Ladekabel: EU scheitert seit 2009 an Vereinheitlichung – das sind die Gründe
Die EU startet einen weiteren Anlauf, ein einheitliches Ladekabel in der Union durchzusetzen. Die Diskussion zieht sich schon seit Jahren, vor allem Apple gilt als Gegner der Vereinheitlichung. Diese ist nun aber ein Teil des neuen „Green Deals“ der EU und steht damit wieder auf der Agenda. Das Einsparungspotenzial in Sachen Elektronikschrott ist jedenfalls enorm.
Teil des Green Deals
„Die Kommission wird bewerten, ob mehr Transparenz in Bezug auf die Umweltauswirkungen elektronischer Kommunikationsdienste und strengere Maßnahmen beim Aufbau neuer Netze erforderlich sind, sowie die Vorteile von Rücknahmesystemen prüfen, die Anreize schaffen sollen, damit die Menschen ihre nicht mehr gewünschten Geräte wie Mobiltelefone, Tablets und Ladegeräte zurückgeben“, heißt es auf Seite 11 des Green Deals.
Damit greift das EU-Parlament ein Thema wieder auf, dass in den letzten Jahren immer wieder aufkam. Schon 2009 forderte der damalige EU-Kommissar Günter Verheugen eine Vereinheitlichung des Ladestandards. Einzig: Passiert ist seit bisher nur wenig. Zwar haben sich damals vierzehn führende Tech-Unternehmen zu einem Standard (microUSB bzw. USB Typ C) bekannt, allerdings nur auf Basis einer Absichtserklärung. Darin ist festgehalten, dass die Hersteller universell verwendbare Ladegeräte (also die Adapter für die Steckdose) beilegen und den Ladestandard vereinheitlichen. Die erste Forderung wurde erfüllt, heute passt jeder Ladestecker zu jeden Ladekabel.
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Android-Riege vs Apple
Samsung, Huawei, Xiaomi oder Sony – also im Grunde die gesamte Android-Fraktion – halten sich auch an den zweiten Teil der Absichtserklärung. Seit einigen Jahren erfolgt der flächendeckende Umstieg auf Typ C, mittlerweile verfügen sogar Budget-Smartphones über die einheitliche Ladebuchse. Mit Apple gibt es allerdings einen prominenten Abwesenden, der Tech-Riese aus Cupertino setzt weiterhin auf den eigenen Lightning-Standard. Laut dem EUObserver (einer unabhängigen Onlinezeitung, die über die EU berichtet), nutzt Apple ein kleines Schlupfloch: Das Memorandum erlaube es Herstellern, ihren eigenen Stecker zu verwenden, wenn sie prinzipiell einen Adapter dazu anbieten. Eine Lücke, die hinzugefügt wurde, um Apple aufzunehmen, wie ein späterer Beamter der Kommission feststellte, schreibt der EUObserver weiter.
Außerdem argumentiert Apple damit, dass die iPhones zu dünn wären, um einen Typ-C-Slot zu verbauen. Eine Ansicht, die nicht nur die EU-Kommission bezweifelt: „Apple hat behauptet, dass der USB-Typ-C-Anschluss für sein Smartphone zu dick wäre. Andere Hersteller verstehen jedoch nicht, warum der USB-Typ-C-Anschluss für Smartphones zu dick wäre. […] Wir würden sachliche Beweise begrüßen von Apple […], dass die Verwendung von USB Typ C in diesen Geräten unmöglich ist – wenn dies wirklich der Fall ist „, hieß es von einem Beamten. Nachdem höherpreisige Android-Smartphones kaum oder nicht dicker sind als die neuen iPhone-Modelle, wirkt das Argument zumindest fadenscheinig. Ein Beispiel: Das iPhone 11 Pro ist 8,1 Millimeter „dick“, das Galaxy Note 10+ von Samsung (mit Typ C-Anschluss) nur 7,9 Millimeter.
Auf der Schwerpunktliste der Plenarsitzung des EU-Parlaments vom 13. bis 16. Januar 2020 (die also diese Woche stattfindet), ist – wenn auch weit unten – der Punkt „Ein einheitliches Ladegerät für alle Mobiltelefone“ angeführt. Im Inhaltsverzeichnis heißt es dazu: „Der Elektronikschrott soll weniger und das Leben der Verbraucher leichter werden. Deshalb verlangen die Abgeordneten Ladegeräte, die für alle Mobiltelefone und andere tragbare Geräte passen.“
Tausende Tonnen Elektromüll
Im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft ist dieser Schritt auch überfällig. Die Europäische Kommission selbst schätzt, dass etwa 51.000 Tonnen Elektromüll im Jahr nur durch alte Ladegeräte- und Kabel entsteht. 2016 lag das Elektroschrott-Volumen laut dem E-Waste-Monitor 2017 bei 6,1 Kilogramm pro Kopf. Das Datenanalyse-Portal Statista prognostiziert auf Basis der Daten des E-Waste-Monitors 2017 einen Anstieg des Elektroschrotts pro Kopf auf 6,8 Kilogramm.
