Klimalösung? Energiekrise lässt Disput zur Atomkraft neu entflammen
In Österreich war die Atomkraft als Energiequelle auch in der Vergangenheit kaum ein Thema. Am fünften November 1978 fand die damals erste bundesweite Volksabstimmung der Zweiten Republik über die Inbetriebnahme des bereits erbauten Kernkraftwerkes Zwentendorf statt. Das Ergebnis war knapp aber wegweisend. Bei eine Wahlbeteiligung von 64,1 Prozent stimmten 50,5 der Wählenden gegen die Inbetriebnahme. Somit blieben die bereits eingelagerten radioaktiven Brennstäbe ungenutzt und in Österreich wurde 1978 das „Atomsperrgesetz“ vom Nationalrat verabschiedet.
Ausbau der Erneuerbaren
Was somit bereits seit mehr als 40 Jahren kein Thema mehr hierzulande ist, war anderswo niemals vom Tisch – und ist aktuell wieder präsenter denn je. Der Grund: Die Energiewende angesichts der Klimakrise. Allein Europa will bis 2050 die Klimaneutralität erreichen und damit der erste Kontinent sein, der diese Herausforderung schafft. Als Rüstwerk dienen dafür die Erneuerbaren Energien. In der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der Europäischen Union von 2018 wurde festgelegt, dass bis 2030 der Anteil der erneuerbarer Energien am Energiemix der EU auf der Grundlage nationaler Beiträge mindestens 32 % betragen soll. Dieser wurde laut den Angaben der EU 2020 mit einem projizierten Anteil erneuerbarer Energien von 33,1-33,7 Prozent bereits überstiegen.
Das ist auch notwendig, denn die Erneuerbare-Energien-Richtlinie wurde festgelegt, bevor sich die EU darauf einigte, bereits 2030 55 Prozent weniger Emissionen als 1990 emeritieren zu wollen. Somit müssen die Ziele angehoben werden. In dem Vorschlag zum „Fit for 55“-Maßnahmenkatalog nannte die EU den Wert von 40 Prozent als Anteil der erneuerbarer Energien am Energiemix der EU auf der Grundlage nationaler Beiträge.
Unabhängigkeit von Dritten gefordert
Doch auch wenn der Ausbau der Erneuerbaren Energien voranschreitet, ist die Erreichung der Klimaziele weiterhin ungewiss. So werden im Jahr 2021 nun gewisse Ängste diesbezüglich wieder wach. Europa befindet sich im Moment in einer Energiekrise. Die Gründe für diese sind vielfältig. Zu diesen zählen ein langer Winter, ein wind- und sonnenarmer Sommer, Lieferschwierigkeiten bei europäischen Gaslieferanten wie Norwegen, geringere Erdgaslieferungen von Russland und eine hohe Nachfrage aus Asien. Somit ist die Krise das Ergebnis verschiedener Komponenten. Gleichzeit aber ein Argument für die Befürworter:innen der Atomkraft.
So argumentierten zehn EU-Länder rund um Frankreich in einem offenen Brief an die EU-Kommission, dass die Kernenergie eine wichtige, erschwingliche, stabile und unabhängige Energiequelle sei, welche die Verbraucher:innen in der EU davor schützen könne, den Preisschwankungen ausgesetzt zu sein, wir berichteten. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Der Anstieg der Energiepreise hat auch gezeigt, wie wichtig es ist, unsere Energieabhängigkeit von Drittländern so schnell wie möglich zu verringern.“
Der offene Brief wurde anlässlich der in der nächsten Zeit erwarteten EU-Entscheidung zur „Green Finance Taxonomy “ versandt. Die Befürworterländer setzen sich dafür ein, dass die Energiegewinnung durch Atomkraft als grüne Investition im Rahmen der Europäischen Taxonomieverordnung kennzeichnen wollen. Zu den weiteren Unterstützern gehören Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Finnland, Ungarn, Polen, Slowakei, Slowenien und Rumänien.
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In dem aktuellen World Nuclear Report von 2021 verweisen die Autor:innen darauf, dass auch bei der Kernkraftwerk die Entwicklungen der Klimakrise zu beachten seien. So könnten höhere Außentemperaturen die Effizienz sinken lassen und Dürren könnten die Kühlwasserversorgung behindern. Man solle grundsätzlich lieber auf Erneuerbare als auf Kernkraft setzen, so das Resümee daher und Neubauten müssten entsprechend der Klimarisiken gesichert sein.
Atomkraft als Teil der Klimastrategie
Tatsächlich hat aber selbst der Weltklimarat im Zuge einer Konferenz des Weltklimarates der Vereinten Nationen in Berlin letztes Jahr im Mai bekannt gegeben, dass es ihrer Meinung nach neben den Erneuerbaren Energien, ebenfalls Investitionen in die Atomkraft und in sogenannte Kohlenstoffabscheidungstechnologien, zu englisch: Carbon Capture and Storage, zur Erreichung der Klimaziele brauche. Auch Großbritannien plant Investitionen in die Atomkraft im Rahmen der eigenen Klimastrategie. So soll noch vor der Wahl in Großbritannien im Jahr 2024 die Finanzierung und in weiterer Folge die Genehmigung eines Neubaus eines Atomkraftwerkes voran gebracht werden. Damit soll das Ziel des Landes, bereits 2035 keine Kohlenstoffemissionen mehr zu verursachen, eingehalten werden. So will das Land laut der aktuell vorgestellten Klimastrategie 120 Millionen Pfund, also rund 142 Millionen Euro, für die Entwicklung von Nuklearprojekten verwenden.Dazu gehören auch Small Modular Reactors (SMR), also Mini-Atomkraftwerke.
