„Reverse Acqui-hires“: Hyper-Scaler werben Founder ab, anstatt ihre AI-Startups zu kaufen
Wie kommt man schnell zu tiefem Know-how rund um Large Language Models? Gerade in der jungen Branche der Generativen AI hat sich dazu 2024 ein neuer Trend breitgemacht. Denn anstatt Startups um viel Geld zukaufen zu müssen, sind Big-Tech-Unternehmen dazu übergegangen, sich lediglich die Gründer-Teams auf ihre Seite zu holen. Jüngstes Beispiel: Amazon.
Amazon hat bekannt gegeben, dass das Unternehmen die Gründer von Covariant – Pieter Abbeel, Peter Chen und Rocky Duan – sowie „etwa ein Viertel“ der Mitarbeiter des Startups bei sich aufgenommen hat. Außerdem hat Amazon eine nicht-exklusive Lizenz zur Nutzung der Roboter-Grundmodelle von Covariant erworben. Solche Personalwechsel werden in der Tech-Branche auch „reverse acqui-hires“ genannt: Die Einstellung von Mitarbeitern und ein entsprechendes Lizenzabkommen soll dazu dienen, eine echte Übernahme zu verschleiern.
Covariant baut ein großes Sprachmodell, allerdings maßgeschneidert für Roboter. Das Unternehmen entwickelt KI-Modelle für Roboter, wobei der anfängliche Fokus auf Roboterarmen liegt, die gängige Lageraufgaben wie das Greifen aus Behältern ausführen. „Mit einigen der klügsten Köpfe werden wir die Grundlagenforschung vorantreiben und unser reichhaltiges Fachwissen verbinden, um neue Wege zu finden, wie KI und Roboter unsere Mitarbeiter im Betrieb unterstützen können“, so Joseph Quinlivan, Vizepräsident für Fulfillment-Technologien und Robotik bei Amazon.
Eine weitere Besonderheit des Gründungsteams von Covariant ist, dass Pieter Abbeel, Peter Chen und Rocky Duan zuvor allesamt bei OpenAI tätig waren. Sie spalteten sich (ähnlich wie Anthropic) von dem ChatGPT-Macher ab, um ihr eigenes Ding durchzuziehen. Dafür sammelten die drei seit der Gründung 2017 satte 222 Mio. Dollar an Risikokapital ein. Nun aber verlassen sie ihr Startup, um bei Amazon zu arbeiten – also jenem E-Commerce-Riesen, der in seinen Logistikzentren bereits intensiv auf die Hilfe von Robotern setzt (Trending Topics berichtete).
Auch Google und Microsoft mit ähnlicher Strategie
Amazon macht dabei einen Schachzug, den es dieses Jahr schon einmal gemacht hat. Im Frühsommer schnappte sich Amazon den Mitbegründer und CEO von Adept, David Luan (auch ehemaliger Vizepräsident für Technik bei OpenAI) sowie dessen Mitgründer (Augustus Odena, Maxwell Nye, Erich Elsen und Kelsey Szot) sowie einige weitere Mitarbeiter. Auch hier ist offenbar das Ziel, AI-Talente zu gewinnen, ohne sich das Startup kaufen zu müssen. Adept hatte sich 2023 ein dickes Investment von 350 Mio. Dollar geholt.
Auch Google und Microsoft haben eine ähnliche Strategie an den Tag gelegt. Microsoft hat sich im März 2024 die wichtigsten Köpfe des AI-Startups Inflection AI geholt, die dort eine neue AI-Sparte anführen. Konkret handelt es sich um die Gründer Mustafa Suleyman und Karén Simonyan, die vor dem Start von Inflection AI als Deepmind-Mitgründer bei Google tätig waren.
Google wiederum hat sich im August 2024 wiederum im AI-Team um die Gründer von Character.ai gestärkt. Noam Shazeer und Daniel De Freitas hatten eines der populärsten AI-Startups rund um Chatbots aufgebaut, und wurden dann von Google, das sich in einem harten Wettrennen mit OpenAI um die Vormacht in Sachen Large Language Models befindet, engagiert. Die Investoren des AI-Startups sollen Entschädigungen bekommen, haben die einer Firmenbewertung von 2,5 Milliarden Dollar entsprechen soll.
Zusammengefasst kann man am Markt sehen:
- Amazon schnappt sich die Gründer von Covariant und Adept (teilweise Ex-OpenAI)
- Microsoft schnappt sich die Gründer von Inflection AI (Ex-Deepmind)
- Google schnapp sich die Gründer von Character.ai (Ex-Google)
Dass die Cloud-Riesen Amazon, Google und Microsoft diese Strategie fahren, überrascht eigentlich nicht. GenAI-Startups brauchen aktuell hunderte Millionen Dollar an Investments, um sich die Rechenleistung in Form von Nvidia-GPUs zukaufen zu können. Währenddessen sitzen die Big Techs bereits auf diesen Rechenkapazitäten und brauchen „nur“ mehr die Fachkräfte, die wissen, was sie mit diesen AI-Chips anstellen müssen, um kompetitive AI-Modelle zu bauen. Aus Sicht der Gründer kann es attraktiver sein, zu den Cloud-Riesen zu wechseln, weil sie dann direkten Zugang zu den GPUs bekommen und nicht Fundraising betreiben müssen.
Für die Big-Tech-Unternehmen ist es natürlich günstiger, sich nur die Teams an Bord zu holen. In den vergangenen zwei Jahren wurden GenAI-Startups von Investoren sehr hoch bewertet, Verkaufspreise dürften da schnell in die Milliarden gehen. Da Google, Amazon und Microsoft aber vor allem die Talente brauchen und nicht die Tech-Infrastruktur, ist es naheliegend, die AI-Spezialisten mit hohen Löhnen und guten Posten zu locken, anstatt viel Geld für ihre Startups hinzublättern.
Allerdings sind solche Deals bereits Wettbewerbsbehörden aufgefallen. Der Wechsel der Inflection-AI-Gründer zu Microsoft und der Adept-AI-Gründer zu Amazon werden mittlerweile untersucht.