Gastbeitrag
Neutralität der Krypto-Branche bewährt sich in der Ukraine-Krise
Eliézer Ndinga ist Research Lead bei der 21Shares AG, einem Krypto-Asset-Manager aus der Schweiz. In diesem Gastbeitrag befasst er sich mit der Rolle von Kryptowährungen im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.
Eine von tragischen Ereignissen geprägte Woche liegt hinter uns. Der durch Russlands Präsident Wladimir Putin losgetretene Krieg in der Ukraine droht die Weltwirtschaft einmal mehr auf den Kopf zu stellen. Und dennoch haben Krypto-Assets in den ersten Tagen des Krieges gleich mehrfach Anwendung gefunden und ihren Nutzen zur Dokumentation des Krieges und zur Ermöglichung von Spenden in diesem und künftigen Konflikten unter Beweis gestellt.
Der Krieg und seine unmittelbaren Auswirkungen
Die russische Invasion der Ukraine hat eine Flüchtlingskrise ausgelöst und zieht schon jetzt eine humanitäre Katastrophe nach sich: Zahllose Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben und sind aus der Ukraine geflüchtet, dem illegalen Angriffskrieg fielen nach ukrainischen Angaben bereits über hunderte Zivilist:innen zum Opfer. Es ist somit auch keine Überraschung, dass der Konflikt auch zu einem Marktcrash geführt hat, der auch Krypto-Assets und Aktienoptionen mitgerissen hat. Als einzige Ausnahme ist Erdöl mit einem Kursanstieg von über 30 Prozent zu nennen. Der Aggressor Russland bleibt Europas wichtigster Gaslieferant und ist auch bedeutender Exporteur von Metallen und – gemeinsam mit der Ukraine – Weizen. Die Welt hält über den gerade erst losgetretenen Krieg und seine Bedeutung für eine Weltwirtschaft, die schon vorher mit Inflation und Lieferkettenkrisen gepeinigt war, weiter den Atem an.
Unmittelbar nach Beginn der Invasion verlor der russische Rubel fast 30 Prozent an Wert, Finanzdienstleister bewerten den russischen Aktienmarkt als „nicht anlagefähig“ und erwägen – falls sie es nicht schon getan haben – russische Unternehmen komplett aus ihren Indizes zu entfernen. Darüber hinaus haben die EU, die Vereinigten Staaten und verbündete Staaten beschlossen, russische Banken aus SWIFT, dem wichtigsten internationalen Zahlungssystem, auszuschließen, was vor allem einen schweren Einschnitt darstellt, da Russland für seine Öl- und Gasexporte auf SWIFT angewiesen ist.
In ähnlicher Weise plant die EU das Einfrieren der Vermögenswerte von Präsident Wladimir Putin und seinem Außenminister, Sergei Lawrow – während die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorschlug, auch das Vermögen der russischen Zentralbank zu blockieren. Auch das Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums verhängte in Zusammenarbeit mit Verbündeten und Partnern weitreichende wirtschaftliche Maßnahmen, die sich gegen die zentrale Infrastruktur des russischen Finanzsystems richten. Diese von vielen Amerikaner:innen als umstritten angesehene Maßnahme ist jedoch nicht sofort wirksam, da es eine 30-tägige Frist gibt.
Quellen: Yahoo Finance, CoinGecko
Kryptonative Cloudspeicher zur Beweissicherung geopolitischer Konflikte
Noch vor dem russischen Einmarsch begann ein Berliner Startup namens Arweave, eine neue Anwendung von Krypto-Technik zu etablieren: Auf Arweave wurden mittlerweile bereits neun Millionen Daten mit Bezug zur Ukraine-Krise hochgeladen. Das Projekt beschreibt sich selbst als „globale, permanente Festplatte, die auf einer Blockchain aufbaut“ und ist im Grunde eine dezentrales Speicherprotokoll, das skalierbare und dauerhafte On-Chain-Aufbewahrung auf nachhaltige Art und Weise bereitstellen soll. Dieser Anwendungsfall zeigt, wie wichtig krypto-native Cloud-Lösungen auch im Lichte geopolitischer Konflikte und tyrannischer Regimes, die die Geschichte gern zu ihren Gunsten umzuschreiben trachten, noch sein werden.
Und nicht nur das: Arweave ist seit Kurzem auch der Host von Daten, die ein Javascript-Tool automatisch über Nachrichten aus einer Vielzahl von Quellen über den den Krieg abruft und hochlädt. Unserer Überzeugung nach kommen die Anwendungsfälle der Blockchain-Technologie und der Web3-Tools vor allem im Gefolge geopolitischer Konflikte zum Tragen, wie wir es in unserem fünften State of Crypto dargelegt haben.
