Mega-Strukturen verlangsamen Erdrotation und verändern Tageslänge
Jahrhundertelang haben Menschen die Tage anhand dem natürlichen Rhythmus der auf- und untergehenden Sonne gemessen, also gemäß der Erdrotation. Im 20. Jahrhundert entdeckte die Forschung jedoch, dass es sich dabei nicht um eine unfehlbare Art handelt, die Zeit zu messen, denn keine zwei Umdrehungen – also keine zwei Tage – sind jemals genau gleich lang. Es gibt viele Faktoren, die die Erddrehung beeinflussen können, darunter Erdbeben oder die Schwerkraft des Mondes. Doch nun können tatsächlich auch Gebilde von Menschenhand die Drehung der Erde und damit die Länge von Tagen – beeinflussen.
Drei-Schluchten-Talsperre in China beeinflusst Erdrotation
Laut einem BBC-Bericht haben Wissenschaftler:innen nun herausgefunden, dass sogenannte Megastrukturen, die von Menschen gebaut wurden, die Erdrotation beeinflussen können. Ein Beispiel ist die 185 Meter hohe Drei-Schluchten-Talsperre in China. Dieser gewaltige Staudamm überspannt den Jangtse-Fluss in der Provinz Hubei und ist mit einer Länge von über 2.300 Meter der größte Staudamm der Welt.
Für den Bau des Staudamms waren 28 Millionen Kubikmeter Beton und so viel Stahl nötig, dass man 63 Kopien des Eiffelturms bauen könnte. 40.000 Menschen brauchten 17 Jahre für den Bau, der insgesamt 37 Milliarden Dollar kostete. Der Damm kann 40 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen – das entspricht etwa 16 Millionen Schwimmbecken in olympischer Größe. Im Jahr 2005 berechnete der NASA-Wissenschaftler Benjamin Fong Chao, dass diese Masse, wenn sie auf einen Punkt konzentriert wird, ausreicht, um die Erdrotation zu beeinflussen.
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Sehr geringer Widerstand durch Trägheitsmoment
Chao hat kürzlich errechnet, dass der Damm, wenn er voll ist, die Länge des Tages um 0,06 Mikrosekunden verlängern könnte. Das sind 60 Milliardstel einer Sekunde. Auch könne der Damm die Pole der Erde um etwa zwei Zentimeter verschieben. Der tatsächliche Betrag ändert sich jedoch ständig. Laut Maik Thomas und Robert Dill vom Deutschen GeoForschungsZentrum gibt es „eine mehr oder weniger saisonale Schwankung der Erdrotation aufgrund der jahreszeitlichen Veränderungen des Wasserstands.“
Das alles hat mit dem so genannten Trägheitsmoment zu tun. Das Trägheitsmoment gibt an, wie sehr sich ein Objekt einer Veränderung der Bewegung widersetzt – je mehr Masse ein Objekt hat und je weiter es vom Rotationszentrum entfernt ist, desto mehr widersteht es der Drehung. Die Drei-Schluchten-Talsperre liegt an ihrem höchsten Punkt 185 Meter über dem Meeresspiegel. Wenn der Staudamm voll ist, haben sich sowohl die lokale Masse als auch der Abstand dieser Masse von der Rotationslinie vergrößert. Mit anderen Worten: Das Trägheitsmoment nimmt zu und erzeugt einen (sehr geringen) Widerstand gegen die Erddrehung.
Der Drehimpuls hängt sowohl vom Trägheitsmoment (das ist der Widerstand gegen die Drehung) als auch von der Rotationsgeschwindigkeit ab. Im Fall der Drei-Schluchten-Talsperre erhöhe der Damm, wenn er voll ist, das lokale Trägheitsmoment. Um den gleichen Gesamtdrehimpuls zu erhalten, muss die Rotationsgeschwindigkeit der Erde also sinken. Aus diesem Grund verlangsamt der Damm die Erdrotation um 60 Milliardstel einer Sekunde. „Die Wirkung anderer Megastrukturen könnte noch geringer sein“, so Thomas und Dill.
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Effekte für Raumfahrtbehörden relevant
Sie weisen auch darauf hin, dass andere menschliche Aktivitäten einen größeren Einfluss auf die Erdrotation hatten als die Drei Schluchten. „Der Aralsee hat seit 1960 mehr als ein Viertel seines Wasservolumens verloren“, schreiben sie. Der zwischen Kasachstan und Usbekistan gelegene Aralsee war einst der drittgrößte See der Welt, bevor die Sowjetunion viele der Flüsse, die ihn einst speisten, für Bewässerungsprojekte umleiteten. Thomas und Dill schätzen, dass die daraus resultierende Verlangsamung der Erdrotation mehr als dreimal so groß war wie die Auswirkungen des Baus der Drei Schluchten.
Die Effekte solcher Mega-Strukturen sind also nur sehr gering. Doch sie haben durchaus Folgen. Um Satelliten zu steuern und die Sonden, die die anderen Planeten des Sonnensystems besuchen, erfolgreich zu navigieren, müssen die Raumfahrtbehörden die Ausrichtung und die Rotationsperiode der Erde sehr genau kennen. Die subtilen Veränderungen, die durch Megastrukturen wie die Drei Schluchten entstehen, sind bedeutend genug, um die Sonden aus dem Konzept zu bringen.
Angesichts dieser bedeutenden Auswirkungen haben Wissenschaftler:innen Schwierigkeiten, die Erde als Zeitmesser zu verwenden. Die Sekunde ist nicht mehr als ein Bruchteil der Erdrotationsperiode definiert. Stattdessen wird sie als die Zeit definiert, die ein Cäsiumatom braucht, um etwas mehr als neun Milliarden Mal zu schwingen. Unsere Vorfahren mögen den Planeten unter ihren Füßen als eine gigantische Uhr benutzt haben, aber letztlich ist sie sehr unzuverlässig. Das könnte in Zukunft auch noch mehr der Fall sein.