Neusiedler See: Im Schilfgürtel werden jetzt Vögel abgehört
Schilf, soweit das Auge reicht – wer den Schilfgürtel am Neusiedler See betritt, betritt bisher fast ungestörtes Terrain. Der Schilfgürtel des Neusiedler Sees ist eines der größten zusammenhängenden Schilfgebiete Europas, so der Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel, und bietet damit Schutz und Heimat für eine Vielzahl von Arten.
Fast ein wenig konträr wirkt daher nun der Anlass für den Besuch im Schilfgürtel von einer Handvoll Journalist:innen. Umgeben von Schilf, ist an einem Holz-Vorsprung ein sogenannter „Guardian“ befestigt. Dieser „Guardian“ ist Teil einer Premiere in Österreich und überwacht das Leben im Schilf.
24 Stunden Liveübertragung
Unter dem Projektnamen TECH4ALL arbeitet der Kommunikationstechnologieriese Huawei gemeinsam mit Rainforest Connection (RFCx) zum Schutz der Arten seit 2019 zusammen. Was im Regenwald Costa Ricas begann, wird aktuell in acht Projekten weltweit weitergeführt. Seit Herbst 2021 bietet der Schilfgürtel im Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel einen Projektstandort. Zusammengearbeitet wird im Burgenland mit dem Nationalpark selbst und der Universität Wien als lokale Partner.
Wenige Monate später, haben zwei “Guardians” und fast 60 kleinere Geräte etwa 4.000 GB an Daten gesammelt. Das entspricht etwa 700.000 Dateien oder aber 11.600 Stunden Tonaufnahmen. 24 Stunden am Tag nehmen die „Guardians“ die Umgebungsgeräusche im Schilfgürtel auf und übertragen die Daten in Echtzeit via Mobilfunk in eine Cloud. Ergänzt werden sie durch fast 60 Offline-Geräte, sogenannt Edge, welche die Aufzeichnungen speichern. Alle drei Monate werden diese Daten von den Forschenden ausgelesen.
Kombination aus Technologie und Mensch
Anhand des Audio-Monitoringsystems sollen wichtige Erkenntnisse zur Biodiversität im Schilfgürtel gewonnen werden. Bisher erfolgte ein solches Monitoring der Schilfvögel mühseliger, so Arno Cimadom, Mitarbeiter der Forschungsabteilung im Nationalpark: “An windstillen, frühen Morgen ist ein Forschender mit einer großen Stehleiter ins Schilf aufgebrochen, hat an jedem Punkt etwa fünf Minuten zugehört und das Gehörte notiert.” Das war nicht nur aufwendig, sondern im Vergleich zu dem nun montierten Audio-Monitoringsystem auch entsprechend zeitintensiv: Acht bis zehn Punkte hätte man so an einem Vormittag geschafft, so Cimadon. Jetzt können auch nachts und im Winter Daten erfasst werden.
Überflüssig mache das den Menschen aber nicht, ist der Mitarbeiter des Nationalparkteams überzeugt. Vor allem wenn es um Schätzungen zur Populationsdichte geht. Zukünftig werde es sicher immer eine Kombination aus den technischen Anwendungen und den Menschen, die tatsächlich ins Schilf gehen würden, sein.
Schilfmanagement verbessern
12 Quadratkilometer ist das untersuchte Gebiet groß. Dieses ist unterteilt in vier unterschiedliche Sektoren, inklusive Gebieten, in welchen es erst in den letzten zwei Jahren zu Schilfbrand kam oder auch Gebieten, in welchen es die letzten zwei Jahrzehnte keine solchen Zwischenfälle gab. In welchen dieser Gebiete sich schlussendlich mehr Vögel über das Jahr ansiedeln oder aber auch in welcher Reihenfolge, könnte nachhaltige Erkenntnisse zur Pflege des Lebensraumes bedeuten, so Christian Schulze vom Department Biodiversität der Universität Wien. “Neben Erkenntnissen für die Grundlagenforschung zur Ökologie und Biologie von Schilfvögeln, erhoffe ich mir für den Nationalpark Erkenntnisse dazu, ob vielleicht Brandmanagement ein Ansatz wäre, bestimmte Vogelarten zu fördern indem man Schilfverjüngung künstlich initiiert”, so Schulze. Erlaubt ist das bisher in Österreich nicht.
Auf Nachfrage, wie es aktuell um die Bestände vor Ort im Schilf stehe, antwortet er differenziert: “Viele Schilfvogelarten haben es über die letzten Jahrzehnte geschafft, einigermaßen stabile Bestände aufrecht zu erhalten. Andere Arten zeigen deutliche, zum Teil starke Abnahmen.” Der Zwergtaucher und das Blässhuhn seien früher im Schilfgürtel deutlich häufiger vorgekommen, so der Forschende, jetzt seien sie fast verschwunden.
KI zur Datenanalyse
Den Teufel an die Wand malen will der Forschende aber aktuell nicht. Viele dieser Entwicklungen würden mit Wasserstandsschwankungen zusammenhängen, so Schulze. Trockenphasen hätte es die letzten Jahrzehnte aber immer wieder gegeben, gibt Schulze zu bedenken. Kritisch werde es, wenn bei Arten die Bestände auch überregional zurückgehen und so regionale Bestandsschwankungen nicht mehr entsprechend ausgeglichen werden können. “Grundsätzlich müssen wir aber noch das eine oder andere Jahr abwarten, um fundierte Aussagen über die Bestandsentwicklungen von Schilfvögelarten treffen zu können”, so Schulze.
Für zwei Jahre ist nun zumindest erst einmal das TECH4ALL-Projekt angesetzt. Nachdem erste Überraschungen, sei es Wasserbüffel, welche die mit den Geräten ausgestatteten Holzstangen als Kratzbaum nutzen, überstanden sind, geht es jetzt an die Auswertung der vielen Datensätze. Ab Herbst soll bei der Datenanalyse auch eine künstliche Intelligenz unterstützen, gibt die Huawei-Sprecherin Catharina Rieder auf Nachfrage im Schilfgürtel an.