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Die EU erkannte die Schwächen des Memorandums schon davor. „Study on the Impact of the MoU [das Memorandum of Understanding, Anm.] on Harmonisation of Chargers for Mobile Telephones and to Assess Possible Future Options“ hieß eine 2014 in Auftrag gegebene Studie. Darin heißt es:
„Die erwarteten Einsparungen beim Rohstoffverbrauch scheinen jedoch nicht eingetreten zu sein, aufgrund der sehr begrenzten Entkopplung von Mobiltelefonen von ihren Ladegeräten. Nur 0,02% der EU-Sendungen von 2011 bis 2013 wurden ohne Netzladegerät geliefert. In dieser Hinsicht hätte die Wirksamkeit der Absichtserklärung mit Maßnahmen zur verstärkten Förderung der Entkopplung verbessert werden können […]“.
Allerdings ist laut dem Bericht ein Rückgang der Verkaufszahlen von Standalone-Ladegeräten zu verzeichnen gewesen. Die damit verbundene Reduzierung des Verbrauchs an Rohstoffen schätzt die EU demnach auf rund 400 bis 1.300 Tonnen (2011-2013). Warum die EU die Entkopplung (also den Verkauf von Smartphones ohne Ladegeräte) nicht stärker kontrolliert oder gefördert hat, geht aus dem Bericht nicht hervor. Einzelne Abschnitte, beispielsweise über politische Lösungen, sind auch schon veraltet – die EU sprach 2014 (dem Erscheinungsjahr des Studie) beispielsweise noch sehr oft von der microUSB-Technologie als möglichen Standard.
Auswirkungen auf die Umwelt
Die MoU-Studie aus 2014 geht auch auf mögliche Auswirkungen auf die Umwelt ein. Inwieweit sich eine weitere Harmonisierung des Ladestandards auf die Umwelt auswirkt, hänge demnach davon ab, inwieweit sich der Verkauf von Ladegeräten von den Märkten für neue Geräte entkoppelt. Für die Studie entwickelten die Studienmacher zwei theoretische Szenarien, die unterschiedliche Grade der Entkopplung modellieren.
- Szenario 1: 2 Prozent der Geräte werden ohne Ladegerät verkauft.
- Szenario 2: 50 Prozent der Geräte werden ohne Ladegerät verkauft.
Das Resultat: In Produktsektoren, die sich durch hohe Innovation und kurze Produktlebenszyklen auszeichnen, könne die 50-Prozent-Quote wahrscheinlich nie erreicht werden. Anhand von Schätzungen des Studienteams zur Marktgröße und Grundhäufigkeit von microUSB-Kabeln (inklusive Handys, E-Reader, Digitalkameras und Camcorder, tragbare Mediaplayer, Sport und Aktivitätsmonitore, persönliche Navigationsgeräte, tragbare Spielekonsolen und Körperpflegeprodukte) errechnete das Team allerdings, dass sich bei Szenario 1 300 Tonnen und bei Szenario 2 (50 % Entkopplung) 7.600 Tonnen Elektromüll einsparen lassen.
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Zur Methodik: Szenario 1 basiert auf einer Extrapolation des Entkopplungstrends für Handys von 2014 und Szenario 2 wird als die höchstmögliche Rate auf der Grundlage der durchschnittlichen Eigentumsmenge an Geräten und geschätztem Ladeverhalten der Verbraucher. Anzumerken ist allerdings, dass die Marktsituation von 2014 kaum mit der von heute vergleichbar ist: USB Typ C wurde gerade erst vorgestellt und neben dem microUSB-Standard waren auch noch verschiedenen proprietäre Lösungen verfügbar. Warum bis heute nichts davon umgesetzt wurde, bleibt dennoch offen. Vor allem die beigelegten Ladestecker werden in den letzten Jahren allerdings immer leistungsfähiger. Neue Stecker laden mit bis zu 40 Watt (und wohl bald darüber), ältere Geräte können mit so viel Stromstärke gar nicht umgehen – und umgekehrt genauso. Bei Kabeln ist dieses Problem geringer.
Unklare Zukunft
Im Zeitraffer sieht die Situation letztlich folgendermaßen aus: 2009 unterzeichneten 14 Hersteller von Smartphones – inklusive Apple – das Memorandum of Understanding, also die freiwillige Selbsterklärung, auf einen einheitlichen Standard zu setzen. Diese Vereinbarung wurde 2013 und 2014 erneuert, damals sogar unter Berücksichtigung der weiter oben herangezogenen Studie – die EU weiß also, woran es scheitert. Nur: Ein einheitlicher Ladestandard hat sich bislang trotzdem nicht durchgesetzt.
Heute fordern EU-Parlamentarier wieder die Vereinheitlichung: „Wie lange wird es noch dauern, bis die EU-Kommission einsieht, dass die Industrie das Problem nicht von selber lösen wird?“, fragte zuletzt beispielsweise SPD-EU-Politikerin Evelyne Gebhardt, immerhin Mitglied im Verbraucherschutz-Ausschuss. Man dürfe sich nicht auf eine „Hinhaltetechnik der Lobbyisten“ einlassen. Das klingt allerdings ganz ähnlich wie schon vor rund neun Jahren.