Kommentar

Fachkräfte: Wir brauchen dringend smarte Zuwanderung

Passkontrolle in der EU. © Daniel Schludi on Unsplash
Passkontrolle in der EU. © Daniel Schludi on Unsplash
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In Folge der neuerlichen Startup/Scale-up-Erfolge in Österreich sind die Mainstream-Medien wieder auf ein Thema gestoßen, dass unter Gründer:innen seit jeher beklagt wird: Es läuft doch nicht alles so leiwand hier, bzw. gibt es viele andere Orte in Europa, wo die Rahmenbedingungen für schnell wachsende Tech-Firmen viel besser sind. Nun ist wieder der Dauerbrenner in den Schlagzeilen gelandet: die Rot-Weiß-Rot-Karte.

Die RWR-Karte wurde zwar in den letzten Jahren mit dem Vorhaben, qualifizierte Zuwanderung einfacher zu machen, immer wieder reformiert, doch gebracht hat es nicht viel. Zwar sind die Zahlen nach oben gegangen, doch einen guten Ruf hat die RWR-Karte nicht. Nach wie vor klagen Gründer:innen und Manager in Startups, dass es nur unter hohem Aufwand möglich ist, Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland nach Österreich zu holen. Immerhin bietet die Austrian Business Agency (ABA) kostenlose Hilfestellung bei dem Prozedere.

Hier die Entwicklung der Zahlen seit 2011 laut Innenministerium (die RWR-Karte+ ist die Verlängerung der RWR-Karte):

Jahr RWR-Karte RWR-Karte + Veränderung zum Vorjahr in %
2011 600 29.970
2012 1.500 71.481 150,0 138,5
2013 1.592 77.916 6,1 9,0
2014 1.640 84.382 3,0 8,3
2015 1.640 99.972 0,0 18,5
2016 1.873 96.139 14,2 -3,8
2017 1.820 96.881 -2,8 0,8
2018 2.264 96.929 24,4 0,0
2019 5.257 104.827 132,2 8,1
2020 4.514 102.457 -14,1 -2,3

Sind 4.500 RWR-Karten viel oder wenig? Nun, schauen wir uns an, was die Wirtschaft sagt, wie viele Fachkräfte in verschiedenen Bereichen fehlen.

  • laut einer Studie des Industrie Wissenschaftliches Instituts (IWI) beläuft sich der Fachkräftemangel in der IT mittlerweile auf 24.000 Personen, laut UBIT (Fachverband Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie) wird vor allem Personal in Software Engineering, Web Development und IT Security gebraucht. Also nicht irgendwann, sondern heute.
  • laut AMS waren 3.367 offene Stellen für Elektroinstallateure bzw. -monteure Ende Oktober gemeldet – also jene Menschen, die unter anderem Solar-Panele und E-Ladestationen einrichten können
  • bis zum Jahr 2030 werden 100.000 zusätzliche Pflegekräfte gebraucht, um die Überalterung der Gesellschaft und ihre Auswirkungen bewältigen zu können

Nun können natürlich neue, junge Menschen durch Ausbildung in den Arbeitsmarkt oder Fachkräfte aus dem EU-Ausland nach Österreich kommen, um diese vielen offenen Stellen (und in vielen Bereichen werden es immer mehr) zu besetzen. Tatsache ist aber auch, dass die Österreicher:innen viele Jobs entweder nicht annehmen wollen oder nicht annehmen können – weil ihnen der Wille und/oder die Erfahrung fehlen und die Firmen lieber auf Fachkräfte aus den USA, Indien und anderen Nicht-EU-Ländern zurückgreifen.

Skurrile Situationen

In der Praxis entstehen deswegen skurrile Situationen. Heimische Tech-Unternehmen machen neue Standorte in Großbritannien, Spanien, Ungarn, Polen oder sogar in Indien auf, damit sie die dringend benötigten Fachkräfte anstellen können. Einfacher macht das die Angelegenheit nicht – denn mit Satelliten-Standorten arbeiten, damit muss ein Unternehmen erst einmal klar kommen – vor allem die jungen, die ganz schnell wachsen wollen. Die Wertschöpfung (Mitarbeiter:innen verdienen Geld, geben es lokal aus, Firmen zahlen Steuern etc.) passiert so nicht in Österreich, sondern an anderen Standorten.

„Österreich muss seine Politik, was Arbeitskräfte angeht, ändern. Man muss das mit den nordamerikanischen Ländern vergleichen. Die sind offen für Zuwanderung, aber selektiv. Sie suchen sich nur die Besten aus, schaffen für sie aber ein sehr gutes Klima, um Fuß zu fassen und Erfolg zu haben“, sagt etwa Wolfgang Platz, Mitgründer und Chief Strategy Officer des Wiener Tech-Unicorns Tricentis, zu Trending Topics. „Wir hingegen lassen entweder alle rein oder wollen überhaupt keine Zuwanderung haben. Wir brauchen hier einen Middle Ground. Sonst entsteht schnell ein Mangel an qualifizierten Ressourcen, der in Kürze schon zur größten Bremswirkung für die gesamte Startup-Szene wird.“

Warum sind die Österreicher:innen immer noch zu faul zum Gründen?

 

Das muss anders gehen

Schnelle, einfache, aber eben auch selektive Zuwanderung gezielt für jene Arbeitskräfte, die Unternehmen dringend brauchen – das wünschen sich Unternehmen. Wer das nächste Bitpanda bauen will und dazu indische Blockchain-Entwickler:innen in Wien braucht, der soll nicht sechs Monate um jede Fachkraft kämpfen müssen, sonst verliert er gegen die internationale Konkurrenz.

Österreich muss seine Chancen erkennen, sie liegen vor unseren Füßen. Nimm‘ das Beispiel der 25-jährigen Astronomin und Frauenrechtlerin Amena Karimyan. Sie könnte längst in Österreich sein, um hier zur Weltraumforschung (SpaceTech, anyone?) beizutragen. Stattdessen musste sie unter schwierigsten Umständen von Afghanistan in die pakistanische Hauptstadt Islamabad fliehen, um dort ihr Visum für Österreich abgelehnt zu bekommen, und bangt jetzt um ihre Zukunft. Laut Innenministerium könne sie ja die Einreise aus humanitären Gründen beantragen.

Genau hier ist der Knackpunkt. Eine „hochqualizierte, anerkannte Kollegin“, wie Karimyan von ihren Kolleg:innen der Universität Graz und der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) genannt wird, schafft die qualifizierte Zuwanderung nicht und soll stattdessen um Asyl ansuchen.

Leute, das muss anders gehen.

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