„Neue Gentechnik“-Umfrage: Österreicher:innen lehnen Deregulierungspläne der EU ab
Anfang Juli 2023 hat die Europäische Kommission nach langen Diskussionen einen Vorschlag zur Neuregelung von Pflanzen, die mit Verfahren der sogenannten Neuen Gentechnik (NGT) hergestellt wurden, vorgelegt. In diesem Kontext wurde bereits in der zweiten Julihälfte eine Umfrage im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Gentechnik-frei durchgeführt, die Einblicke in die Meinungen der Österreicher:innen liefern soll. Befragt wurden dabei 1000 Personen.
EU Kommission hält Überarbeitung der Gentechnikgesetzgebung für notwendig
Im April 2021 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Studie zu Neuen Genomischen Techniken (NGTs). Darin betonte sie die „Notwendigkeit einer Überarbeitung der bestehenden Gentechnikgesetzgebung“. Im September 2021 skizzierte die Kommission ihre Pläne für die Gesetzesänderung und deutete an, dass eine Lockerung der Risikobewertung und der Kennzeichnungspflicht beabsichtigt sei, während „Nachhaltigkeitsaspekte in den Vordergrund gerückt werden sollten“.
Bei darauf folgenden Prozessen, wie dem „Impact Assessment“, wurden Umfragen unter Stakeholdern, Mitgliedstaaten und der Öffentlichkeit durchgeführt. Diese Umfragen sind jedoch heftig kritisiert worden, da sie einseitig und suggestiv gestaltet waren. So führten sogar zu Protesten. Nichtregierungsorganisationen, Wirtschaftsverbände und einigen Mitgliedstaaten weigerten sich an der vorgesehenen Form der Befragung teilzunehmen. Zahlreiche dieser Organisationen und Institutionen richteten schriftliche Anfragen an die Kommission, um ihre Besorgnis hinsichtlich des Vorhabens der Kommission zu äußern.
Trotz der anhaltenden Kritik und eines Beschwerdeverfahrens bei der EU-Ombudsstelle, veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Gesetzesvorschlag am 5. Juli 2023.
Gesetzesvorschlag bedroht Wahlfreiheit
Zur Wiederholung: Die Neuen Gentechnik (NGT) erlaubt präzise genetische Veränderungen an spezifischen Stellen von Organismen. Diese Techniken umfassen molekulargenetische Verfahren, die es ermöglichen, Erbinformationen gezielt zu bearbeiten oder zu verändern. Ein Schlüsselwerkzeug ist CRISPR/Cas, auch bekannt als Genschere, das effizienter arbeitet als frühere Methoden. Es kann in einer breiten Palette von Organismen eingesetzt werden, von Pflanzen und Tieren bis hin zu Bakterien, Pilzen, Viren und menschlichen Zellen. Das hat vielfältige Anwendungsbereiche, darunter Biotechnologie, Medizin, Grundlagenforschung sowie Tier- und Pflanzenzüchtung.
Seit zwei Jahren erntet das Vorhaben der EU-Kommission nun von mehreren Seiten Kritik. So meldet sich auch meint Florian Faber, Geschäftsführer der ARGE Gentechnik-frei, öffentllich zu Wort: “Konsument:innen wollen keine Lebensmittel mit Gentechnik – das gilt für die gesamte EU, und besonders für Österreich. Der Gesetzesvorschlag bedroht allerdings das in den EU-Verträgen verankerte Recht auf Wahlfreiheit, da Kennzeichnungspflicht, Rückverfolgbarkeit und klar geregelte Zulassungsverfahren schlichtweg abgeschafft werden sollen. Die Gesetzesvorlage würde nachhaltige Unternehmenswerte zerstören – ist sie doch, massiv beeinflusst von den Interessen der Saatgut- und Biotech-Lobby, ein klarer Angriff auf die dem Vorsorgeprinzip verpflichtete Gentechnik-freie Produktion, wie sie im „Ohne Gentechnik“- und im „Bio“-Sektor praktiziert wird, zwei der am stärksten boomenden Qualitätssegmente auf dem europäischen Markt.
88,3 Prozent lehnt die vorgeschlagene Deregulierung der NGT-Verfahren entschieden ab
Das Gesetz scheint in Österreich tatsächlich nur wenig Zuspruch seitens der Verbraucher:innen zu finden. Eine aktuelle Marktforschungsstudie, beauftragt von der ARGE Gentechnik-frei und durchgeführt von marketagent, gibt Aufschluss über die Meinung der Bürger:innen. Von den insgesamt 1.000 Befragten lehnen beeindruckende 88,3 Prozent die vorgeschlagene Deregulierung der NGT-Verfahren entschieden ab.
Ein Kernthema in diesem Kontext ist die Kennzeichnungspflicht. Die von der EU-Kommission ins Spiel gebrachte Idee, diese für NGT-Produkte abzuschaffen, findet bei 89,9 Prozent der Befragten keinerlei Zustimmung. Im Gegenteil, sie plädieren eindeutig dafür, dass eine verpflichtende Kennzeichnung für NGT-Produkte auf Lebens- und Futtermitteln erhalten bleibt. Passend dazu sind 81,5 Prozent der Ansicht, dass die Rechte der Konsument:innen durch den Gesetzesvorschlag eingeschränkt werden bzw. man Menschen due ihnen zustehende Wahlfreiheit nimmt.
Aus der Umfrage geht ebenso hervor, dass 75,0 Prozent befürchten , dass die NGT in Kombination mit den damit einhergehenden Patenten verstärkt zu Abhängigkeiten von großen Saatgutkonzernen und der Agrar-Industrie kommen werde.
„Widerspruch zum Green Deal“
Eine Analyse der Gentechnik-Expert:innen der ARGE Gentechnik-frei will in einem kürzlich veröffentlichten White Paper zusätzlich auf Schwachstellen im Kommissions-Vorschlag aufmerksam machen.
Florian Faber von der ARGE Gentechnik-frei hebt hervor, dass der aktuelle Gesetzesvorschlag hauptsächlich den Konsument:innenschutz und den Marktzugang betrifft. Er bemängelt, dass dieser einerseits die Rechte der Konsument:innen einschränken würde, indem er Transparenz, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit für bestimmte Lebensmittel gefährdet. Gleichzeitig sieht er eine deutliche Erleichterung des Marktzugangs für Neue Gentechnik (NGT), was starkem Lobbying der Saatgut- und Biotech-Industrie zugeschrieben wird. Dies würde die Kosten und den Aufwand für bestehende „Bio“- und „Ohne Gentechnik“-Produktion erheblich erhöhen. Faber argumentiert, dass dies nicht im Einklang mit einer modernen, auf Transparenz und Sicherheit ausgerichteten Lebensmittelwirtschaft steht, und stellt die Vereinbarkeit mit dem Ziel des Green Deal in Frage. Er fordert die Wissenschaft auch auf, zu überdenken, ob die Zustimmung zum Gesetzesvorschlag nicht der Biotech-Industrie in die Hände spielen würde.
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