Kritik aus der Start-up-Szene: „Wir überschätzen uns und klopfen uns zu sehr auf die eigenen Schultern“
Eigentlich könnte nach der Runtastic-Übernahme durch Adidas um 220 Millionen Euro alles eitel Wonne in Start-up-Österreich sein. Das “Laufwunder” auf den Titelseiten der Zeitungen, hunderte Berichte im Netz, Social-Media-Kanäle, die vor Freude übergehen. Das ist nicht alles, immerhin bringt der Deal frisches Kapital ins Land, das in neue Jungfirmen investiert werden könnte, und Österreich kann international eine deutliche Markierung auf die Innovations-Landkarte setzen.
Doch nicht für jeden scheint derzeit die Start-up-Sonne. „Hut ab vor dem Erfolg von Runtastic, das ist gute Werbung für den Standort. Aber mal ehrlich, wie viele assoziieren international Runtastic überhaupt mit Österreich?“, fragt Andreas Tschas, der mit dem Pioneers Festival die wichtigste Start-up-Konferenz des Landes mitgegründet hat und so jährlich hunderte Interessierte aus dem Ausland nach Wien lockt. „Wir überschätzen uns und müssen einen Realitäts-Check machen. Wir klopfen uns zu sehr auf die eigenen Schultern““, meint Tschas. „Andere Städte rollen bereits den roten Teppich für Start-ups aus, aber wir beschäftigen uns hier immer noch mit den Basics.“
Wien im Nirgendwo
Mitgrund seiner Aufregung ist unter anderem das aktuelle “Global Startup Ecosystem Ranking 2015”, das von Compass.co erstellt und veröffentlicht wurde. Der Report basiert unter anderem auf Daten aus 200 Experten-Interviews, einer Befragung von 11.000 Menschen in 40 verschiedenen Start-up-Ökosystemen und Reisedaten von etwa 35.000 IT-Unternehmen. Unter den Top 20 der wichtigsten Start-up-Hubs der Welt finden sind zwar europäische Städte wie London, Berlin, Paris und Amsterdam, aber nicht Wien. Bedenklicher ist aber, dass der Report Wien nicht einmal zu den aufstrebenden Hubs zählt, sondern stattdessen Barcelona, Brüssel, Kopenhagen, Dublin, Helsinki, Istanbul, Jerusalem, Madrid, Milan, Oslo, Rom, Stockholm, Tallinn und Warschau nennt.
„Die Politik macht sich zu wenige Gedanken über die Zukunft. Man muss verstehen, dass es eine absolute Notwendigkeit ist, ein funktionierendes Start-up-Ökosystem zu haben“, sagt Tschas. „Auf Regierungsebene ist Staatssekretär Harald Mahrer der einzige Player, der etwas aktiv bewegt. Start-ups müssten eigentlich wie in anderen Ländern Chefsache sein. Ich würde zu gerne die Sichtweise von z.B. Herrn Bundeskanzler Faymann zu diesem Thema wissen.“
In anderen Ländern sind Start-ups bereits zur Chefsache gemacht worden. US-Präsident Brack Obama empfing beim “White House Demo Day” Anfang August Jungunternehmer, um sie ihre Ideen vor versammelten Innovatoren aus dem ganzen Land pitchen zu lassen. In Großbritannien gibt es bei den “Pitch 10”-Events seit 2014 die Möglichkeit für Start-ups, ihre Produkte, Services und Geschäftsmodelle bei Premier David Cameron in der berühmten Downing Street zu präsentieren. Wie energisch andere Länder um ausländische Start-ups buhlen, zeigen ebenfalls die Beispiele USA und Großbritannien: Über die Schweizer Botschaft der Briten werden FinTech-Start-ups mit kostenloser Beratung geködert, um sie nach London zu holen, und der US-Bundesstaat Colorado gewährte dem Start-up ZenPayroll Steuererleichterungen im Rahmen von 19 Mio. US-Dollar, damit es sich in Denver ansiedelt.
Weggehen ist weiter attraktiv
Von der Vision, Österreich zum Gründerland Nummer 1 zu machen (die Botschaft “No Sleep Till Gründerland No 1” liest man mittlerweile auf T-Shirts), ist das Land weit entfernt. Große Investmentrunden kamen dieses Jahr oft von ausländischen Geldgebern (z.B. bei ChatGrape, Prescreen, mySugr, Bericht dazu hier), und Silicon Valley oder Berlin sind und bleiben ein Magneten, die heimische Start-ups anziehen. Eversport etwa ging diesen Sommer nach Berlin, Bitmovin nach San Francisco, und die beiden österreichischen Number26-Gründer wollten ihre FinTech-Firma lieber in der deutschen Hauptstadt aufbauen als in Wien.
“Bis Österreich ein echtes Gründerland ist, werden noch einige runtastische Sommer vergehen. Jeder, der sich mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzt, weiß das”, sagt Christoph Jeschke, Geschäftsführer der Initiative AustrianStartups. “Aber in letzter Zeit hat sich etwas verändert: Es gibt heute mehr Botschafter und politischen Willen als vor zwei, drei Jahren. Vor kurzem haben wir uns noch nach Politikern wie Renate Brauner, Sebastian Kurz oder Harald Mahrer gesehnt. Heute gestalten sie in ihrer Funktion das Start-up-Ökosystem mit.”
Veränderung brauche seiner Meinung nach Geduld. “Das ist für Unternehmer zwar hart zu akzeptieren, aber man kann schließlich nicht erwarten, dass die mangelnde Unternehmenskultur von heute schon morgen enthusiastische Zustimmung bei den Österreicherinnen und Österreicher findet.” Dass es einen Start-up-Zuständigen in der Regierung gibt, dass ein neues Crowdfunding-Gesetz beschlossen wurde, das seien erste, richtige Schritte und wichtiges Signale. “Klar ist aber auch: Die Politik ist dringend gefordert”, sagt Jeschke. “Die Initiative von einzelnen Personen ist schön, aber sie wird nicht reichen. Österreich scheint sich endlich in Sachen Start-up richtig orientiert und den ersten Schritt auf den richtigen Weg gesetzt zu haben; das Ziel der Reise ist aber noch weit entfernt.”