Lieferkettengesetz: Bürokratiemonster vs. Durchbruch für Menschenrechte und Klima
Warum braucht es das EU-Lieferkettengesetz? Es soll Unternehmen dazu verpflichten, in ihrer gesamten Lieferkette darauf zu achten, die Menschenrechte von Beschäftigten und unsere Umwelt zu schützen. Morgen, am 09. Februar soll das neue Gesetz offiziell auf EU-Ebene durch Abstimmung beschlossen werden – nach jahrelanger Verhandlung. Nicht aber, wenn Österreich und Deutschland blockieren.
Lieferkettengesetz: darum geht es grundsätzlich
Es gibt viele Lieferketten von Produkten, die, bevor das Produkt letztendlich im Handel in den Regalen landet, nicht unter optimalen Bedingungen dort hinkommen. Dabei geht es teilweise um Kinderarbeit, ausbeuterische Löhne, Raubbau an der Umwelt oder eine klimaschädliche Produktion. In der Praxis betrifft das zum Beispiel die Produktion von Kleidung oder das Ernten von Rohstoffen, die anschließend weiterverarbeitet werden. Um dem in Zukunft Einhalt zu gebieten und weder Mensch noch Natur zu schaden, sollte ein EU-weites Lieferkettengesetz eingeführt werden.
Diese Regeln sollen beim Lieferkettengesetz gelten
Im EU-Gesetzesentwurf von 2022 schrieb die EU-Kommission: Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, zu ermitteln, ob in der Lieferkette ihrer Produkte die Menschenrechte verletzt oder die Umwelt schädigt. Sei dies der Fall, hätten sie dafür Sorge zu tragen, negative Tätigkeit zu verhindern, abzustellen oder zu vermindern.
Die aktuelle Fassung des Lieferkettengesetzes sieht folgendes vor: Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen (Nettoumsatz ab 150 Millionen Euro) bzw. Unternehmen in Risikosektoren wie Textilunternehmen oder Nahrungsmittelproduzenten mit mindestens 250 Mitarbeiter:innen (40 Millionen Euro Umsatz) sollen sich an die „Richtlinie der Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit” halten. Für Zweitere soll die Regel erst zwei Jahre später gelten. Zusätzlich müssen die Firmen sicherstellen, den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen durch ihre Geschäftstätigkeiten zu reduzieren. Wer sich nicht an die Richtlinien hält, soll zivilrechtlich belangt werden können.
Wirtschaftsnahe Parteien und Lobbies sehen ein Bürokratiemonster
Die finale Gesetzesversion müsste eigentlich nur mehr vom Ausschuss der ständigen Vertreter:innen der EU-Mitgliedstaaten bestätigt werden. Die Grünen haben bereits öffentlich zugestimmt. Doch in den letzten Tagen vor der Abstimmung meldeten sich wirtschaftsnahe Lobbyverbände zu Wort. Und: Wirtschaftsminister Martin Kocher und die deutsche FDP stellen sich gegen das Gesetz. Von Gegnern wie der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer wird es als Bürokratiemonster bezeichnet. Sie fürchten eine Lähmung im internationalen Wettbewerb. Es sei unmöglich, für ein einzelnes Unternehmen, Nachweise zu sämtlichen Produktionsbedingungen zu erbringen. Österreichische Unternehmen könnten nicht die Aufgaben von Behörden und Gesetzgebern anderer Ländern übernehmen, daher fordern sie praxistaugliche Regeln der EU.
Kochers postet dazu auf LinkedIn: „99,6% der österreichischen Wirtschaft sind KMU. Es besteht die Gefahr, dass kleine und mittlere Unternehmen weltweit aus internationalen Lieferketten gedrängt werden, was Europas Position in der Weltwirtschaft schwächt. Daher werde ich mich für Verbesserungen im Kompromisstext einsetzen, um eine umsetzbare Lieferkettenrichtlinie zu erreichen.” Kocher will neue Verhandlungen auf EU-Ebene will. Auch die Neos und FPÖ sprechen sich gegen die aktuelle Fassung des Lieferkettengesetzes aus, wie der Standard berichtete.
Position der Befürworter: Es geht um Menschen, Klima- und Umweltschutz
Die Seite „Pro Lieferkettengesetz” möchte die Interessen der Großkonzerne nicht über die Menschenrechte und den Fortschritt stellen. Den Grünen nach sollen zehntausende EPU und KMU in Österreich, die jetzt schon sozial und ökologisch nachhaltig wirtschaften, vom neuen Gesetz profitieren. Man sehe eine Chance, „verbindliche Mindeststandards für große Unternehmen in der EU und deren Zulieferbetriebe einzuführen und damit auch den Profit durch Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU zu unterbinden“, so die AK-Oberösterreich.
Einer Arbeiterkammer-Studie nach solle ein wirksames und verbindliches Lieferkettengesetz tendenziell die Position der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken – sowohl im globalen Süden als auch in der EU. Aber auch viele Unternehmen wie IKEA Österreich, Oekostrom AG, VBV-Vorsorgekasse, Vöslauer und viele andere forderten die Umsetzung des Lieferkettengesetzes ein.
Abstimmung auf EU-Ebene wird entscheiden
Der Lieferkettengesetzesentwurf, so wie er aktuell aussieht, wurde über Monate hinweg verhandelt. Auch Österreich war bei den Verhandlungen auf EU-Ebene „intensiv” beteiligt, wie Kocher betont. Obwohl zahlreiche der Richtlinien schwammig formuliert sind, sehen Befürworter:innen im Lieferkettengesetz dennoch einen Durchbruch für den Schutz von Menschenrechten und Klima. Für den Beschluss des Gesetzes ist morgen, am 08. Februar 2024, eine qualifizierte Mehrheit im Ausschuss der Ständigen Vertreter:innen der EU-Mitgliedsstaaten nötig.