Lead Today. Shape Tomorrow: Sexismus im VC-Ökosystem und toxische Hustle Culture im Fokus
Am 11. und 12. Oktober 2023 fand im Odeon Theater in Wien die fünfte „Lead Today. Shape Tomorrow.“-Konferenz statt. Diese von den Female Founders organisierte Veranstaltung lockte nicht nur eine vielfältige Gruppe von Teilnehmenden an, sondern zog auch eine breite Palette von Startups, Investor:innen und führenden Persönlichkeiten aus dem Innovationssektor an. Diese vielschichtige Zusammenkunft bot eine spannende Gelegenheit zum Ideenaustausch und zur gemeinsamen Arbeit an einer inklusiven Zukunft für das Unternehmertum.
Wir von Trending Topics waren auch eingeladen und haben zwei spannende Paneldiskussionen mitverfolgen können. Vor Ort wurden zwei Schlüsselfragen erörtert: Warum verlassen so viele Frauen das VC-Ökosystem? Und ist „Hustle Culture“ im Bereich des unternehmerischen Erfolgs wirklich das Allheilmittel?
„Redefining the Status Quo in European Tech“
„Der ungleiche Status quo hat zu einer Welt geführt, die vor größeren Herausforderungen steht als je zuvor. Technologie und Innovation sind zweifellos entscheidend, um bei der Bewältigung dieser Herausforderungen voranzukommen, aber der aktuelle Status quo in diesem Bereich funktioniert nicht. Technologische Lösungen und innovative Ideen müssen von verschiedenen Gruppen von Menschen entwickelt werden, um der vielfältigen Weltbevölkerung zu helfen”, beschreiben die Female Founders die Vision hinter der Veranstaltung.
Die diesjährige Konferenz stand unter dem Motto „Redefining the Status Quo in European Tech“. Darum hat der diesjährige LTST Startup Pitch-Wettbewerb vor allem genderdiverse Gründer:innen aufgerufen, ihre Ideen vorzustellen, die durch verschiedene Perspektiven entstanden sind und somit mit ihren Beiträgen den innovativen Ansatz zu unterstreichen, den Inklusion in das Technologie- und Innovationsumfeld bringt.
Warum das VC-Ökosytem Frauen verjagt und was man dagegen tun kann
Eine Diskussionsrunde, die das Thema treffend aufgriff, war zweifelsohne „Toxic Culture in VC – Why Are So Many Women Leaving the Industry?“. Sie brachte die vermehrte Abwanderung von Frauen aus der Venture-Capital-Branche aufgrund toxischer Arbeitskulturen in den Fokus. Moderatorin Nina Wöss eröffnete die Diskussionsrunde, indem sie die Diskrepanz zwischen Männern und Frauen in europäischen Venture-Capital-Firmen aufzeigte. Sie verwies auf Zahlen, die bereits in einer freiwilligen Studie teilnehmender VCs erhoben wurden, und betonte, dass die Lage in Wirklichkeit noch besorgniserregender sei.
Schließlich ging sie auf einen Artikel der Teilnehmerin Miriam Partington ein, die für die die Medienplattform Sifted arbeitet. In ihrem Artikel erzählen Frauen, warum sie immer mehr Frauen die VC-Branche in Europa verlassen (möchten). Partington beschrieb zu Beginn der Diskussion, wie sie und ihr Team das Thema überhaupt aufgegriffen hatten: „Ich möchte unterstreichen, dass dieser Artikel das Ergebnis eines langjährigen Berichterstattungsprozesses ist. Wir haben über drei Jahre hinweg die Erfahrungen von Menschen in der VC-Branche verfolgt, Einblicke hinter die Kulissen gewonnen und Fakten beleuchtet. Es ist besonders wertvoll, ein Netzwerk von Menschen zu haben, die bereit sind, offen und ehrlich mit Journalist:innen zu sprechen. Im vergangenen Jahr haben wir während unserer Berichterstattung über den Rückzug von Frauen aus der VC-Branche zahlreiche E-Mails und Nachrichten über Plattformen wie WhatsApp erhalten. Diese Nachrichten behandelten die aktuellen Herausforderungen, denen Frauen gegenüberstehen. Wir begannen, all diese Informationen zu sammeln und stellten fest, dass sich ein erkennbarer Trend abzeichnete. Der Artikel wird trotz positivem Feedback von vielen nicht ernst genug genommen, da die Frauen im Artikel nur anonym mit uns sprechen wollten.”
