Neue Gentechnik für klimafitte Pflanzen: Der Grundsatzstreit in der Landwirtschaft
Es klingt wie die perfekte Lösung: Pflanzen, welchen lange Dürren oder starke Hitzeeinstrahlungen nichts mehr anhaben können oder welche ertragreicher und robuster gegen Krankheiten sind. Diese Hoffnungen werden in die Neuen Genomischen Techniken (NGTs) gesetzt. Im Mittelpunkt der Debatte stehen neue Verfahrenstechniken, wie die sogenannte Crispr-Genschere. Crispr steht für „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“. Bei dieser Methode können Gene zielgerichtet eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet werden, auch ohne das Einfügen fremden Erbguts.
Als Heilsbringer sehen diese Methoden aber nicht alle. Die Umweltschutzorganisation Global 2000 positioniert sich seit geraumer Zeit gemeinsam mit verschiedenen Interessensverbänden wiederholt gegen den vereinfachten Einsatz von NGTs innerhalb der EU. Ihre Ansicht: Das Versprechen von klimafitten Pflanzen bleibt ein uneingelöstes. Saatgut Austria, die Vereinigung der Pflanzenzüchter und Saatgutkaufleute Österreichs, sieht wiederum Potenzial in einer möglichen Deregulierung. Noch liegt es aber in den Händen der EU-Kommission.
Status Quo: EU-Kommission empfiehlt neue Einstufung
Ende April 2021 veröffentlichte die Europäischen Kommission eine Studie, welche empfiehlt, die Einstufung von Neuen Genomische Techniken (NGTs) an Lebensmitteln als Gentechnik zu überdenken. Diese Verfahren hätten laut einer Veröffentlichung der EU-Kommission das Potenzial, zu „einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem als Teil der Ziele des Europäischen Green Deal und der Farm to Fork-Strategie beizutragen.“ Der Studie der Europäischen Kommission zufolge sei die geltende Gesetzgebung aber nicht mehr „zeitgemäß“ und bedarf Anpassung.
Aktuell werden Erzeugnisse der Neuen Gentechnik als „Gentechnik“ eingestuft, verbunden mit den entsprechend hohen Regulierungen. Umweltschutzorganisation fürchten nun eine Deregulation. Diese könnte den Wegfall von Risiko- und Sicherheitsabschätzungen der Auswirkungen von Neuer Gentechnik auf die Gesundheit und Umwelt, von der Rückverfolgbarkeit und der Kennzeichnung im Verkauf als genverändertes Lebensmittel bedeuten, so Global 2000.
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Hoffnung: Pflanzen fit für die Klimakrise
In der Studie der EU-Kommission wird die Empfehlung auch mit dem Potenzial begründet, Pflanzen zu züchten, welche resistenter gegen Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels seien. So könne auch der Einsatz von Pestiziden verringert werden. Brigitte Reisenberger von Global 2000 bewertet die Ansicht, NGTs als Klimalösung zu sehen, im Gespräch mit Tech & Nature kritisch: „Wir beobachten verstärkt, dass pauschale Nachhaltigkeitsversprechungen verwendet werden, um eine gesamte Technologie pauschal als nachhaltig darzustellen. Das halten wir für sehr gefährlich, da bisher bloß auf hypothetische Versprechen zurückgegriffen wird.“
Gemeinsam mit der IG Saatgut haben diese das Fact-Sheet “Neue Gentechnik-Pflanzen: Blick in die Entwicklungspipeline” erarbeitet, in welchem sie den globalen Status Quo des Einsatzes von NGTs aufzeigen wollen. „Unsere Recherche offenbart vollmundige Versprechungen, real findet sich bislang kein einziger Zulassungsantrag für ‘klimafitte’ NGT-Pflanzen”, so Eva Gelinsky von der IG Saatgut, Autorin des Fact-Sheets.
Mangelnde Transparenz bei laufenden Projekten
Bisher gäbe es wahrscheinlich drei kommerzielle angebaute „NGT-Pflanzen“, so die Autorin. Da wäre ein Raps der Firma CIBUS, welcher in den USA und Kanada angebaut wird, Soja mit verändertem Ölsäuregehalt der Firma Calyxt in den USA und die „GABA-Tomate“, welche über einen erhöhten Gehalt an Gamma-Amino-Buttersäure verfügen soll, vom Unternehmen Sanatech Seed in Japan.
