Leben im Müll: Oktopusse nutzen Abfall als Unterschlupf
Wenn ein Oktopus Gefahr wittert, versteckt er sich normalerweise in einer verlassenen Muschel oder dem verlassenen Haus einer Meeresschnecke. Der Unterschlupf ist dem Meeresbewohner so wichtig, dass er ihn sorgfältig auswählt und immer mit sich herumträgt. Das ist seit langem bekannt.
Doch inzwischen sind die Meere überschwemmt vom Müll der Menschen. Laut einem Bericht des UN-Umweltprogramms Unep gelangen jährlich allein elf Millionen Tonnen Plastikabfall in die Ozeane. Andere Studien kommen sogar auf noch höhere Werte. Hinzu kommen andere Arten von Abfall, welches statt ordnungsgemäß entsorgt, in den Meeren landen.
Das wirkt sich auf das Ökosystem Meer und all seine Bewohner entsprechend aus. So auch auf den Oktupus. Wie Forscher:innen der Universität Rio Grande in Brasilien nun herausfanden, hat dieser teilweise sein Verhalten bereits an die neuen Umstände angepasst. Anstatt in Muscheln, verstecken sich die Weichtiere inzwischen in Müll.
Oktopoden passen sich an Umstände an
Für die Studie, die im „Marine Pollution Bulletin“ erschien, analysierten die Forscher:innen 261 Amateuraufnahmen von Oktopussen und ihrem Umgang mit Abfall. So konnten die Expert:innen 24 Spezies bestimmen, die sich bereits an die Umstände angepasst hätten. Sie nutzen Glasflaschen, Dosen, Rohre oder Plastikbehälter als ihr neues Heim.
„Oktopusse können sich extrem schnell anpassen“, sagt Studienleiterin Maria Proietti in einem Interview mit dem Guardian. „Es sind sehr intelligente Tiere und sie nutzen alles, was sie zur Verfügung haben, um sich vor Angreifern zu schützen.“ Dabei schienen die Oktopoden nicht kaputte Gefäße zu bevorzugen, besonders beliebt war dunkles oder milchiges Glas. „Während sich diese Anpassung positiv für die Tiere auswirkt, weil sie dadurch mehr Unterschlüpfe finden, ist die Anpassung in Wahrheit nicht gut. Denn der Müll ist nur ein Ersatz für die Muscheln, die immer weniger werden“, warnt Proietti.
Oktopus schützt sich mit Bierdosen vor Angreifern
Die Autor:innen fügen an, dass etwa der neu entdeckte Pygmäen-Oktopus (Paroctopus cthulu) bisher nur mit einer Müll-Behausung angetroffen werden konnte. Meistens nutzen diese Tiere dafür Bierdosen, die regelmäßig von Touristenbooten geworfen werden. Es gebe bisher keine offiziellen Aufnahmen dieser Art, die einen natürlichen Schutz wie Muscheln einsetze.
Takeaway-Verpackungen machen 44 Prozent des Plastikmülls im Meer aus
Der Oktopus, der am häufigsten mit Müll in Kontakt kommt und ihn auch nutzt, scheint der Kokosnuss- oder Aderoktopus (Amphioctopus marginatus) zu sein. Diese Art hält mit ihren Armen eine Muschel oder Kokosnuss über ihren Kopf, während sie sich mit zwei ihrer Arme weiter über den Meeresboden bewegt. Dieses Verhalten wird von einigen Forschern als primitive Werkzeugnutzung interpretiert. Dass dieser Oktopus nun auch Müll als Werkzeug nutzt, ist ebenso naheliegend wie traurig.
Plastik-Abfall in Ozeanen ist ein Problem
Wie viel Müll der Mensch genau in den Meeren entsorgt, ist schwer zu sagen. Während in dem Bericht des UN-Umweltprogramms Unep von jährlich allein elf Millionen Tonnen Plastikmüll in den Ozeanen ausgegangen wird, kam eine Meta-Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) im Auftrag der Umweltschutzorganisation WWF zu einer Schätzung von 19 bis 23 Millionen Tonnen Plastikmüll, welche jährlich über Land in die Gewässer gelangen.
Eine Studie aus dem Jahr 2021 geht davon aus, dass allein medizinische Produkte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie für 25.000 Tonnen Plastikmüll in den Ozeanen sorgen. Die NASA verfolgt sogenannte „Plastikstrudel“ bereits mit Satelliten, um zu berechnen, wie viel Müll sich in den Weltmeeren befindet (wir berichteten). Daran leiden natürlich auch die Meeresbewohner: So berechnete eine im Jahr 2018 im Fachblatt „nature“ erschienene Studie, dass Meeresschildkröten mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit sterben, sobald sie 14 Plastikteile in ihrem Verdauungstrakt haben.
Hoffnung durch globales Plastikabkommen
Es gibt aber auch Lösungsansätze, die die Weltmeere vom Plastikmüll befreien könnten. So wird etwa Künstliche Intelligenz eingesetzt, um Plastikmüll auf Satellitenbildern zu entdecken (wir berichteten). Die Organisation The Ocean Cleanup „fischt“ bereits jetzt mit Schleppnetzen an der Meeresoberfläche nach Plastik und Roboter könnten künftig den Meeresboden von Müll befreien.
Die wohl wichtigste Maßnahme wurde aber erst vor kurzem in die Wege geleitet: Die Umweltversammlung der Vereinten Nationen verständigte sich kürzlich auf ein globales Plastikabkommen (Tech & Nature berichtete). Dieses könnte in Zukunft dafür sorgen, dass gar nicht erst so viel Müll in den Ozeanen landet. Und vielleicht steigen die Oktopusse dann wieder auf Muschelschalen um.