mjam: „Fahrer mit E-Bike fahren letztendlich auch mehr Stunden“
„GetHenry wird E-Bike-Partner von mjam in Österreich“ titelten wir Anfang Jänner. Der Deal: Kuriere von mjam können sich die E-Bikes vom Berliner Startup GetHenry kostengünstiger ausleihen. 120 Euro sind für das E-Bike pro Monat dennoch fällig, was für Diskussionen bei unseren Lesern sorgte. Kann sich das überhaupt für einen Boten rentieren? Und warum stellt der Liefer-Riese die Räder nicht einfach kostenlos zur Verfügung? Wir haben bei mjam nachgefragt.
mjam: Freie und echte Dienstnehmer
Grundsätzlich gibt es zwei Modelle für Fahrradkuriere bei mjam: Entweder eine Anstellung als „freier Dienstnehmer“ mit freier Zeiteinteilung, aber ohne Fahrrad des Unternehmens – die Kuriere verwenden also entweder den eigenen Drahtesel oder greifen eben auf Leihgeräte zurück. Alternativ gibt es die klassische Anstellung als „echter Dienstnehmer“, mit etwas niedrigerem Stundenlohn und ohne freie Zeiteinteilung, dafür aber mit einem Fahrrad von mjam – allerdings nur für die Arbeit, die private Nutzung ist untersagt.
Seit letztem Jahr gibt es einen Kollektivvertrag, der regelt, wie viel Fahrradkuriere verdienen (müssen). mjam bezahlt nach diesem Vertrag: „Fix angestellte Fahrer werden seit dem 1. Jänner 2020 mit dem branchenübergreifenden Kollektivvertrag vergütet. Dieser sieht den Mindestlohn von 8,71 Euro pro Stunde für alle ‚echten Dienstnehmer‘ vor. Freie Dienstnehmer haben im Jahr 2020 durchschnittlich 12 Euro pro Stunde bei mjam verdient, einige kommen auch auf 15 bis 16 Euro pro Stunde“, heißt es im Radl-Bericht 2020.
Zehn Stunden pro Woche im Schnitt
Dem Bericht ist auch zu entnehmen, dass im Jahr 2020 ein freier Dienstnehmer durchschnittlich zehn Stunden pro Woche für mjam als Fahrer tätig gewesen ist. Ein „echter Dienstnehmer“ fuhr durchschnittlich 19,4 Stunden pro Woche. Der errechnete Verdienst eines durchschnittlichen „freien“ mjam-Fahrers liegt also bei rund 120 Euro in der Woche zuzüglich Trinkgeld (10 Stunden mal 12 Euro). Das E-Bike von GetHenry kostet umgerechnet etwa 30 Euro pro Woche, also ein Viertel des Durchschnittsverdiensts der frei fahrenden Kuriere.
Das Angebot werde dennoch gut angenommen, erklärt Artur Schreiber, Geschäftsführer von mjam, gegenüber Trending Topics: „Die Option der E-Bike-Mietung war als erstes als zusätzlicher Service für Vielfahrer gedacht. Wir wollten testen, in welchem Ausmaß ein Interesse an E-Bikes bei unseren Fahrern besteht. Es hat sich herausgestellt, dass die Fahrer, die sich für ein E-Bike entschieden haben, letztendlich auch mehr Stunden fahren. Wenn ein Fahrer ein solches Rad mietet, dann ‚gehört‘ ihm dieses für den gemieteten Zeitraum und er kann frei darüber verfügen und es auch losgelöst von seiner Tätigkeit bei mjam nutzen.“
Der Mietpreis beziehe sich also auf die Nutzung eines Monats und nicht nur auf die Arbeitsstunden bei mjam. Derzeit bestehe bei den Fahrern eine hohe Nachfrage an E-Bikes. „Wir haben eine Warteliste im dreistelligen Bereich“, erzählt Schreiber.