Laut den Studienautor:innen sei bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bisher ein Antrag für eine NGT-Pflanze, ein Mais, welcher resistent gegen das Herbizid Glufosinat sein soll und ein Insektengift produziere, eingegangen. Zudem werde bisher vermehrt an Sorten gearbeitet, welche krankheitsresistent seien, weniger bräunen bei Transportschäden, Pestizide besser vertragen oder optimiertere Nährstoffeigenschaften haben. Global 2000 und IG Saatgut kritisieren außerdem fehlende Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte von größeren Konzernen. Gefordert wird daher der Erhalt des Vorsorgeprinzips und eine unabhängige, wissenschaftliche Forschung zu den ökologischen Risiken der NGT.
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„Man darf sich keine Wunder erwarten“
„Man darf sich natürlich keine Wunder davon erwarten, das ist ja ganz klar“, so auch der Geschäftsführer von Saatgut Austria, Anton Brandstetter im Gespräch mit Tech & Nature. Als breite Basis müsse weiterhin die klassische Kreuzungszüchtung verfolgt werden. „Gerade diese Anpassung an den Klimawandel, beispielsweise die Hitze- und Stresstoleranz, wird nicht so schnell gehen, da diese Eigenschaften ja nicht nur an einem Genort liegen. Das ist ein Zusammenspiel von sehr vielen verschiedenen Genen, die eine Pflanze widerstandsfähig macht“, so Brandstetter. In der Anwendung von NGTs sieht er aber trotzdem Potenzial und zwar in Hinblick auf die Abwehr von Pflanzenkrankheiten, welche durch den Klimawandel häufiger vorkommen bzw. sich ändern würden.
Allerdings fordert er, dass mit einer Deregulierung der neuen Verfahrenstechniken der Patentschutz auf die neuen Produkte fällt. Solange diese weiterhin patentierbar wären, würde das den kleinen und mittelständischen Pflanzenzüchter:innen in der Wettbewerbsfähigkeit gegen große Konzerne am Markt nicht helfen. Er plädiert für einen Sortenschutz, durch welchen das geistige Eigentum der Züchter:innen geschützt sei, aber Weiterzüchtungen mit den daraus entstandenen Sorten für andere ohne Einschränkungen möglich seien.
Auf die Patentsituation befragt, hält Brigitte Reisenberger von Global 2000 einen Fall des Patentschutzes am Pflanzensamenmarkt für unwahrscheinlich. „Wir sehen gerade einen gegenteiligen Trend. Die Marktmacht und die Macht der Patente dehnt sich enorm aus“, so Reisenberger.
Gegen eine uneingeschränkte Zulassung der neuen Verfahrenstechniken positioniert sich aber auch der Geschäftsführer von Saatgut Austria. Er plädiert nur für eine Deregulierung jener Verfahrenstechniken, bei denen bereits vorhandene Gene entsprechend zielgerichtet editiert werden. Ähnlich einer natürlichen Mutation, nur dass Ort und Wirkung bekannt sind. Sollte fremde DNA in die DNA der zu veränderten Pflanze mittels NGTs eingeschleust werden, spricht sich Brandstetter ebenfalls für eine Aufrechterhaltung der Regulierung aus.
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„Give CRISPR a chance!“
Das trifft auch in der Wissenschaft auf ähnliche Ansichten. So gaben 2019 die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und die Deutsche Forschungsgemeinschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme an, dass „als kurzfristige Maßnahme die GVO-Definition dahingehend überarbeitet werden [sollte], dass genomeditierte Pflanzen nicht als GVO [Gentechnisch veränderte Organismen] gelten, wenn keine artfremde genetische Information enthalten ist […]. Ebenso sollte es sich nicht um einen GVO handeln, wenn eine Kombination von genetischen Informationen vorliegt, die sich auch auf natürliche Weise oder mit konventionellen Züchtungsmethoden ergeben könnte.“
Unter dem Namen „Give CRISPR a chance!“ haben sich 2019 auch mehr als 100 wissenschaftliche Organisationen aus ganz Europa für die Nutzung „neuer präziser Zuchtmethoden zur Sicherung der Lebensmittelversorgung“ ausgesprochen. Auch sie begründen ihre Entscheidung mit der Notwendigkeit und Möglichkeit eine „nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion auch in Zeiten des Klimawandels und des Bevölkerungswachstums“ zu ermöglichen. Zudem befürchten sie, dass durch die Einstufung als Gentechnik und den damit verbunden „aufwändigen und teuren Zulassungsverfahren“, Investitionen in Forschungen in der EU zurückgehen und Züchtungen durch kleinere Betriebe verhindert würden.