„Culture of psychological safety“
Triin Linamagi, Gründungspartnerin von Sie Ventures, brachte eine gänzlich andere Perspektive ein. Sie rief dazu auf, mehr Geduld zu haben und die Motivation zu bewahren. In diesem Zusammenhang führte sie an, dass viele Frauen in der Branche, die sie kennt, oft das Gefühl hätten, Projekte mit echtem Impact zu vermissen, was eben zu “Frustration und weniger Motivation” führe.
Dennoch benannten beide auch Faktoren, die die Branche „toxisch“ machen könnten. So würde „die Abwesenheit von klaren Organisationsstrukturen und die Schnelligkeit des Arbeitsumfelds“ die Arbeitskultur oft negativ beeinflussen. Miriam Partington erwähnte hierbei den Mangel an einer „culture of psychological safety“ und führte dies auf die fehlende HR-Abteilung und Feedback-Mechanismen zurück.
Die Diskussion mündete in diversen Lösungsvorschlägen: Triin Linamagi betonte die Notwendigkeit von Kooperationen zwischen Gründer:innen und VCs, die Diversität schätzen. Sie rief Frauen dennoch erneut dazu auf, in Zukunft „selbstbewusster und sichtbarer“ aufzutreten und sich von erfahrenen weiblichen VCs unterstützen zu lassen. Felix Faltin schlug vor, klare Ziele und Quoten zur Förderung der Diversität festzulegen. Er ermutigte Frauen, von Anfang an “nicht mit Arschlöchern zusammenzuarbeiten”. Miriam Partington betonte abschließend, dass die einzige Möglichkeit zur Verbesserung darin bestehe, die Probleme weiterhin öffentlich anzusprechen und zu thematisieren.
Warum Hustle Culture nicht immer der Schlüssel zum Erfolg sein kann
In der auf die vorherige Diskussion folgenden Runde, die den Titel „Beyond Business – Is There More to Entrepreneurial Success Than Hustle Culture?“ trug, wurde ein tiefgehender Blick auf die verschiedenen Aspekte des unternehmerischen Erfolgs geworfen. Die Diskussionsrunde wurde von Natascha Fürst moderiert, einer Expertin für Klima- und Geschlechtergerechtigkeit. An dieser Diskussion nahmen international bekannte Gründerinnen teil, darunter Kosima Kovar von Ada Growth, Andrena Woodhams von Yinbound LLC, Lily Kruse von HealthCaters und Chanyu Xu von HER ONE. Die Hauptfrage, um die sich die Gespräche drehten, war, ob der Erfolg als Unternehmer:in ausschließlich von der sogenannten „Hustle Culture“ abhängt oder ob es noch andere entscheidende Faktoren gibt.
Die Moderatorin eröffnete die Diskussion und beleuchtete den wenig bekannten Ursprung des Begriffs „Hustle Culture“. Sie erklärte, dass der Ausdruck ursprünglich aus einem Hip-Hop-Song stammt, der das Leben eines „Hustlers“ beschreibt, der durch Ausbeutung und Drogenhandel Geld verdiente. Dieser Lebensstil wurde als „Hustle“ bezeichnet. Die Hustle Culture am Arbeitsplatz konzentriert sich hauptsächlich auf Produktivität, Ehrgeiz und Erfolg und vernachlässigt oft die Bedeutung der Erholung.
„40 Stunden als Gründerin unrealistisch“
Die Moderatorin stellte den Teilnehmerinnen schließlich die Frage nach ihrer Definition von Erfolg, und die Antworten reichten von Zufriedenheit und Gewissheit bis hin zur Betonung von Auswirkungen auf das eigene Leben und das Leben anderer. Welche Rolle “Hustle Culture” beim Erfolg spielen kann und warum es ihr selbst schwer fällt, nicht daran teilzunehmen, erzählte Ada Growth-Founderin Kosima Kovar: „Das Rezept, um nicht mehr zu hustlen, habe ich leider nicht. Ich komme gerade von einer anderen Veranstaltung. Nach dieser Veranstaltung gehe ich zu einer weiteren. Als Founderin kann ich sagen, dass Arbeitszeiten von 40 Stunden pro Woche und fünf Wochen Urlaub im Jahr in einem konsanten internationalen Wettbewerb nicht realistisch ist.”
