Mensa Österreich: „Hochbegabte können Wirtschaft ankurbeln“

2,28 Prozent der in Österreich lebenden Menschen sind hochbegabt. Bei rund 9,2 Millionen Einwohner:innen wären das etwa 209.800 Personen. Doch viele von ihnen wissen gar nicht um ihren besonders hohen IQ Bescheid – oder haben sich zumindest nicht testen lassen. Hier kommt Mensa ins Spiel: Das österreichische Netzwerk für Hochbegabte hat sich der Aufgabe angenommen und fördert den Austausch unter den Mitgliedern seit 1964.
Trending Topics hat mit zwei Mensa-Mitgliedern darüber gesprochen, wie das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt besser auf ihre Begabung abgestimmt werden können. Florentina Voboril und Nael Radwan im Interview.
Außergewöhnlich intelligent
Voboril macht derzeit ihr Doktorat an der TU Wien im Bereich Large Language Models und organisiert regelmäßig Events im Rahmen von Mensa. Radwan steht kurz vor dem Abschluss seines Medizinstudiums und plant, sich auf den Fachbereich Psychiatrie zu spezialisieren. Im Vorjahr war er an einer Studie über Hochbegabte im österreichischen Schulsystem beteiligt. Seit einem Monat hat der Medizinstudent nun das Amt Intelligenzforschung und Förderung im Mensa-Vorstand inne.
Kurz vorweg: Als hochintelligent gelten Personen, die einen Intelligenzquotienten (IQ) von 130 oder höher haben. Mensa verzeichnet aktuell nach eigenen Angaben etwa 1.300 Mitglieder. Für sie werden Netzwerktreffen, Fachvorträge, internationale Mensa Youth-Events und Camps veranstaltet.
Hochbegabtenvereinigung mit Ursprung in Oxford
„Die meisten, die hochbegabt sind, sind nur noch nicht getestet. Und viele ahnen überhaupt nicht, dass sie hochbegabt sind. Da ist eindeutig noch viel Luft nach oben. Deswegen arbeiten wir auch gerade daran, dass wir bekannter werden“, so Radwan.
Ursprünglich stammt die Idee hinter Mensa aus Oxford, wo sie vor knapp 80 Jahren gegründet und seitdem zur weltweit größten Hochbegabtenvereinigung herangewachsen ist.
Mensa-Umfrage analysiert Probleme in der Schulzeit
Hochbegabte zu entdecken, sei gar nicht so einfach, wie man vielleicht denkt. Oft würden sie dadurch auffallen, in der Schule schneller oder besser als der Durchschnitt zu sein. Einige würden sich „anders“ fühlen. Laut Radwan wird die Kritik am österreichischen Bildungssystem immer lauter. Grund genug, eine Umfrage durchzuführen, um mehr über die Erfahrungen und Bedürfnisse von Hochbegabten während ihrer Schulzeit zu erfahren. Rund 200 Personen aus dem Mensa-Netzwerk wurden befragt.
Die Ergebnisse zeigen: Die wenigsten haben sich in der Schule angemessen gefordert gefühlt. Außerdem sah sich jede:r dritte Befragte als Außenseiter:in. Während männliche Umfrageteilnehmer oft die Rolle des „Klassenclowns“ eingenommen haben, gaben Frauen an, in ihrer Schulzeit eher still und „strebsam“ gewesen zu sein. Beide Geschlechter ließen sich überdurchschnittlich oft als Klassen- bzw. Schulsprecher:in aufstellen.
Spannend ist auch, dass den Angaben der Hochbegabten nach oft angeeckt wurde. Dadurch wechselten etwa 20 Prozent die Schule, 17 Prozent wiederholten mindestens eine Klasse und 10 Prozent brachen die Schule komplett ab. „Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass viele Schulen noch zu sehr darauf ausgerichtet sind, der Norm zu entsprechen und der Großteil der verbleibenden Kapazitäten dafür verwendet wird, ‘schwachen‘ Schüler:innen das Mindestmaß an Unterstützung zukommen zu lassen“, so Mensa in einem Fazit über die Umfrageergebnisse.
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Was ein „begabtenfreundlicheres“ Bildungssystem braucht
Die Hochbegabtenvereinigung Mensa befragte ihre Mitglieder nach Lösungsvorschlägen, um die Schulbildung für zukünftige Generationen zu verbessern. Hier wurde der Wunsch nach Individualisierung deutlich. Dezidierte Förderklassen, Mitsprache bei den Schulfächern bzw. der Tiefe der behandelten Materie und stärker fordernde Aufgaben im normalen Klassenverbund werden als mögliche Ansätze genannt. Zudem sollte der Fokus stärker auf partizipatives Lernen gerückt werden – als Alternative zum Frontalunterricht. Olympiaden, um gesunde akademische Konkurrenz zu erlernen und an die eigenen Grenzen zu stoßen, zählen ebenfalls zu den Vorschlägen.