Wie sieht’s in der Praxis aus?
Von der Wissenschaft hinaus auf’s Feld – diejenigen, die zum einen die Pflanzen auf das Feld bringen und zum anderen mit den Herausforderungen der Klimakrise direkt betroffen sind, sind am Ende die Landwirt:innen. Die Auswirkungen der Klimakrise spürt die Biobäuerin Daniela Kohler auf ihrem Hof in Vorarlberg schon deutlich, wie sie im Gespräch mit Tech & Nature sagt. „Wir merken, dass die Extremwetterereignisse zunehmen. Wir sind in einem Gebiet, wo es eigentlich sehr viel regnet. Trotzdem haben auch wir vermehrt Probleme mit längeren trockenen Perioden, oft gefolgt von Hagel oder Starkregen. Zudem merken wir eine Verschiebung von Vegetationszeiten, also dass Pflanzen früher im Jahr schon austreiben und es dann zu Schäden durch einen späten Frost oder eine kalte Periode kommt.“
Für eine Deregulierung der NGTs ist sie nicht: „Ich sehe kein Potenzial in der Neuen Gentechnik, auch nicht in den kommenden Jahren. Für mich sind das nur Scheinlösungen. Diese überdecken, dass das System an sich geändert gehört und sind es auf Dauer, welche die Probleme des Systems verschärfen.“ Auch sie betont, dass eine „klimafitte Pflanze“ sich eben nicht nur durch Trockenheitsresistenz auszeichnen würde, sondern durch Anpassung an viele weitere Wetterextreme. Zudem fürchtet sie eine weitere Abhängigkeit der Landwirt:innen. „Für den einzelnen Bauern wird es automatisch zu einer Abhängigkeit von immer wieder neuem Saatgut und von der Agrarchemie führen. Für diesen macht es keinen Unterschied, ob er von einem großen oder von einem kleinen Produzenten abhängig ist“, so Kohler.
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System in der Kritik
Kohler zufolge liegen die Lösungen in einer Umkehr des Systems. Weg von der industriellen Landwirtschaft, welche einen deutlichen Anteil an den jährlich emittieren Emissionen hält, hin zur kleinstrukturierten, angepassten Landwirtschaft. Um diese an die Herausforderungen der Klimakrise anzupassen, setzt sie auf Diversität im Pflanzenanbau, Förderung der Biodiversität und verstärkten Humusaufbau zur Förderung der Bodengesundheit und Maßnahmen gegen die Bodenerosion.
Die österreichischen Pflanzenzüchter:innen arbeiten derweil ebenfalls bereits an den notwendigen Klimaanpassungen. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus und den Bundesländern ist Saatgut Austria seit 2018 an dem Projekt Klimafit beteiligt, welches ebenfalls zum Ziel hat, klimafittere Pflanzensorten zu züchten. Dabei wird sich an den Voraussetzungen in Regionen orientiert, in welchen heute schon Klimabedingungen herrschen, wie sie bei uns in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren sein könnten, so Brandstetter, beispielsweise in Südosteuropa.
Öffentliche Konsultation für zweites Quartal 2022 angesetzt
Somit ist auch abseits des Disputes rund um die NGTs, die Notwendigkeit der Anpassung der Landwirtschaft an die Klimakrise im Bewusstsein angekommen. Wie es nun mit den NGTs in der EU weitergeht, wird sich zeigen. Nachdem im April 2021 die vorläufige Folgenabschätzung der EU-Kommission veröffentlicht wurde, folgt nun der nächste Schritt. „Die öffentliche Konsultation wurde für das zweite Quartal 2022 angekündigt. Wir rechnen damit, dass diese im Laufe des Aprils starten wird. Die wird dann zwölf Wochen dauern. Anschließend wird es zu einem Impact Assessment kommen, in welchem es noch mal eine ausführlichere Untersuchung der Kommission dazu geben wird. Diese wird dann verschiedene Handlungsoptionen aufzeigen“, so Reisenberger von Global 2000. Mit einem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission rechnet sie 2023. Eine Petition gegen die Deregulation der Neuen Genomischen Techniken hat Global 2000 vorsorglich aber schon jetzt einmal gestartet.