst, sondern auch für seine Investor:innen, seine Nutzer:innen und auch für die ganze Startup-Branche in Österreich. Denn das Wiener Startup notarity, dass eine Online-Software für Notar:innen anbietet, wurde von der Österreichischen Notariatskammer (ÖNK) geklagt – weil diese das Geschäftsmodell der Wiener Jungfirma rund um CEO Jakobus Schuster als rechtswidrig betrachtet. Doch ein neues, Trending Topics vorliegendes Gutachten eines renommierten Juristen zeigt, dass die Klage der ÖNK gegen notarity nach hinten losgehen könnte.
Die Vorgeschichte: Schon vor der Corona-Pandemie wurde von der ÖNK der digitale Notariatsakt bei der GmbH-Gründung vorangetrieben, im Zuge der COVID-Krise wurde das dann dauerhaft im Gesetz ermöglicht. Auftritt notarity: Seit dem Frühjahr 2020 gibt es in Österreich die gesetzlichen Möglichkeiten, fast alle Notariatsakte vollständig digital zu errichten, und das Startup bietet seit dem Launch im Februar 2022 eine eigene Online-Plattform, die Notar:innen nutzen können, um den Notariatsakt digital erledigen zu können. Ein Erfolg: Nach einer Millionenfinanzierung schnappte sich notarity bis Oktober 2023 jede vierte österreichische Notariatskanzlei als Kunden – also ein Viertel des Marktes.
Notariatskammer verklagte Notarity wegen Geschäftsmodell
Dann polterte im Oktober 2023 die Klage der ÖNK gegen notarity herein. Mit schweren Vorwürfen gegen das Startup: Die Beglaubigung einer Unterschrift dürften ausschließlich Notar:innen (neben den Gerichten) anbieten und durchführen. notarity würde aber solche Leistungen auf seiner Homepage anbieten und abrechnen – und somit möglicherweise das Gesetz brechen. Das Startup zeigte sich wehrhaft und stritt die Vorwürfe ab.
Aber nicht nur das. Schuster und sein Team haben ein Gutachten über die Zulässigkeit ihres Geschäftsmodells bei Univ.-Prof. Dr. Stefan Perner vom Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien eingeholt. Aus Perners Gutachten geht ziemlich klar hervor, dass notarity gegen keine Regeln verstößt – also auch nicht dagegen, selbst notarielle Dienstleistungen anzubieten. “notarity verpflichtet sich gegenüber den Nutzern seiner Plattform nicht, selbst notarielle Dienstleistungen zu erbringen. notarity handelt vielmehr als Vermittler”, heißt es in Perners Gutachten. “Auch die Partner-Notare handeln im Einklang mit den standesrechtlichen Vorgaben, weil sie sich selbst zur Erbringung der über notarity vermittelten notariellen Dienstleistungen verpflichten.”
Auch in weiteren Punkten, die von der ÖNK beanstandet wurden, sieht Perner keine Rechtsverletzungen durch notarity – auch nicht gegen eine etwaige Verletzung des Provisionsverbots. “Die Partner-Notare leisten nach dem bisherigen Geschäftsmodell keine Zahlung an notarity. Da keine Provisionen fließen, stellt sich die Frage des Provisionsverbots von Vornherein nicht”, heißt es im Gutachten. “Auch beim geplanten alternativen Geschäftsmodell überzeugt die Einordnung der Zahlung der Partner-Notare an notarity als Provision nicht. Es handelt sich dabei bloß um ein Entgelt für die Bereitstellung technischer Dienstleistungen oder sonstiger Services.” Weiters sieht Perner auch keinen Grund, den Einsatz von notarity durch Notar:innen als Verstoß gegen die notarielle Verschwiegenheitspflicht oder als Verstoß gegen die standesrechtlichen Pflicht zur persönlichen Berufsausübung zu sehen.
Notarity vs. ÖNK: Das nächste Startup im Rechtsstreit gegen eine Kammer
„Rolle als Online-Vermittler zulässig“
Bei notarity sieht man die Vorwürfe der ÖNK nun entkräftet. “Das aus unserer Sicht für die Zukunft von notarity wesentlichste Ergebnis des Gutachtens ist, dass notarity bisher nicht selbst notarielle Dienstleistungen angeboten hat (wie es die ÖNK notarity in ihrem ersten Hauptunterlassungsbegehren vorgeworfen hat), sondern dass der Vertrag darüber eindeutig zwischen den Notar:innen und den Kund:innen zustande gekommen ist und dass notarity daher keine Notar:innen vorbehaltenen Tätigkeiten ausgeführt hat”, so CEO Schuster zu Trending Topics. “Die Rolle als Online-Vermittler zwischen Notar:innen und deren Kund:innen, welche notarity zum Teil neben anderen Funktionen ausübt, ist nach dem Gutachten auch als solche zulässig.”
Seit der Klage hätte notarity der ÖNK zu einigen Punkten der Klage ein Vergleichsangebot unterbreitet, “weil sie für uns absolut keine Relevanz haben und wir uns daher fragen, warum hier sofort gerichtlich gegen uns vorgegangen wurde”, so Schuster. Jedoch hätte die ÖNK bisher Gespräche über eine einvernehmliche Lösung abgelehnt. Währenddessen hätte die Firma auch nach der Klage “weiterhin Unterstützung von zahlreichen Notariaten in Österreich”. “Auf Wunsch von diesen Notariaten haben wir auch schon freiwillig neue Prozesse entwickelt, welche den von der ÖNK geäußerten Bedenken aus unserer Sicht weitgehend Rechnung tragen”, so Schuster. “Diese Änderungen sind aus unserer Sicht keiner juristischen Notwendigkeit, sondern unserem Bestreben geschuldet, die Wünsche aller unserer Kund:innen bestmöglich zu erfüllen.”
Für Gespräche mit der ÖNK, nun mit dem Gutachten im Rücken, sei man weiterhin offen. “In jedem Fall blicken wir der Zukunft optimistisch entgegen.”