Krypto-Spenden zugunsten der ukrainischen Bevölkerung
Der Silberstreif am Horizont ist die beispiellose weltweite finanzielle Unterstützung für die ukrainische Regierung durch Krypto-Zahlungen, hauptsächlich Bitcoin und Ether. In die gleiche Richtung zielt RELI3F, eine Web3-Initiative, die weltweite humanitäre Hilfe leistet. Laut Elliptic haben die ukrainische Regierung und Nichtregierungsorganisationen, die das Militär unterstützen, seit dem Beginn der russischen Invasion bereits 24,6 Millionen Dollar durch mehr als 26.000 Kryptoasset-Spenden gesammelt. Allerdings wurden an die ETH-Adresse gelegentlich auch NFTs gesendet, bei denen es sich um Viren handeln könnte. Natürlich ziehen solche große Spendenbeträge auch immer potentielle Cyberangriffe mit sich, daher sollte die ukrainische Regierung diese NFTs nicht anrühren.
Kurz vor der Invasion am 8. Februar 2022 stimmte Russland zu, bestehende Gesetze zu ändern, um Kryptowährungen als eine Form der Währung anzuerkennen. Diese Einwilligung stellt eine deutliche Gegenreaktion auf den Vorschlag der Zentralbank von Russland dar, die Aktivitäten von Minern und verschiedene andere Krypto-Geschäfte zu verbieten, da diese das Finanzsystem des Landes gefährden könnten. Ironischerweise scheinen Kryptowährungen beiden Seiten des Konflikts zu dienen, was im Grunde ein lebender Beweis dafür ist, dass die Krypto-DNA keine Voreingenommenheit in sich trägt und vielmehr eine neutrale, unparteiische Technologie darstellt.
Russische CBDCs zur Sanktionsvermeidung?
Entgegen der landläufigen Meinung scheint es aktuell sehr wahrscheinlich, dass Russland auf lange Sicht auf CBDCs, digitales Zentralbankgeld, zurückgreifen wird, um den seit der Invasion auferlegten Sanktionen zu entgehen. CBDCs sind für Regierungen wie Russland sinnvoller, da sie leicht zu kontrollieren und zu überwachen sind. Ganz im Gegensatz zu den dezentralen Krypto-Assets, die lückenlos nachverfolgt werden können, ganz zu schweigen von den Plattformen, auf denen diese Krypto-Assets gehandelt werden. Eine einzige Klage gegen eine bestimmte Gruppe von Nutzer:innen kann Börsen wie Kraken dazu zwingen, Konten und Krypto-Wallets zu sperren (wie wir es diesen Monat in Kanada gesehen haben). Unserer Überzeugung nach wird dieser Konflikt die russischen CBDC-Entwicklungen und die Koalition mit dem digitalen Yuan durch die neue Seidenstraße, die Belt and Road Initiative, beschleunigen.
Kryptowährungen finden neue, einflussreiche Befürworter
Auch außerhalb des russisch-ukrainischen Konflikts hat sich der Einsatz von Kryptowährungen ausgeweitet. Der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock bereitet sich offenbar darauf vor, seinen Anlegerkund:innen den Handel mit Kryptowährungen anzubieten. So will das Unternehmen Anleger:innen wohl die Möglichkeit geben, Kredite mit Krypto-Sicherheiten aufzunehmen. Der Handel soll über das hauseigene Portfolio-Management-System Aladdin erfolgen – Aladdin steht für Asset, Liability, Debt and Derivative Investment Network.
Singapurs größte Bank DBS arbeitet daran, ihre Kryptowährungsbörse über ihren derzeitigen Anlegerstamm institutioneller Kunden hinaus zu erweitern und ermöglicht sofortige Online-Einzahlungen und -Transaktionen, ohne sich auf Bankvermittler zu verlassen. Die Vereinigten Arabischen Emirate befinden sich vermutlich kurz vor dem Ziel auf dem Weg zur Lizenzierung von Dienstleistern für virtuelle Vermögenswerte (VASPs), die bis zum Ende des ersten Quartals erfolgen soll. Dies geschieht in dem Bestreben, die größten Krypto-Unternehmen der Welt für den Wirtschaftsraum der Emirate zu gewinnen.
Fazit
Eine erhöhte Akzeptanz – sei sie durch Konflikte oder Wettbewerb inspiriert – dürfte Regierungen und Institutionen gleichermaßen eine bessere Perspektive auf die zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten von Kryptowährungen geben – Anwendungen, die die finanzielle Inklusion auf der Mikroebene grundlegend vorantreiben und auf Makroebene die Volkswirtschaften wiederbeleben.
Rechtliche Hinweise:
Das in diesem Beitrag enthaltene Material dient ausschließlich Informationszwecken. Die 21Shares AG und ihre verbundenen Unternehmen empfehlen keine Maßnahmen auf der Grundlage dieser Informationen. Das Material ist weder als Angebot oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers, noch als Anlageberatung auszulegen. Darüber hinaus stellen diese Informationen keine Zusicherung dar, dass die hier beschriebenen Anlagen für eine Person geeignet oder sinnvoll sind. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Indikator für künftige Kursentwicklungen.