Wichtig sei außerdem, dass Lehrer:innen auf das Erkennen von potenzieller Hochbegabung geschult werden und diese im Fall sinnvoll fördern. Schulpsycholog:innen könnten laut Mensa eventuell als erste Anlaufstelle für ein Hochbegabten-Assessment fungieren.
Sinnkrisen im Erwachsenenalter
Die Ergebnisse der Mensa-Umfrage passen übrigens zu dem gezeichneten Bild einer weiteren Studie, die 2024 im Auftrag des Bildungsministeriums durchgeführt wurde. Ihr nach würden einige Hochbegabte aus dem Mensa-Verein im Erwachsenenleben eine geringe Sinnerfüllung und ein niedriges Wohlbefinden verspüren sowie im Leben mehrere Sinnkrisen erleben. Untersucht wurde dies im Vergleich zu einer weiteren Testgruppe von Hochbegabten, die in jungen Jahren kontinuierlich herausragende Leistungen in Schule und Universität verzeichnete.
Was es daher braucht, damit Hochbegabte ihr volles Potenzial sowohl in der Schulzeit als auch im Berufsleben entfalten können? Anerkennung, weiß die Machine-Learning-Expertin Voboril. „Manchmal haben Hochbegabte spezielle Bedürfnisse, etwa wird ihnen schneller langweilig. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen und sie bestmöglich zu unterstützen. Was wir bei Mensa versuchen, ist, eine Gemeinschaft zu bilden, in der sich Hochbegabte untereinander austauschen können – über ihre Probleme, ihren Alltag und alles Mögliche.“ Voboril selbst gab an, damals das Bundesrealgymnasium Keimgasse in Mödling besucht zu haben – „eine tolle Schule, wo meine Interessen gefördert wurden“.
Anerkennung und Akzeptanz für Hochbegabte
Warum für überdurchschnittlich schlaue Menschen Anerkennung so wichtig ist, führte Radwan weiter aus. Intelligenz sei ein Thema, bei dem Menschen schnell ins Streiten kommen. Das Ego spielt dabei eine Rolle. Der Mensa-Vorstand suche sich sehr genau aus, vor wem er sich als hochbegabt outet, denn er habe schon einige unangenehme Situationen erlebt.
„Da bekommst du einfach komplett unterschiedliche Reaktionen – von richtig übertriebener Ehrfurcht bis hin zu verbalen Aggressionen, dass man sich nichts einbilden soll“, so Radwan. Auch erzählte er von Konflikten aus dem Arbeitsleben, die im Rahmen von Mensa geteilt wurden.
Beispielsweise sei vorgekommen, dass sich Vorgesetzte in Unternehmen von hochbegabten Mitarbeiter:innen bedroht fühlten – aus Angst, diese könnten ihnen den Job wegschnappen. Das hätte laut Radwan meistens überhaupt keinen Sinn. Viele Hochbegabte würden zudem Expertenkarrieren mit wenig bis keiner Personalverantwortung bevorzugen. So können sie sich „wirklich auf ihr Thema konzentrieren, ohne nebenbei auch noch Mitarbeiter:innen führen zu müssen“.
Die Wirtschaft kann profitieren
Für Unternehmen sehen Voboril und Radwan große Vorteile in der Zusammenarbeit mit Hochbegabten – sofern man auf ihre Bedürfnisse eingeht. Warum? Weil sie logische Zusammenhänge schneller erkennen, was in manchen Berufen laut den beiden Mensianer:innen erheblichen Mehrwert bringt.
„Menschen mit einem IQ über 130 sind besonders qualifizierte Arbeitskräfte, die es zu fördern gilt. Wenn es in Österreich 209.800 Hochbegabte gibt und ein Teil davon demotiviert ist, weil sie in der Schule nicht gefördert wurden und in eine Sinnkrise geraten sind, dann sind das einfach verlorene Arbeitskräfte“, so Voboril. Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage sei es für Österreich als kleines Land entscheidend, massiv auf Qualität zu setzen.
Output-orientierte Arbeitsweise sinnvoll
Radwan erklärte, was Unternehmen dabei beachten sollten: Für viele Hochbegabte ist es besser, wenn klare Aufgaben gestellt werden und der gewünschte Output definiert wird, während der Weg dorthin selbst entschieden werden kann. „Wenn eine Aufgabe nur fünf Stunden statt der vorgesehenen acht dauert, sollte man nicht gezwungen sein, die verbleibenden Stunden nur abzusitzen. Eine Output-orientierte Herangehensweise ist sinnvoller als eine zeitorientierte. Das vermeidet Demotivation.“
„Wenn man uns ein bisschen entgegenkommt, beziehungsweise bereits in der Schule sinnvolle Fördermaßnahmen implementiert, könnte sich einiges für die Wirtschaft ausgehen“, ergänzte Voboril. Laut Mensa-Vorsitzendem Peter Berger will das Netzwerk in den nächsten Jahren die Kooperation mit der Wirtschaft stark forcieren.
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