Interview

KSV1870-Chef: „Aktuell haben die Gläubiger Verständnis für eine Insolvenz“

Ricardo-José Vybiral, CEo der KSV1870 Holding AG. © Klaus Prokop
Ricardo-José Vybiral, CEo der KSV1870 Holding AG. © Klaus Prokop
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Die Bezeichnung „Zombie-Firma“ nimmt er nicht gerne in den Mund und spricht lieber von Unternehmen, die am Notstromaggregat hängen: Ricardo-Jose Vybiral, CEO des Kreditschutzverband von 1870 (KSV1870), befasst sich in der Corona-Krise noch mehr als ohnehin mit Unternehmensinsolvenzen.

Warum er die immer neuen Hilfsmaßnahmen der Regierung mit kritischem Auge sieht, warum er Unternehmen in zu baldigen Sanierungsverfahren rät und wie sich die Krise auf das Startup-Geschäft auswirkt, erläutert er im großen Interview mit Trending Topics.

Trending Topics: Sie haben als Kreditschutzverband die Ohren ganz nah am Markt. Wie ist die Lage?

Ricardo-Jose Vybiral: Ein Drittel der Unternehmer sagt, dass die Umsätze wieder steigen. Natürlich nicht auf das Niveau auf Prä-Corona, aber es sind die ersten Besserungen sichtbar. 50 Prozent der Firmen sagen, dass sie noch Liquidität für drei Monate haben. Bei der Insolvenzentwicklung darf man sich nicht täuschen lassen, weil die sind aktuell um 50 Prozent zurückgegangen. Letztes Jahr hatten wir 5.000 Insolvenzen im ganzen Jahr, also etwa 100 pro Woche. Derzeit sind es 50 pro Woche.

Wie das? Es müssten doch mehr sein?

Wir leben aktuell in einer Anomalie. Es gibt drei Gründe. Erstens, und das ist auch der Hauptgrund: Die österreichischen Gesundheitskassen und Finanzämter sind die stärksten Insolvenzantragssteller des Landes, weil die sehen, dass Sozialversicherungsbeiträge oder Steuern nicht bezahlt werden. Aber das wird aktuell nicht gemacht, zumindest man bis Mitte des Jahres. es gibt Gerüchte, dass das verlängert wird, und da haben wir massive Bedenken.

Der zweite Grund ist, weil viele Unternehmen in abwartender Haltung sind, verschiedene Hilfsmaßnahmen beantragt haben und teilweise auch bekommen haben. Der dritte Grund ist, dass die Insolvenzantragsfrist von 60 auf 120 Tage verlängert wurde. Das gibt Unternehmen mehr Luft zum Atmen, um Maßnahmen treffen zu können.

Von wie vielen Insolvenzen gehen Sie 2020 aus?

Es ist von Tag zu Tag schwieriger, sich hier festzulegen. Denn ich weiß nicht, ob die Insolvenzanmeldedauer auf 240 Tage verlängert wird, ob die Krankenkassen und Finanzämter weiterhin keine Insolvenzanträge einbringen werden oder ob es weitere Stundungen gibt. Jede Insolvenzprognose ist Kaffeesudlesen, aber verdoppeln werden sich die Zahlen wohl nicht.

Wie lautet ihr derzeitiger Rat an Unternehmen, die in Schwierigkeiten geraten sind?

Unser Appell ist: Mehr Mut zur Entschuldung, die 80 Prozent loswerden, das Verständnis der Gläubiger ist da.

Also besser in eine Insolvenz gehen?

Von den 5.000 Insolvenzen wurden in den Vorjahren etwa 2.000 mangels Masse abgewiesen. Das sind meist KMU, die einfach kein Geld mehr haben. Wenn wir aber heute die Unternehmen, die noch Werte haben, in einem Krisenflackern am Notstromaggregat künstlich am Leben erhalten, dann werden auch diese Werte verloren gehen.

Wir haben in Österreich aber die Möglichkeit eines Sanierungsverfahrens. Wer heute in Insolvenz geht – der Antrag kostet übrigens 4.000 Euro -, kann sich zu 80 Prozent entschulden und das Unternehmen weiterführen, anstatt alles zu liquidieren. Wenn man aber Unternehmen künstlich am Leben erhält, dann sind die nachher gar nicht mehr reparabel.

