Livin Farms: 2018 ist das Jahr, in dem sich Insekten als Nahrungsmittel durchsetzen könnten
Mehlwürmer, Buffalowürmer, Grillen oder Grashüpfer: Wenn Insekten in Europa kredenzt werden, dann hat das meistens noch mit einer Mutprobe zu tun. Für zwei Milliarden Menschen auf dem Planeten hingegen stehen Käfer längst regelmäßig auf dem Speiseplan. In Europa könnte sich das auch bald ändern. Startups und eine 2018 in Kraft getretene EU-Verordnung könnten dafür sorgen, dass sich Krabbeltiere als Alternative zu Huhn, Schwein oder Rind bald viel häufiger auf Speisekarten und in Kühlschränken finden.
Das Startup Livin Farms der beiden österreichischen Gründerinnen Katharina Unger und Julia Kaisinger etwa bietet Konsumenten mit „The Hive“ eine Mehlwurm-Farm für Zuhause an. Pro Woche soll man mit dem Brutkasten für die Käfer zwischen 200 und 500 Gramm sehr proteinreiche Nahrungsergänzung züchten können. Der Geschmack: neutral bis nussig. Um rund 800 Dollar kann man sich „The Hive“ in Europa, USA, Kanada, Mexiko, Australien und einigen asiatischen Ländern ordern und selber zum Insektenzüchter werden.
Gegründet 2015, wurde Livin Farms in den HAX-Accelerator für Hardware-Startups in Shenzhen, China, aufgenommen, und sammelte anschließend mehr als 145.000 Dollar bei einer Kickstarter-Kampagne ein. Anfang 2018 tritt das Startup bei „2 Minuten 2 Millionen“ an, um Investoren von der Idee und vom Produkt zu überzeugen.
Ekel und Gesetze als Wachstumsbremsen
Gute Gründe für Insekten als Alternative zu Fleisch gibt es einige. Einer UN-Studie zufolge brauchen Insekten nur zwei Kilogramm Futter, um ein Kilo essbares Gewicht zu erzeugen, während Schweine die vierfache Menge, Rinder gar die zwölffache Menge an Futtermittel benötigen. Insekten produzieren außerdem weniger Treibhausgase und benötigen weit weniger Bodenfläche zur Zucht. Manche Befürworter sehen die Krabbeltiere sogar als Möglichkeit, die Menschheit künftig mit ausreichend Proteinen ernähren zu können.
Doch einfach ist die Angelegenheit nicht. Zum einen sind es Konsumenten in den USA oder Europa einfach nicht gewöhnt, Insekten zu essen – noch herrscht Skepsis und Ekel vor. Zum anderen war die Gesetzeslage für Startups, die den Fleischersatz auf den Markt bringen wollten, nicht einfach. Das deutsche Startup Bugfoundation der Gründer Max Krämer und Baris Özel etwa kann ein Lied davon singen.
Bugfoundation verkauft Lebensmittel auf Insektenbasis – etwa den „Bux Burger“ aus Mehlwürmern. Im Heimatland durfte das Startup ihn bisher aber nicht vertreiben, sie sind bis dato nur in Belgien und den Niederlanden zu bekommen. In Europa haben nur die Niederlanden, Belgien, die Schweiz und Dänemark Gesetze, die eindeutig Nahrungsmittel aus Insekten regulieren. Im DACH-Raum haben es die Novel-Food-Startups bisher schwer. Auch ein Grund für Livin Farms, die Firma von Großbritannien und Hongkong aus zu betreiben und global zu denken und zu vertreiben.
Neue Verordnung zu „Novel Food“
2018 könnte aber zum Wendejahr in Sachen Käfer-Nahrung werden. Seit dem 1. Jänner ist eine neue EU-Verordnung zu „Novel Foods“ verbindlich in Kraft getreten. Ihr zufolge gelten Insekten als „neuartige Lebensmittel“. Für die Zulassung sind jetzt nicht mehr einzelne EU-Staaten zuständig, sondern die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Gibt diese grünes Licht, könnten Mehlwurm-Burger und Co bald in der gesamten EU verkauft und so alltäglich wie Chia-Samen (ebenfalls ein „Novel Food“) werden.
Wenn die Behörden Würmer und Käfer als sicheres Lebensmittel zulassen, dann ist vor allem das Marketing gefragt. Gute Gründe für Insekten am Teller gibt es (weniger Treibhausgase, weniger Futtermittel, weniger Nutzungsfläche), doch beim Endkonsumenten muss noch das Ekelgefühl besiegt werden. Und das klappt nur, wenn man ihnen Mehlwürmer und Co wirklich schmackhaft machen kann. Um dem potenziellen Kunden die Scheu zu nehmen, verkauft Livin Farms auch Kostenproben. 50 Gramm geröstete Mehlwürmer kosten 17 Dollar.