Mit dem Nachtzug erwacht auch die Idee der „Europäischen Seidenstraßen“ erneut
Österreich hat es geschafft – durch das Festhalten an den Nachtzügen sind die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) nun Anbieter des größten Nachtzug Streckennetzes in Europa. Die Deutsche Bahn hat 2016 das Schlafwagenangebot aufgegeben und die ÖBB haben einige der Linien übernommen. Und bauen darauf aufbauend das Streckennetz weiter aus.
Mit der Bekanntgabe des Mobilitätsbudgets für 2021 gab die Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) auch den Ankauf von 20 neuen Nachtzügen bekannt. Mit deren Einsatz rechnet Gewessler mit Fahrplanwechsel bis 2023. Davon unabhängig sind einige neue Ziele bereits jetzt über Nacht erreichbar. So ist seit wenigen Wochen die Reise von Wien über München nach Paris oder Zürich über Köln nach Amsterdam im Schlaf möglich.
Nightjet: Ab Dezember ist Paris über Nacht ab Wien erreichbar
Nachtzug: In zwölf Stunden von von Ost nach West
Die Frage nach dem „Warum“ bei dem Comeback des Nachtzuges ist grundsätzlich schnell erklärt: weniger Emissionen. Die Alternativen zu dem Nachtzug sind zumeist Kurzstreckkenflüge, die individuelle PKW-Anreise oder Fernbusse. Insbesondere von den ersten beiden genannten Mobilitätsformen dürfte weithin bekannt sein, dass diese nicht mit einer positiven Klimabilanz glänzen.
Daher gibt es es inzwischen einiges an Plänen und Ideen, um die Menschen mehr auf Schiene zu bringen. Eine davon stammt von dem Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) in Zusammenarbeit mit der Central European University (CEU) und ist eigentlich schon drei Jahre alt. Bereits 2018 stellte das wiiw eine Studie vor, welche den Bau einer „Europäischen Seidenstraße“ thematisiert. Diese soll auf einem Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz aufbauen, durch welches die Industriezentren Westeuropas mit dem Osten des Kontinents verbunden werden soll. Im Vollausbau soll die „Europäische Seidenstraße“ auf dem Landweg rund 11.000 Kilometer lang sein.
Passend zu dem aktuellen Comeback des Nachtzuges, haben die Forschenden nun zu der damaligen Machbarkeitsstudie samt der wirtschaftlichen Folgenabschätzung eine Analyse des ökologischen Fußabdrucks ergänzt. Dabei konzentrieren diese sich konkret auf das CO2-Einsparungspotenzial auf der Strecke zwischen Lyon in Frankreich bis in die russische Hauptstadt Moskau.
Zukunftsantrieb: Elektro-Batterien oder doch Wasserstoff-Brennzellen für nachhaltigere Züge?
Emissionen deutlich senken
Die Wiener Forschenden kamen dabei auf ein hohes Klimaschutz-Potenzial: So könnte diese Hochgeschwindigkeits-Zugverbindung zwischen Lyon und Moskau berechnet auf eine angenommene Lebensdauer von 60 Jahren, den CO2-Ausstoß in der EU um 10 Prozent des Emissionsvolumens eines Jahres senken, so die Angaben der Studienautor:innen. Emissionen, die bei Bau, Betrieb und Wartung anfallen, wurden hierbei bereits gegengerechnet.
„Auch wenn das nicht nach viel klingt, haben wir uns nur den Effekt der Verlagerung des Passagierverkehrs vom Flugzeug auf die Schiene angesehen“, sagt Mario Holzner, Direktor des wiiw und Co-Studienautor und ergänzt: „Würde man auch noch den Güterverkehr berücksichtigen, fiele die CO2-Reduktion durch das Projekt wohl doppelt so hoch aus.“
In der Studie gehen die Autor:innen von einer „massiven Umleitung“ des Passagieraufkommens vom Flugzeug auf die neuen Schnellzug-Verbindungen aus.
Über Nacht am Ziel: Diese Länder sind aktuell per Nachtzug erreichbar
Zudem verweisen die Studienautor:innen nicht nur auf die die ökologischen Vorteile, sondern auch auf die von ihnen prognostizierten ökonomischen Vorteile. Diese hatten sie in der vorausgegangen Studie von 2018 bereits analysiert. So würde der Bau und der Betrieb der „Europäischen Seidenstraße“ sowohl zu einer Vielzahl von neuen Arbeitsplätzen beitragen, als auch zu einem Wirtschaftswachstum der beteiligten Länder führen.
Die Baukosten für die Strecke Lyon-Moskau würden den Einschätzungen der Forschenden nach bei rund 200 Milliarden Euro liegen. Hinzu kommt eine Bauzeit von mindestens zehn Jahren. „Aufgeteilt auf 10 Jahre relativiert sich diese auf den ersten Blick doch beträchtliche Summe, zumal das gerade einmal 1,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der EU sind und real momentan Negativzinsen auf entsprechende Anleihen anfielen“, gibt Holzner aber zu bedenken.
Somit ist mit einer zeitnahen Umsetzung der „Europäischen Seidenstraße“ nicht zu rechnen, wenn überhaupt. Nichtsdestotrotz machen solche Analysen die Möglichkeiten von Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecken deutlich. Und auch, dass Europa an diesem Punkt noch einiges an ungenutztem Potenzial hat. Für die volle Ausschöpfung des Potenzials müssen dafür allerdings dann auch bisherige Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.
Bahnfahren attraktiver gestalten
Das soll zumindest in Teilen auch in den nächsten Jahren passieren. Mitte Dezember legte die EU-Kommission dafür einen neuen Schienenverkehr-Aktionsplan vor. Das vorgegebene Ziel von diesem: bis 2030 soll sich der Hochgeschwindigkeitsverkehr auf den Schienen verdoppeln und bis 2050 sogar verdreifachen.
Um dies umzusetzen, müssen jedoch noch viele bürokratische Hürden beseitigt werden. Da es oftmals bereits am Ticketkauf scheitert, weil die Bahn entweder deutlich teurer als der alternative Kurzstreckenflug sind oder die Fahrkarten online gar nicht erst erworben werden können, möchte Brüssel den Fahrkartenverkauf durch Gesetze vereinfachen. Zudem sollen die Tickets generell günstiger werden – eventuell auch durch eine EU-weiten Mehrwertsteuerbefreiung für Zugfahrkarten.
So soll das Bahnfahren attraktiver werden. Dem Comeback des Nachtzuges können solche Maßnahmen nur helfen.