In diesen sieht auch Frankreich, als großer Vertreter der Atombefürtworter, eine potenzielle Lösung. Wie die französische Nachrichtenagentur afp in der letzten Woche berichtete, möchte der französische Präsident Emmanuel Macron, der sich bereits im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl nächstes Jahr befindet, den Fokus sowohl auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien legen, als auch auf den der sogenannten Mini-Atomkraftwerke. Diese können, so die Angaben der International Atomic Energy Agency (IAEA), die Gegenargumente der Atomkraft, nämlich „zu unsicher“ und „zu teuer durch lange Bauzeiten“ entkräften und wären dazu außerdem flexibler.
Weiter in Entwicklung
Im Moment allerdings trifft das zumindest noch nicht zu. So sind diese bisher noch primär in der Entwicklung. Nach Angaben der IAEA befinden sich derzeit 84 Reaktoren in 18 Ländern in der Entwicklung oder im Bau. Besonders in Russland, China, Japan und Argentinien sei der Prozess weit fortgeschritten.
Wie im Sommer 2021 bekannt wurde, soll im amerikanischen Bundesstaat Wyoming ein Mini-Natrium-gekühltes Atomkraftwerk gebaut werden, wir berichteten. Federführend sind dabei das von Microsoft-Gründer Bill Gates vor 15 Jahren gegründete Unternehmen Terrapower gemeinsam mit dem Energieversorger PacifiCorp in Wyoming.
In Europa gab Estland im Februar 2021 bekannt, das erste europäische Land sein zu wollen, welches ein Mini-Atomkraftwerk erbaut. Ob diese Pläne, bei den nun bekannt gewordenen Plänen Großbritanniens und Frankreichs, eingehalten werden können, wird sich zeigen.
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Kritik an SMR
Natürlich sind auch die Mini-Atomkraftwerke nicht frei von Kritik. Ein Kritikpunkt ist dabei die die Effizienz. Das deutsche Bundesministerium für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) hat die Small Modular Reactors in einer im März veröffentlichten Studie vom deutschem Öko-Institut untersuchen lassen. In dieser wurde dargelegt, dass es um den jetzigen weltweiten Energiebedarf zu decken, bis zu zehntausend SMR-Anlagen bräuchte. Auch seien bisher Punkte wie der Transport, Rückbau, Zwischen- und Endlagerung und die Sicherheit ungeklärt. In ihrem Gutachten bestätigen sie zwar die Aussage der IAEA, dass die SMR-Anlagen „potenziell sicherheitstechnische Vorteile“ gegenüber großen Kraftwerken hätten. Durch die hohe Anzahl der benötigten Reaktoren würde das Risiko durch diese allerdings steigen. So bräuchte es national- und international neue SMR-spezifische Sicherheitsstandards, so das Ministerium in einer Zusendung über die Gutachten.
Offen bleibt auch der Kostenfaktor. Eine Untersuchung des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts DIW ergab 2019, dass „keines der bisher über 600 weltweit gebauten Atomkraftwerke wettbewerbsfähig“ sei, würden sie nicht direkte und indirekte Subventionen erhalten. Die Kosten sollen durch die Verwendung der kleinen, modularen SMRs sinken. Inwiefern die Ergebnisse allerdings aussehen, wenn die Mengen entsprechend des Energiebedarfs hochskaliert werden, bleibt offen.
Somit braucht es auch bei den Mini-Atomkraftwerken weitere Forschungen. Das Zaubermittel, dass die Welt ohne weiteres in die Klimaneutralität bringt, sind sie nicht. Aber es gibt bereits Forschungen zur Verwendung von Thorium anstatt Uran, in China wird ein solcher Reaktor bereits gebaut, der Weiterverwendung von Atommüll als Energiequelle und der Kernfusion, wo kein Atommüll entsteht. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Technologie entwickelt und in welcher Geschwindigkeit. Denn mit der fortschreitenden Erderwärmung braucht es schon jetzt eine eine deutliche Reduzierung der emeritierten Emissionen.
Österreich positioniert sich gegen Atomkraft
Zumindest in Österreich ist allerdings bisher keine Entwicklung in Richtung pro Atomkraft abzusehen. So erweist sich die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler ( Die Grünen) als Vorreitern der Anti-Atomkraftbewegung in der EU und legte vor wenigen Wochen im September ein Rechtsgutachten vor, mit welchem sie nachweisen will, dass Atomkraft nicht als grüne Investition in der EU-Taxonomie eingestuft werden kann.
An dieser Haltung hat sich bisher auch nichts geändert, obwohl die Energie- und Gaskrise auch Österreich bereits erreicht hat. So steigen sowohl der Energiepreis-als auch der Gaspreisindex im Großhandel im Moment auf Rekordwerte.
Allerdings sieht Karina Knaus, Leiterin des Centers Volkswirtschaft, Konsument:innen & Preise der Österreichischen Energieagentur, darin eher eine Change für die Erneuerbaren Energien: „Ich würde sagen, dass die jetzigen Preisschwankungen das absolute Argument sind, sich weniger abhängig von den fossilen Energiestoffen zu machen (… ) Jetzt ist jedenfalls der Zeitpunkt zu sagen: Wir setzten auf Erneuerbare Energien.“
Das in Österreich an kalten Wintertagen das Gas zum Heizen ausbleibt, schließt die Expertin übrigens aus. „In Österreich sind wir ansich sehr gut aufgestellt. Wir haben eigene Konzepte zum Versorgungsstandard. In Österreich muss ein Gaslieferant, insbesondre wenn er Haushalte versorgt, schon vor der Heizsaison nachweisen, dass genug Gas langfristig vorhanden ist.“ Somit dürfte diese Angst, zumindest hierzulande, schon einmal vom Tisch sein.