Alarmismus

Klimakrise: Wenn sich Forschende aus Verzweiflung an Banken anketten

Peter Kalmus (mit Megaphon) weiß nicht mehr, was er machen soll, damit die Politik auf die Wissenschaft hört. © scientistrebellion
Peter Kalmus (mit Megaphon) weiß nicht mehr, was er machen soll, damit die Politik auf die Wissenschaft hört. © scientistrebellion
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Der Klimawissenschaftler Peter Kalmus war vor dem 6. April 2022 bei weitem kein Unbekannter in der Szene. Der US-Amerikaner arbeitete als Datenwissenschaftler bei der NASA und brachte ein Buch mit dem Titel „Being the Change: Live Well and Spark a Climate Revolution“ heraus. Spätestens seit dem 6. April 2022 kennt man Kalmus aber auch über die Klimablase hinaus. Nämlich als jener Wissenschaftler, der sich an die Tür der J.P.-Morgan-Bank in Los Angeles angekettet hat, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen.

Protest-Aktionen aus der Wissenschaft

Mit diesem Wunsch war Kalmus nicht allein. Organisiert von Scientist Rebellion, haben mehr als 1.000 Wissenschaftler:innen in 26 Ländern kurz nach Veröffentlichung des letzten IPCC-Reports (Tech & Nature hat berichtet) darauf aufmerksam machen, dass die Erde immer weiter in eine Klimakrise schlittert.

Drei davon ketteten sich gemeinsam mit Kalmus an die Bank, um so Aufmerksamkeit zu erhalten. „Ich bin hier, weil man nicht auf Wissenschaftler:innen hört. Ich bin bereit, ein Risiko für diesen wundervollen Planeten einzugehen“, veröffentlichte der angekettete Kalmus auf Twitter.

 

„Wir haben seit Jahrzehnten versucht euch zu warnen, jetzt steuern wir auf eine verdammte Katastrophe zu. Und wir werden immer noch ignoriert“, war Kalmus den Tränen nahe. „Wir werden alles verlieren. Und wir scherzen nicht. Wir lügen nicht. Wir übertreiben nicht.“ Auch die Bank war nicht zufällig ausgewählt. J.P. Morgan finanziert nämlich die meisten fossilen Projekte unter den Großbanken der Welt, zeigte eine Ende März 2022 veröffentlichte Studie.

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„Wir sind auf dem Weg in eine Klimakatastrophe“

Zwei Tage zuvor, bei der Präsentation des zweiten Teils des sechsten IPCC-Berichtes, fand bereits UNO-Generalsekretär Antonio Guterres klare Worte für die Klimakatastrophe. „Dieser Bericht ist eine Litanei gebrochener Klimaversprechen, er ist ein Dokument der Schande. Einige Regierungen sagen das eine und tun das andere – einfach gesagt – sie lügen. Wir sind auf dem Weg in eine Klimakatastrophe“, gab Guterres in einer Videobotschaft bekannt.

Für den Politilogen und BOKU-Professor Reinhard Steurer ist Guterres „einer der wenigen Politiker, der die Warnungen der Wissenschaft ernst nimmt und in eigene Worte fasst“, wie er gegenüber der APA sagt. „Natürlich bestärkt und legitimiert er damit jene Teile der Klimabewegung, die sich nicht mehr mit offenbar zu wenig wirksamen Stellungnahmen und Demonstrationen begnügen“, so Steurer.

Klimakrise wird zum Klimanotstand

Steurer selbst fand erst bei einer Medienveranstaltung Ende April klare Worte zum Thema „Scheinklimaschutz“ (wir berichteten). „Wir verarschen uns selbst. Gleichzeitig sind wir dabei, alle Ziele krachend zu verfehlen“, warnt Steurer. Dass nun auch Wissenschaftler:innen als globale Bewegung auf die Straße gehen und Protest-Aktionen planen, sei ein relativ neues Phänomen. Steurer ist aber nicht verwundert, „weil gerade sie genau wissen, dass die Klimakrise mittlerweile weiter in einen Klimanotstand eskaliert ist“, so der Experte zur APA.

Kalmus selbst riskierte mit der Aktion nicht nur seine wissenschaftliche und berufliche Karriere, sondern auch eine Verhaftung. Rund 100 Polizist:innen konnten ihn und drei seiner Kollegen schlussendlich von der Bank loslösen. „Ich hasse es, die Kassandra zu spielen [Figur der griechischen Mythologie, deren Weissagungen niemand glaubte]. Ich bin lieber zusammen mit meiner Familie und forsche“, schreibt Kalmus selbst in seinem Kommentar im Guardian. „Aber ich fühle mich moralisch verpflichtet, Alarm zu schlagen.“

„Wir verarschen uns selbst“: Ein Plädoyer gegen den „Scheinklimaschutz“

Klimajournalismus will nicht zu alarmistisch wirken

„Angesichts der Dringlichkeit der Krise zeigt Klimajournalismus konstruktiv Lösungen auf, ordnet diese kritisch ein und befähigt so zu einem informierten demokratischen Diskurs“, steht in der Charta des Netzwerks Klimajournalismus Österreich. Haben da solche Aktionen – man könnte sie als alarmistisch bezeichnen – überhaupt Platz?

Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler:innen vor den Folgen der Klimakrise. Probleme, aber auch Lösungswege sind bereits bekannt. Zur Umsetzung wäre ein bisschen Alarmismus und Aktivismus daher wohl nicht fehl am Platz.

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