„Fahrer sind zufrieden mit der Lösung“
Das wiederum würde sich auch auf die Zufriedenheit der Kuriere auswirken. Was verspricht sich mjam außerdem von der Kooperation? Artur Schreiber: „Wir wollen mit der Zusammenarbeit mit GetHenry unseren Fahrern die Option auf eine vergünstigte E-Bike-Miete ermöglichen. Wir wissen, dass es da Bedarf gibt und dem sind wir nachgekommen. Wir sehen es als großen Vorteil, dass die Fahrer die E-Bikes auch privat nutzen können. Unsere Fahrer sind zufrieden mit der Lösung und das ist für uns das Wichtigste.“
Freie Dienstnehmer würden im Durchschnitt drei Monate bei mjam aktiv sein, „melden sich dann wieder ab und gegebenenfalls zu einem anderen Zeitpunkt wieder an“, erklärt Schreiber. Die Möglichkeit, „kurzfristig ein sehr gutes E-Bikes zu mieten“, sei für Intervall-Fahrer daher „ideal“. Echte Dienstnehmer wiederum können ein von mjam als Arbeitsmittel gestelltes E-Bike nicht privat nutzen, sondern müssten es vor jeder Schicht im mjam-Hub abholen. „Da kommt also noch ein Anfahrtsweg hinzu, der nicht vergütet ist“, erklärt Schreiber. Mit einem „eigenen“ E-Bike entfalle das, die Fahrer würden von Zuhause direkt zum ersten Auftrag fahren. mjam stellt aber auf jeden Fall Jacken mit reflektierenden Neon-Komponenten zur Verfügung, um „zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr“ beizutragen.
Steuerliche Vergünstigungen seit 2020
Das ist insofern etwas verwunderlich, weil Unternehmen, die ihren Mitarbeiter Dienstfahrräder zur Verfügung stellen, seit Anfang 2020 dafür steuerlich begünstigt werden – das gilt übrigens auch für die Mitarbeiter, die diese Fahrräder privat nutzen. Unternehmen können also theoretisch einfach Fahrräder kaufen und diese an die fest angestellten Mitarbeiter verteilen, ohne, dass dafür ein Sachbezug anfällt. Arbeitgeber wiederum sparen sich die Mehrwertsteuer beim Kauf. Die gesetzliche Regelung schließt auch E-Bikes ein.
90 Prozent freie Dienstnehmer
Laut mjam arbeiten 90 Prozent der Kuriere aufgrund der Flexibilität als freie Dienstnehmer. Laut dem Kollektivvertrag liegt der Mindestlohn für fest angestellte Kuriere bei nur 8,71 Euro in der Stunde. Auch dieser Umstand dürfte ein Grund für den hohen Anteil an freien Dienstnehmern sein, bestätigt auch mjam: „Ja, die Möglichkeit des Mehrverdienst ist wahrscheinlich auch ein Grund für einige Fahrer, sich für eine „Freie Dienstnehmer“-Stelle zu entscheiden. Jedoch nennen die meisten Fahrer die flexible Buchung und Einteilung der Schichten als Hauptgrund für die Wahl des „Freien Dienstnehmer“-Verhältnis. Ein Großteil der mjam-Fahrer besteht aus Studierenden und die schätzen es sehr, jede Woche neu entscheiden zu können, ob, wann und wieviel sie arbeiten möchten.“
Kaum weibliche Kuriere
Eine „Überzahlung“, wie es so schön heißt, gibt es nicht: „Echte Dienstnehmer werden nach dem Kollektivvertrag vergütet und die Anzahl der Stunden ist im Vertrag festgehalten. Den von Ihnen angesprochenen Aspekt der Überzahlung gibt es derzeit bei mjam so nicht. Jedoch wurde diese Woche der im Kollektivvertrag festgeschriebene Mindeststundenlohn rückwirkend mit 1. Jänner 2021 um 2,2 Prozent erhöht. Ebenfalls wurde das Kilometergeld um 10 Cent von 14 auf 24 Cent als Aufwandsentschädigung für die Verwendung eines eigenen Fahrrads erhöht.“
85 Prozent der Kuriere sind übrigens männlich. Soll sich daran etwas ändern? Wenn es nach mjam geht, ja – auch wenn unklar ist, wie man das schaffen will. Schreiber: „Ja, wir suchen immer nach Fahrerinnen und möchten auch mehr weibliche Fahrer in Führungspositionen“. Wie dieser Wunsch in Erfüllung gehen soll, konnte man uns allerdings noch nicht verraten.