Zehn Tage Besetzung

Lokalaugenschein Lobau: „Setzen uns den Baggern mit den Körpern entgegen“

Das Protestcamp Lobau @Trending Topics / Julia Pabst
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Es ist inzwischen Anfang Herbst. Während am Tag die Temperaturen in der Sonne noch gen 30 Grad-Marke klettern, wird es nachts schon empfindlich kühl. Dazu sind auch die Tage bereits deutlich kürzer geworden. Bereits gegen halb acht geht die Sonne inzwischen unter. Die lauen Sommernächte des Jahres 2021 gehören der Vergangenheit an. Damit für viele auch das Schlafen im Zelt. Für die Klimaaktivist:innen der Organisationen Fridays for Future, Extinction Rebellion, Jugendrat und System Change not Climate Change hingegen nicht. Bereits seit Ende August besetzen diese die Baustelle und Zufahrtstraße der Stadtautobahn in Hirschstetten. Seit Anfang September nun auch zwei Baustellen bei der Hausfeldstraße. Gegessen, geschlafen und gelebt wird im Protestcamp. Ziel bei allen drei Besetzungen ist das gleiche: Den Bau der Wiener Lobau-Autobahn und des 8,2 Kilometer langen Lobau-Tunnels zu verhindern.

„Wir sind sehr, sehr müde“, so Lena Schilling vom Jugendrat im Gespräch mit Tech & Nature. Sie ist die Sprecherin des Jugendrats und hat die aktuelle Protestaktion initiiert. Inzwischen hat sich im Protestcamp eine gewisse Routine gebildet. Gelegen auf einer grünen Wiese neben einer Wohnsiedlung, umringt von einer noch grünen Gruppe von Laubbäumen haben sich die Aktivist:innen hier eine Mini-Gemeinde aufgebaut. Zwischen dem vielen Grün blitzen in bunten Farben die Zelte der Besetzer:innen, Hängematten und Protestschilder.

„Bleiben so lange wie möglich“

Jeden Morgen zwischen 07.00 Uhr und 08.00 Uhr wird aufgestanden, zwischen 09.00 Uhr und 10.00 Uhr folgt das tägliche Morgenplenum, bei dem die Morgenaufgaben verteilt werden, so Schilling: „Wir haben immer ein Sanitäterteam vor Ort, außerdem Ordner:innen, Personen, die den Infopunkt für Anrainer:innen besetzen, ein Koch- und ein Dumpsterteam.“ Insgesamt seien laut Schilling im Schnitt zwischen 100 und 200 Aktivist:innen an den drei Besetzungen beteiligt. „Einige brechen teilweise direkt vom Camp zur Schule oder in die Arbeit auf, einige bleiben den ganzen Tag.“ Am Nachmittag verrichten sie dann gemeinsam die Hausaufgaben zwischen Bäumen, Plakaten und Bannern.

„Es ist schon ein wahnsinniger Erfolg, was wir bisher erreicht haben“, ist Schilling überzeugt. Das kurzfristige Ziel hätten sie nämlich schon erreicht: Die Stilllegung der Baustellen. Bis 17. September hätte sie die Protestaktion nun noch verlängert, so Schilling, aber aushalten wolle man so lange wie möglich. Das übergeordnete Ziel ist dabei klar: Den Bau der Lobau-Autobahn endgültig verhindern. Ob das möglich ist, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Bisher ist ein Baustopp jedenfalls nicht geplant. Nach den Vorarbeiten ist der Baubeginn für Ende diesen Jahres geplant, beendet werden soll der Straßenbau dann 2026.

Umstrittenes Projekt Lobau-Autobahn

Das Bauprojekt ist dabei eines der umstrittensten der aktuellen Zeit, welches bereits 2005 von der Wiener SPÖ und dem damaligen Bundes-Infrastrukturminister Hubert Gorbach (FPÖ)beschlossen wurde. Neben der Frage, ob ein Ausbau von Verkehrsstraßen für Pkw und Lkw mit den Klimazielen Österreichs weiterhin vereinbar ist, verursacht das Projekt auch enorme Kosten. Die Asfinag selber spricht von 1,9 Milliarden Euro. Andere Schätzungen gehen von einer deutlich höheren Summe aus. Eine Studie der TU Wien kam zu dem Ergebnis, dass der Bau des Lobautunnels aus „verkehrlicher Sicht der Stadt Wien“ nicht erforderlich sei. Durch die Lobauautobahn würden sich die CO2‐Emissionen in Wien außerdem um mehr als 100.000 Tonnen jährlich erhöhen, so die Ergebnisse der Studie. Weiterhin wird immer wieder von Gegner:innen des Projektes kritisiert, dass der Lobau-Tunnel unter dem Nationalpark Donau-Auen führen soll. Das würde Grundwasserspeicher in dem Bereich tangieren, so die Sorge.

Befürworter:innen des Projektes geben aber an, dass es die Autobahn für die Entlastung der Wohngebiete nördlich der Donau brauche. Diese sollen in Zukunft deutlich wachsen und somit auch das Verkehrsaufkommen. Laut der TU Wien sei eine Entlastung der Wohngebiete aber auch durch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und einem entsprechenden Parkticket möglich.

Unterstützer:innen sehen außerdem große Vorteile für die heimische Wirtschaft durch eine neue Autobahn. Durch diese soll die Wirtschaft gestärkt und Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn das Wiener Umland durch die Lobauautobahn mit der Stadt verbunden wird, werden sich mehr Firmen in der Stadt ansiedeln, so die Erwartung.

Ob das in der Realität so eintreten wird, bleibt abzuwarten. Inzwischen führt das geplante Straßenbauprojekt auch auf Bundesebene zu Diskussionen. Im Juli 2021 kündigte die Verkehrsministerin und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Die Grünen) einen Klimacheck des Projektes an. Im Herbst 2021 sollen die Ergebnisse dafür vorliegen. Bis dahin wird nicht gebaut.

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„Glaube daran, den Baustart aufhalten zu können“

„Wir befinden uns in einer Strategiefindungsphase. Im Moment warten wir auf die Ergebnisse der Lobau-Evaluierung. Davon hängt dann das weitere Vorgehen ab“, so Schilling. Bis dahin vertreiben sich die Besetzer:innen die Zeit mit der Organisation von Baustellenkonzerten und Anrainer:innen-Brunchveranstaltungen. Letztere seien den aktuellen Protestaktionen auf den Baustellen sehr positiv eingestellt, so die Sprecherin des Jugendrates, und bieten auch aktiv Unterstützung an. Diese kann ganz unterschiedlich aussehen. Von Möglichkeiten zum Duschen, frisch gemachtem Apfelkompott oder bestärkenden Worten. Insbesondere auf den Baustellen sind die Aktivist:innen aber auch mit negativem Feedback von vorbeifahrenden Autofahrer:innen konfrontiert. Das versuche man aber bestmöglich zu ignorieren, so die Protestler:innen.

Davon, dass sie den Bau der Autobahn und des Tunnels tatsächlich aufhalten können, ist Schilling weiterhin überzeugt:“ Wenn ich nicht daran glauben würde, würde ich nicht jede Nacht nur drei bis vier Stunden in einem unbequemen Zelt schlafen.“ Aber selbst wenn es zu einem Baustart kommen sollte, wolle man nicht aufgeben, gibt sie an. Dann würde weiter protestiert, man wisse ja inzwischen wie es geht. Somit ist eine Ende der Besetzungen aus Sicht der Besetzer:innen vorerst nicht abzusehen.

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