Sie haben Bedenken wegen der Hilfsmaßnahmen.

Derzeit überstürzen wir uns mit Geschenken aus dem Wiener Umfeld und aus der Bundesebene. Warum? Weil die Wien-Wahlen anstehen. Moratorien, Stundungsmöglichkeiten, Gutscheine für die Gastwirte werden aus dem Hut gezogen. wir müssen aufpassen, dass wir nicht in ein Giesskannen-Management kommen.

Die erste Phase, wie die Regierung vorgegangen ist, um schnell zu helfen und zu retten, war richtig. Aber in der zweiten Phase muss man sich überlegen, wie man selektiv und faktenbasiert vorgehen kann.

Sind die Maßnahmen des neuen Konjunkturpakets also gefährlich, weil sie die Probleme der Unternehmen auf die lange Bank schieben?

Es macht keinen Sinn, Unternehmen, die stark unter Wasser sind, noch etwas nachzuschießen. Bei der Vergabe muss man sich sehr genau ansehen, ob das Unternehmen mittelfristig Fortbestand haben kann. Investitionsfreibeträge werden ohnehin nur jene Unternehmen in Anspruch nehmen können, die halbwegs solide sind.

Sie raten also zur Entschuldung. Werden die Gläubiger da mitspielen?

Aktuell haben die Gläubiger Verständnis für eine Insolvenz. Vor COVID hatte die keiner, wir waren in einer Hochkonjunktur, es gab keine Probleme. Den Unternehmern kann man jetzt nicht vorhalten, falsch gewirtschaftet zu haben. Gläubiger haben also heute Verständnis für eine Sanierung. Eine Entschuldung hilft oft, weil sie einen großen Teil des Ballast wegnimmt.

Und: Es ist heute besser, dass Gläubiger noch 20 Prozent bekommen als später 0 Prozent.

KSV1870 ist auch im Startup-Business tätig und hat etwa in Nimbusec und Fincredible investiert. Sind Startups besonders von der Krise und von Insolvenzen betroffen?

Vor COVID hat man gesagt: Ein Viertel der Startups müsste in Insolvenz gehen oder liquidiert werden, weil es einfach keine Zukunft für sie gibt. Es gibt viele, die sich von einer in die nächste Finanzierungsrunde retten. Natürlich ist die Situation jetzt schwieriger geworden. Meine allererste Empfehlung an Startup-Gründer ist, mit den Bewertungserwartungen etwas runter zu gehen.

Welche psychologischen Effekte wird die Krise und viele Insolvenzen haben? Wird die Krise für mehr Neugründungen in Zukunft sorgen, oder werden die schon sehr Risiko-aversen Österreicher dann noch weniger Mut zum Gründen haben?

Das Gründertum wird nicht verschwinden. Ich würde mir in diesem Land aber mehr Gründer-Denke, mehr Startups wünschen, mehr Unterstützung wünschen. Gründer haben noch so viel Flexibilität und Agilität in sich, die wird auch nicht durch COVID zerstört werden. Das große Fragezeichen derzeit für mich: Einige meinen, dass Europa schneller aufstehen wird als andere Regionen. Aber in China wird wieder überproduziert, ich befürchte, dass Europa langsamer sein wird Die Finanzkrise von 2009 steckt den Unternehmern immer noch in den Knochen. Wir haben leider eine hohe Risiko-Aversität, wir verlieren PS.

In Österreich ist man immer noch stigmatisiert, wenn man einmal einen Bauchfleck hingelegt hat. Dann ist es deutlich schwerer, ein zweites Mal zu gründen.

Bei den reinen formalen Themen ist es natürlich schon hart. Natürlich wird es schwieriger, an Kredite zu kommen. Wenn jemand eine gute Idee hat, dann hören wir ihm mal zu. Da ist es sekundär, ob er schon mal insolvent war, und auch dann fragen wir: Warum ist er insolvent geworden? Nehmen Sie mal den Schokoladen-König Zotter her: Der sagt, dass er während seiner Insolvenz das meiste über Unternehmertum gelernt hat. Und heute denkt niemand mehr daran dass er mal in Konkurs war. Insolvenzen sind Chancen und Risiken. Aber eine gute Idee wird am Ende immer gewinnen.

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