Der unsichtbare Hustle von Frauen
Im Laufe der Diskussion rückte Fürst das Thema mentale Gesundheit von Frauen in den Vordergrund und betonte: „Das Problem besteht oft darin, dass der Einsatz für Frauen anders ist als der Einsatz für Männer. Frauen tragen oft unsichtbare Verantwortungen wie die Pflege- und unbezahlte Arbeit, die die Gesellschaft am Laufen hält.“
Daraufhin ging auch Chanyu Xu von HER ONE speziell auf das Thema Frauengesundheit ein, das in der Arbeitswelt jahrzehntelang ignoriert wurde. Sie äußerte sich mit den folgenden Worten dazu: „Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde alles rund um die Menstruation, den Menstruationszyklus oder Hormone belächelt. Dass man mit Schmerzen nicht alles geben kann wird bis heute nicht ernst genommen. Wir haben erst kürzlich im Deutschen Bundestag gesehen, dass Endometriose nicht als wertvoll genug erachtet wurde, um einige Millionen öffentlicher Ausgaben zu rechtfertigen.“
Weniger sozialer Druck und nicht immer erreichbar sein müssen
Im Anschluss sprachen die Gründerinnen darüber, wie sie gelernt haben, sich vor Hustle Culture zu schützen. Andrena Woodhams, die über ihre Erfolge in der Fernsehwelt sprach, erzählte: „Trotz meiner großen Erfolge in der Fernsehwelt habe ich 20 Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass Erfolg bedeutet, sich nicht von externen Faktoren definieren zu lassen. Oftmals sehen wir, wie Menschen unter dem sozialen Druck leiden, so viel wie möglich zu arbeiten, um etwas Besonderes zu erreichen. Dieser Druck kommt oft von außen. Es ist jedoch wichtig, sich daran zu erinnern, dass es nicht schlimm ist, wenn man diese Ziele nicht erreicht.“
Kosima Kovar betonte: „Für mich geht es bei dem Thema vielmehr darum zu verstehen, wie ich ein Gleichgewicht finden kann. Ich habe herausgefunden, dass es hilfreich ist, in langfristigen Dimensionen zu denken. Ein Marathon ist es, kein Sprint. Mein Ziel ist, langfristig einen erheblichen Einfluss zu haben. Dazu muss ich gesund bleiben. Es nützt niemandem, wenn mein Einfluss nur von kurzer Dauer ist. Ich versuche meinem Team zu vermitteln, dass es in Ordnung ist, nicht ständig erreichbar zu sein. Wenn ich jemanden auf Slack nicht erreiche, ist das in Ordnung. Wenn es wirklich wichtig ist, werde ich anrufen. Wir sind ständig erreichbar und schalten nicht ab. Das kann man ändern und sich selbst entlasten.“
Mitarbeiter:innen mehr vertrauen
Auf die Frage, welche Verhaltensweisen verlernt werden sollten, um der Hustle Culture entgegenzuwirken, erklärte Lily Kruse, Gründerin von HealthCaters, dass sie erkannte, wie ihr ständiges Mikromanagement ihrer Mitarbeiter:innen und am Ende auch sie selbst belastete. Daher traf sie die Entscheidung, „nicht alle aber viele Dinge auf ihre eigene Weise entwickeln zu lassen“. Sie unterstrich die Bedeutung des Vertrauens in die Fähigkeiten anderer. „Es ist in Ordnung, wenn nicht alles perfekt und strukturiert ist. Dieser Ansatz half mir dabei der Hustle Culture besser zu begegnen. Ich kann nicht immer überall sein und das ist auch gut so.“ Abschließend sagte Chanyu Xu: „Als jemand, der zuvor Unternehmen gegründet hat, die gescheitert sind, rate ich allen keine Angst vor dem Scheitern zu haben. Manchmal gewinnt man und manchmal verliert man eben. Am Ende lernt man aus seinen Fehlern.“
Fazit
Die Konferenzbotschaft ist eindeutig: Eine inklusive Zukunft benötigt Diversität und Vielfalt. Bei der kommenden Konferenz sind mit Sicherheit alle willkommen, die dazu beitragen möchten, die europäische Technologie- und Innovationsbranche für jedermann inklusiver und zugänglicher zu gestalten.